Interview

"Innovationswillen zeigen statt auf die Glaskugel zu hoffen"

06.02.19 07:46 Uhr

Werbemitteilung unseres Partners
finanzen.net GmbH ist für die Inhalte dieses Artikels nicht verantwortlich


"Innovationswillen zeigen statt auf die Glaskugel zu hoffen" | finanzen.net

Steffen Szeidl, Vorstand des international tätigen Planungs- Beratungs- und Projektmanagementunternehmens Drees & Sommer, erklärt im Interview, wie der digitale Wandel die Bau- und Immobilienwirtschaft verändert und wie er sich die Zukunft im Jahr 2050 vorstellt.

Herr Szeidl, Drees & Sommer kümmert sich um die Planung von Bauvorhaben und um reibungslose Baustellenabläufe, kann man das so zusammenfassen?

Sie haben zwei unserer zentralen Leistungsbereiche genannt: Planung und Projektsteuerung. Damit haben wir vor fast 50 Jahren begonnen und sind hier nach wie vor sehr erfolgreich. Unser Angebotsspektrum ist jedoch mittlerweile viel umfangreicher. Aktuell beraten wir in mehr als 3.500 Projekten die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft, wie sie ihre Vorhaben am besten bauen und betreiben oder nehmen die Planung in die Hand.

Seit 2009 hat Ihr Unternehmen seine Mitarbeiterzahl verzweieinhalbfacht. Eine Folge des langanhaltenden Immobilienbooms?

Natürlich profitieren auch wir von dieser Entwicklung. Das Wachstum ist aber vor allem eine Folge davon, dass wir technisches, bauliches, immobilienwirtschaftliches und auch Nachhaltigkeits-Know-how aus einer Hand so interdisziplinär verknüpfen können. Wir bringen Architekten mit Ingenieuren, Wirtschaftswissenschaftlern, Chemikern, Designern und Ökologen über den gesamten Immobilien-Lebenszyklus zusammen. Von der ersten Idee und der Analyse über die Bauausführung bis hin zum reibungslosen Betrieb oder der Gestaltung von innovativen Arbeitswelten sowie Mobilitätskonzepten.

An welchen Projekten arbeiten Sie gerade, für welche Branchen und Kunden sind Sie tätig?

Wir sind für die Automotive-, Pharma-, Healthcare-, Retail- oder Hospitality-Branche genauso wie im Logistik- oder Finanz-Bereich und vielen mehr unterwegs. Beispielsweise haben wir Projekte für Daimler, VW, Continental oder Roche abgewickelt, aber auch für Siemens, Bosch und die Commerzbank oder die Deutsche Bank. Das Forschungs- und Entwicklungszentrum von Roche in Basel ist derzeit eines unserer größeren Projekte. Wir begleiten aktuell auch das Quartier Heidestrasse in der Europacity Berlin mit umfangreichen Leistungen.

Forschungs- und Entwicklungszentrum von Roche © Herzog & de Meuron

Aus Ihrer Erfahrung: Welche Fehler sollten Bauherren und Investoren unbedingt vermeiden?

Hier könnte ich kleinteilig sehr vieles aufzählen. Grundsätzlich würde ich stattdessen anders ansetzen und fragen: Was sollten Eigentümer oder Investoren auf jeden Fall tun - gerade inmitten so einer epochalen Veränderung wie der Digitalisierung. Nutzer-zentriert sein, lautet unsere Antwort für unsere Kunden. Also radikal die künftigen Bedürfnisse der Menschen, die die Gebäude später nutzen, in den Mittelpunkt zu stellen. Das mag trivial klingen, nur machen es zu wenige - insbesondere bei Bau- und Immobilienprojekten. So selbstverständlich wie Energiekonzepte mittlerweile von Anfang an in Bauvorhaben sind, muss das beispielsweise auch für Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsstrategien gelten. Wer das jetzt versäumt, verpasst den Anschluss.

Besteht diese Gefahr auch gerade als Folge der zu vollen Auftragsbücher der Real Estate Branche?

Die verleiten sicher manche Unternehmen dazu, die unheimlich hohe Geschwindigkeit des digitalen Wandels zu unterschätzen und den enormen Veränderungsdruck nicht zu erkennen.

Woher wissen Sie denn bei Drees & Sommer, welche Technologien die Erwartungen von morgen aufgreifen?

Statt im stillen Kämmerlein zu arbeiten oder auf die Glaskugel zu hoffen, ist ein ausgeprägter Innovations- und Veränderungswille schon lange Teil unserer Unternehmenskultur. Wir fördern, dass unsere Mitarbeiter experimentierfreudig sind. Wir sind auch deswegen ganz nah dran an den aktuellsten Entwicklungen, weil wir sehr intensiv in Forschungskooperationen und an Hochschulen aktiv sind, sehr eng mit vielversprechenden Start-Ups zusammenarbeiten und dabei auch unsere Kunden und Geschäftspartnern mit einbeziehen. Wir wollen weiter neue Geschäftsmodelle auf Basis digitaler Technologien entwickeln und Pionier sein, damit wir die digitale Transformation der Real Estate Branche mitgestalten.

Große Ziele, gibt es bereits konkrete digitale Geschäftsmodelle?

Ja, für Immobilieninvestoren ist sicher der Asset Check spannend. Es geht dabei um eine einfache digitale Vorabbewertung von Immobilien. Wir haben ihn gemeinsam mit unserem Kooperationspartner bulwiengesa entwickelt. Der Asset Check verbindet erstmals Gebäude- und Marktbenchmarks, beinhaltet Daten zu Lage, Mieten, Kaufkraft, Beschäftigung sowie Capex und Opex und liefert eine schnelle und kostengünstige Ersteinschätzung für eine Immobilie, ohne gleich in eine ausführliche Due Diligence einsteigen zu müssen.

Wie sieht es mit smarten Gewerbe-Gebäuden aus?

Aktuell begleiten wir das Bürogebäude 'The Ship' in Köln oder den Hamburger 'Digital Campus Hammerbrooklyn' und auch 'cube berlin' der CA Immo inmitten der Hauptstadt am Hauptbahnhof. Im Cluster Smart Logistik auf dem Campus der RWTH Aachen, das viele sogar als Silicon Valley Deutschlands bezeichnen, bilden wir dafür in Modellen das Zusammenspiel verschiedener Hard- und Softwarebestandteile bereits vor Inbetriebnahme solcher intelligenten Gebäude ab, überprüfen die Kompatibilität der Produkte und testen die Sicherheit, auch in Hinblick auf Hackerangriffe, ausgiebig. Hier sehen wir, dass es enorm viele Internet-of-Things-Anwendungen oder IoT-fähige Geräte gibt, die aber mit der traditionellen Art, wie bislang gebaut wurde, häufig inkompatibel sind.

Das Bürogebäude The Ship setzt digitale Maßstäbe (c) The Ship

Was bieten solche intelligenten Immobilien für Vorteile?

Zum Beispiel benötigen nicht genutzte Flächen dort künftig weder Heizung noch Kühlung, Lüftung oder Licht - und müssen auch nicht unnötig gereinigt werden. Getreu dem Sharing Economy-Gedanken ist es außerdem möglich, Arbeits- oder Parkplätze mehrfach zu vermieten. Und mit einer App können Mieter beispielsweise Raumklima, Zugangskontrollen, Paketstation und vieles mehr selbst steuern.

Sie haben Start-ups angesprochen. Inwieweit beeinflussen junge Unternehmensgründer mit revolutionären Ideen und Technologien bereits die Immobilienwelt?

Geschäftsmodelle wie Airbnb oder diverse Office-Sharing-Modelle greifen derzeit vor allem den weitgehend standardisierten Betrieb an. Was Planung, Entwicklung, Bau und den nutzerindividuellen Betrieb angeht, fehlte Start-ups sehr häufig das spezifische Branchen-Know-how und der Marktzugang - und natürlich auch vielfach das Kapital, zudem war das Potential in anderen Branchen größer. Doch das ändert sich gerade.

In welchen Bereichen arbeiten Sie mit Start-ups zusammen?

Wir sehen unsere Stärke vor allem in der Funktion eines Dolmetschers. Wir können unterstützen, geniale Ideen zur Marktreife zu entwickeln und haben die Zugänge zu den relevanten Kunden. Dafür bieten wir insbesondere unser branchenspezifisches Knowhow, Räume, Praxisprojekte, Kapital und viel Zeit. Wir arbeiten daran, vor allem heterogene Planungs-, Gebäude- und Nutzerdaten intelligent miteinander verknüpfen, zu analysieren und daraus neue Geschäftsmodelle zu erkennen und zu generieren.

Sie haben kürzlich auch die Mehrheitsanteile der vom Chemiker Prof. Dr. Braungart gegründeten EPEA erworben, der maßgeblich das Cradle to Cradle-Prinzip, kurz C2C, geprägt hat. Wie passt diese Beteiligung ins Bild?

Sehr gut, denn schon seit Jahrzehnten verfolgen wir bei Drees & Sommer 'the blue way', also das Ziel Ökonomie und Nachhaltigkeit zu vereinen. Denken Sie beispielsweise an Green Buildings. Hier haben wir unter anderem an der Entwicklung und Verbreitung von Zertifizierungssystemen entscheidend mitgewirkt. Angesichts der Tatsache, dass das Bauwesen zu den größten Verbrauchern von Rohstoffen zählt, kommt der Real Estate Branche zudem eine große Verantwortung im Umgang mit Ressourcen zu. Beim C2C-Konzept geht es ja um den Circular Economy-Gedanken. Also darum, Abfall zu vermeiden und Rohstoffe für Produkte, Prozesse und Gebäude in immer gleicher Qualität zu erhalten und wiedereinzusetzen. Hier sehen wir aber auch gerade in Verbindung mit digitalen Lösungen rentable Geschäftsmodelle.

Werfen Sie für uns doch noch einen Blick in die Glaskugel. Zukunft 2050. Wie leben wir, wie sehen unsere Städte aus?

Ich habe ein optimistisches Zukunftsbild und glaube, dass es viele intelligente Immobilien geben wird, die mit den Nutzern und der Smart City klug vernetzt sind. Außerdem sind sie Green Buildings, reinigen die Umwelt durch ihre Fassaden und sind im Verbund mit Nachbarbauten energieautark. Die Fassaden sind in unterschiedlichster Weise begrünt. Das sieht gut aus, reguliert das städtische Klima und mindert zugleich die Auswirkungen von Extremwetterphänomenen wie Starkregen. Immer mehr gibt es auch den Trend zu Urban Farming, das zur Versorgung der städtischen Bürger beiträgt. Sinnvolle Mobilitätskonzepte vermeiden alles, was zu Lärm- und Feinstaubbelastung führt. Ob autonomes Flugtaxi oder innerstädtische Fahrradautobahn - der Flächenverbrauch für neue oder erweiterte Verkehrswege oder für Parkplätze ist extrem niedrig. Das sind gar nicht so ferne Zukunftsvisionen, wenn man sich klarmacht, dass heute geplante Häuser schon in ein paar Jahren unsere Wirklichkeit prägen.

Steffen Szeidl, Vorstand der Drees & Sommer SE

Seit Januar 2015 ist Steffen Szeidl Vorstand der Drees & Sommer Gruppe und verantwortet u.a. neben den Bereichen Finanzen, IT und Unternehmenskommunikation auch die Digitalisierungs-Strategie des Unternehmens. Er absolvierte sein Studium der Architektur an der Technischen Universität Darmstadt und der Eidgenössischen-Technischen Hochschule Zürich.

Bildquellen: Drees & Sommer , Herzog & De Meuron , Drees & Sommer