Interview

CMC: Der kreative Bankrott der Finanzindustrie

aktualisiert 12.07.11 12:30 Uhr

Fehlt es der Derivatebranche an Innovationskraft? Kerem Ozelli von CMC Markets im Interview mit €uro am Sonntag.

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von Jens Castner, €uro am Sonntag

Die Welt der Derivate und die Welt der CFDs werden über kurz oder lang zusammenwachsen. Davon ist Kerem Ozelli überzeugt. Der Name Tracker, unter dem sein Arbeitgeber CMC Markets die Contracts for Difference neuerdings vermarktet, sei bereits ein Schritt in diese Richtung. Ozelli (43) verantwortet bei CMC in London die Produktentwicklung und damit auch das Endkundengeschäft.

Der gebürtige US-Amerikaner kennt den Deutschen Derivatemarkt aus seiner Zeit bei ABN Amro (heute: Royal Bank of Scotland), wo er am Aufbau der CFD-Plattform Marketindex beteiligt war. Später wechselte er zur Fondsgesellschaft DWS, die ihr Zertifikategeschäft inzwischen weitgehend wieder eingestellt hat. Dort lernte Ozelli auch das aktive Fondsmanagement kennen und fand das „nicht besonders inspirierend“, wie er heute sagt. Im Interview geht er hart mit der Produkt- und Gebührenstruktur der Finanzindustrie ins Gericht, spart aber auch nicht mit Kritik an der eigenen Branche.

€uro am Sonntag: Herr Ozelli, warum heißen CFDs in Ihrem Haus jetzt „Tracker“?
Kerem Ozelli:
Damit wollen wir aufzeigen, dass CFDs mehr sind als nur spekulative Finanzinstrumente. Die Art, wie über CFDs berichtet wird, gefällt mir nicht.


Inwiefern? Immer wird die spekulative Komponente in den Vordergrund gestellt. Überall liest man von Nervenkitzel, hohen Hebeln, Totalverlustrisiko und dergleichen.

Ist das nicht gut so? Alle Verbraucherschützer zielen darauf ab, angemessen über die Risiken aufzuklären.
Deswegen muss man aber nicht so tun, als wären CFDs nur Produkte für Zocker. Man kann damit zocken, klar. Aber es zwingt einen niemand dazu. Es steht jedem frei, seine Positionen vollständig zu bezahlen und damit auf einen Hebel zu verzichten. Dann entspricht das Risiko exakt dem einer Aktie oder eines Rohstoffs.


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CMC Markets hat auch mal mit emotionalen TV-Spots geworben.
Die ganze Branche hat früher den emotionalen Aspekt betont und ist damit gut gefahren. Dann hat man sich ein wenig auf den Lorbeeren ausgeruht, CMC Markets war da keine Ausnahme. Das Wachstum kam ja fast von allein. Vor allem in der Finanzkrise schnellten die Handelsvolumina nach oben. Danach folgte die große Ernüchterung. In­zwischen haben wir mit unserer neuen „Next-Generation“-Plattform wieder Argumente, sich für uns zu entscheiden, die wir potenziellen Neukunden an die Hand geben können. Allein auf der Anlegermesse Invest im Frühjahr haben wir 2.000 neue Kunden gewonnen.

Das ist der Konkurrenz sicher nicht verborgen geblieben. Mehrere große Banken planen den Einstieg in den CFD-Markt. Eine Gefahr für Sie?
Im Gegenteil. Es wäre gut für uns, wenn bekannte Adressen wie Deutsche Bank, Commerzbank und UBS auch CFDs anbieten würden. Das wäre der endgültige Durchbruch, der unsere Tracker zu Mainstreamprodukten machen würde.

Der Ausdruck Tracker ist in der Derivateindustrie allerdings schon anderweitig besetzt – mit Indexzertifikaten, beispielsweise auf den DAX.

Da sehe ich kein Problem. Wer den DAX handeln will, sucht sich ein Produkt, das den Index möglichst genau nachbildet, was man in der Fachsprache als „tracken“ bezeichnet. Ob das nun über einen ETF, ein Zertifikat oder einen CFD geschieht, ist letztlich Geschmackssache – oder auch eben eine Kostenfrage. Ich gehe davon aus, dass die Welt der strukturierten Produkte und die Welt der CFDs über kurz oder lang zusammenwachsen werden.

Warum?
Weil die Derivateindustrie sonst ein Wachstumsproblem bekommt. Ich mag den deutschen Markt wirklich, weil er offen ist für Innovationen. Nur habe ich davon längere Zeit keine mehr gesehen. Was heute an neuen Produkten auf den Markt kommt – das sind streng genommen nur Weiterentwicklungen und Kopien des Stands von vor fünf Jahren. Die Finanzindustrie ist in kreativer Hinsicht bankrott.

Welche kreativen Innovationen steuern Sie denn bei?
Das beginnt schon bei unserer Demoplattform. Sie können sich Ihren eigenen Index zusammenstellen und sehen im Handumdrehen, wie sich Ihr Portfolio im Fünfjahresrückblick entwickelt hätte. Ein Beispiel: Wie würde der DAX heute dastehen, wenn man Finanztitel außen vor gelassen hätte? Oder – auch das ist möglich – wenn man in allen Indexwerten long gewesen wäre, nur in Bankaktien short? Sie bekommen alle Möglichkeiten der Individualisierung. Das kann kein Zertifikat und kein ETF bieten. Deswegen sagen wir ja unseren Kunden: Ihr seid die Experten. Ihr könnt die Regeln ändern, wie Ihr wollt.

Was müsste die Derivate­branche tun, um gegenzusteuern?
Im Prinzip betreiben die Emittenten ein digitales Geschäft im Internet, aber sie führen es nicht wie ein digitales Geschäft. Wir leben nicht mehr in dem Zeitalter, in dem die Leute am Ende des Handelstages Balkencharts auf Millimeterpapier malen. Heute geht es um Geschwindigkeit. In den USA haben wir 3,5 Millionen Transaktio­nen pro Sekunde! Die Ausführung müsste deutlich schneller werden, gleichzeitig müssen die Gebühren runter.

Gibt es trotz der Vielfalt noch Lücken im Produktangebot?
Bei Rohstoffen wäre noch viel Poten­zial. Es wäre doch naheliegend, dass die Leute das handeln, was sie täglich essen, trinken oder am Ringfinger tragen: Reis, Kaffee, Edelmetalle. Aber mit Zertifikaten ist das viel zu kompliziert zu handeln. Deshalb bieten wir neuerdings Cash Commodities an, die sich an den Spot-Preisen orientieren. Da muss sich niemand mehr Gedanken um Rollverluste machen.

Investor-Info

CFDs
Hebel frei wählbar

CFDs (Contracts for Difference) wurden in Großbritannien als Antwort auf die dortige Börsentransaktionssteuer, auch Stempelsteuer genannt, erfunden. Denn die Differenzkontrakte werden in der Regel nicht über die Börse gehandelt, sondern ein Broker oder eine Bank treten als Emittent und Vertragspartner auf. Ähnlich wie im Handel mit Futures wird der Gegenwert der Differenzkontrakte nicht vollständig bezahlt, sondern es muss nur eine Sicherheitsleistung auf einem Marginkonto hinterlegt werden. Durch die Höhe der Margin bestimmt der Trader den Hebel selbst. Ist der Gegenwert der Kontrakte durch das Guthaben auf dem Konto vollständig abgedeckt, beträgt der Hebel null. Wird nur ein Prozent Sicherheitsleistung hinterlegt, ist die Position 100-fach gehebelt.

Basiswerte
Der DAX bleibt vorn

Wie bereits seit den ersten Gehversuchen von CFD-Brokern in Deutschland war der DAX auch im ersten Halbjahr 2011 der mit Abstand beliebteste Basiswert. Auffällig: Nicht eine Einzelaktie schaffte es in die Top Ten.
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