Chinas Webriesen Alibaba & Co: Ma macht mobil
Alibaba wagt den Sprung an die Wall Street. Die womöglich größte Börsen-Premiere aller Zeiten versetzt Anleger in Aufruhr - und US-Konzernen droht schärferer Wettbewerb.
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von Florian Westermann, Euro am Sonntag
Bis zu einer Viertelbillion Dollar - das ist der Börsenwert, auf den Alibaba geschätzt wird. Damit wäre der chinesische E-Commerce-Konzern auf einen Schlag das weltweit teuerste Internetunternehmen nach Google. Der womöglich größte Börsengang aller Zeiten könnte bereits in den nächsten Wochen an der Wall Street anstehen. Alibaba ist zudem nicht allein - auch der chinesische Twitter-Klon Weibo und Alibaba-Konkurrent JD.com - beide milliardenschwer - planen den Sprung aufs US-Parkett.
Den bekannten Techstars aus den USA, Konzernen wie Amazon, Ebay oder Facebook, könnten harte Zeiten ins Haus stehen - zumindest was die Gunst der Anleger angeht. Denn die Wachstumschancen von Alibaba und Co sind enorm, Chinas Internetmarkt ist der größte der Welt. Rund 620 Millionen Menschen haben in dem Riesenreich inzwischen Zugang zum Internet. 2015 dürften es schon 800 Millionen sein.
Chinas Webökonomie wird sich bis 2018 im Vergleich zum vergangenen Jahr auf 670 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln, schätzen die Marktforscher von Forrester Research. Dank der "Great Firewall", wie die Internetzensur der chinesischen Regierung scherzhaft genannt wird, haben US-Konzerne im bevölkerungsreichsten Land der Welt noch keinen Fuß auf den Boden bekommen. Der Markt wird von drei einheimischen Unternehmen dominiert - den sogenannten BATs: Baidu, Alibaba und Tencent.
Knallharter Konkurrenzkampf
Bis vor etwa einem Jahr waren die Grenzen zwischen den Platzhirschen klar abgesteckt. Das chinesische Google-Pendant Baidu konzentrierte sich auf seine Suchmaschine, Alibaba auf den Onlinehandel und Tencent auf die sozialen Netzwerke.
Mit dem Siegeszug des mobilen Internets - inzwischen sind 80 Prozent der Surfer auch via Handy im Internet - überschneiden sich die Geschäftsfelder aber zunehmend. Keiner will im Kampf um den riesigen Wachstumsmarkt zurückstecken. "Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen - eines der teuersten in der Geschichte des Internets", sagt Analyst Bryan Wang von Forrester Research.
Alibaba etwa kündigte im Februar an, für rund 1,1 Milliarden Dollar den Spezialisten für digitale Karten, AutoNavi, komplett zu übernehmen. Mit dem Einstieg beim chinesischen Twitter-Klon Weibo zielt Alibaba wiederum direkt auf Tencents Onlinenetzwerke. Im Vorfeld des geplanten Börsengangs nahm das E-Commerce-Unternehmen rund drei Milliarden Dollar für Übernahmen in die Hand.
Hinter den Kulissen zieht Jack Ma die Fäden. Auf den ersten Blick wirkt der Chinese unscheinbar, doch in seiner Heimat genießt der 50-Jährige als Web-Pionier Kultstatus.
Kurz vor der Jahrtausendwende lieh sich der ehemalige Englischlehrer bei Freunden 60.000 Dollar und gründete in seiner Einzimmerwohnung die Handelsplattform Alibaba. Heute schreibt der Konzern allein in einem Quartal rund 1,8 Milliarden Dollar Umsatz - bei knapp 800 Millionen Dollar Gewinn.
Alibaba ist bunt wie ein asiatisches Wok-Gericht: Rund zwei Dutzend Tochterfirmen garnieren den Ebay-Klon Taobao und das Einkaufsportal Tmall für Firmenkunden, den Kern des Konglomerats. Sechs von zehn Paketen, die in China ausgeliefert werden, werden über Tmall oder Taobao geordert. Anders als Amazon bietet Alibaba aber selbst keine Waren an, sondern verdient als Vermittler zwischen Käufern und Verkäufern an Gebühren und Provisionen sowie mit Werbung.
Chinas attraktive Provinz
Das Land ist wie geschaffen für Onlineriesen. In Metropolen wie Shanghai oder Peking locken zwar riesige Einkaufszentren. Doch in kleineren Städten und der Provinz ist die Infrastruktur schlecht. Einen Webanteil von rund einem Drittel am gesamten chinesischen Einzelhandel hält der Alibaba-Gründer langfristig für möglich - derzeit sind es rund sechs Prozent.
Die Konkurrenz aus den USA braucht Jack Ma kaum zu fürchten. Seinen Namensvetter Pony Ma hingegen schon. Ma Nummer 2 steht an der Spitze von Chinas bislang größtem börsennotiertem Internetkonzern, Tencent. Das Unternehmen betreibt etwa das mit Facebook vergleichbare soziale Netzwerk Qzone mit über 600 Millionen aktiven Nutzern. Auch der Kurznachrichtendienst Wechat - ein direkter Konkurrent von WhatsApp mit mehr als 300 Millionen Usern - zählt zum Online-Imperium.
Die Wechat-App ist inzwischen auf fast allen chinesischen Smartphones vorinstalliert und erobert zunehmend auch außerhalb des Riesenreichs Marktanteile. Tencents jüngster Vorstoß, Nutzern auch die Möglichkeit einzuräumen, über Wechat Geldgeschenke zu verschicken, bezeichnete Alibaba-Gründer Jack Ma als "Pearl-Harbor-Angriff" auf das eigene Bezahlsystem Alipay.
Alibaba und Tencent haben in China die Poleposition bei Onlinefinanzdienstleistungen eingenommen und wildern immer stärker im Revier der chinesischen Staatsbanken. Alibaba kontrolliert mit seinem Bezahlsystem Alipay - das beim bevorstehenden Börsengang allerdings nicht dabei ist - laut der Credit Suisse fast die Hälfte des chinesischen Marktes für Onlinezahlungen. Tencents Marktanteil liegt bei rund einem Fünftel. Der Markt wächst stark: 2016 erreichen die Onlinetransaktionen in China ein Volumen von 2,6 Billionen Dollar, prognostiziert die Schweizer Großbank - gegenüber 2012 entspräche das einer Vervielfachung.
Bei der Attacke auf Alipay belässt es Pony Ma nicht. Erst kürzlich kaufte sich Tencent mit 15 Prozent bei Chinas zweitgrößtem Online-Kaufhaus, JD.com, ein. Mit dem Deal zielt der Tencent-Chef auf Alibabas Achillesferse - das mobile Internet. Ein Großteil der Tencent-Nutzer greift inzwischen per Smartphone auf die Dienste des Konzerns zurück. Hier hinkt Alibaba hinterher. Durch die Verknüpfung mit JD.com können Nutzer ihre Einkäufe auch von unterwegs aus über die Tencent-Netzwerke erledigen - ein attraktiver Dienst, der viele Nutzer anzieht.
USA im Visier
Noch beschränken sich Alibaba und Tencent überwiegend auf Grabenkämpfe im Heimatmarkt. Doch beide Seiten nehmen neuerdings auch den US-Markt ins Visier. Der US-Webkonzern Ebay sollte gewarnt sein: Noch vor zehn Jahren dominierte das Onlineauktionshaus den chinesischen Internetmarkt - bis ein kaum bekannter Webpionier Ebay den Krieg erklärte: Jack Ma. Längst musste Ebay seinem Widersacher in China das Feld überlassen.
Jetzt greift Jack Ma Ebay und Amazon auf deren Heimatmarkt an. Nur wenige Wochen nach dem Einstieg beim US-Internethändler Shoprunner kündigte Alibaba das US-Shoppingportal 11 Main an. Anfangs sollen über die Plattform hochqualitative Produkte handverlesener Händler angeboten werden. Pony Ma ist mit Tencent schon lange an der Wall Street - und wagt nun auch im operativen Geschäft den Sprung über die Landesgrenzen. 2013 heuerte der Konzern Fußballstar Lionel Messi an und investierte 200 Millionen Dollar in eine Werbekampagne für Wechat.
Zudem hat sich der Tencent-Chef bei Snapchat eingekauft. Mit der Foto-App ist es möglich, Bilder zu verschicken, die nur eine begrenzte Zeit sichtbar bleiben. Insbesondere bei Jugendlichen in den USA erfreut sich das Programm großer Beliebtheit. Damit ärgerte Pony Ma den Chef seines US-Rivalen Facebook: Mark Zuckerberg hatte im vergangenen Jahr vergeblich versucht, Snapchat für drei Milliarden Dollar zu übernehmen.
Auch an der Wall Street machen Tencent und Baidu der US-Konkurrenz bislang gehörig Dampf: Beide Titel brachten Aktionären seit ihrem Debüt prozentual vierstellige Kursgewinne. Kein Wunder, dass Investoren jetzt heiß auf Alibaba sind. In der Heimat von Ebay und Co werden es aber auch die Asiaten im Tagesgeschäft nicht einfach haben. In den USA gelten schließlich andere Regeln als in China - eine "Great Firewall" gibt es hier nicht.
Investor-Info
Yahoo
Börsengang bringt Fantasie
Operativ läuft es beim US-Internetkonzern nicht berauschend, Yahoo verliert Marktanteile im Anzeigengeschäft an Google. Allerdings hält das Unternehmen 24 Prozent an Alibaba. Den Chinesen wird im Graumarkt ein Wert von bis zu 180 Milliarden Euro zugesprochen. Yahoos Beteiligung wäre damit 43 Milliarden Euro schwer - deutlich mehr, als Yahoo an der Börse wert ist. Wette auf Bewertungsaufschlag.
Tencent
Der Facebook-Konkurrent
Im Vergleich mit dem US-Kontrahenten Facebook ist Tencent rund 20 Prozent günstiger bewertet. Dabei sind die Chinesen im dynamischeren Markt unterwegs. Außerdem wagt Tencent den Schritt in die USA. Analysten rechnen 2014 mit einem Gewinnplus von fast 40 Prozent. Da sich das Wachstum in den kommenden Jahren kaum abschwächen dürfte, hat die Aktie noch Luft. Top-Investment in Chinas Web.
Baidu
Google auf Chinesisch
Mit einem Marktanteil von über 60 Prozent hat die Suchmaschine Baidu in China die Nase vorn. Mit Qihoo und Sogou - hier ist Tencent maßgeblich beteiligt - gibt es zwei ernst zu nehmende Konkurrenten. Zudem ist die Aktie im Vergleich mit dem US-Suchmaschinenbetreiber Google sehr teuer. Analysten trauen dem Konzern zwar deutliche Wachstumsraten zu, allerdings wird der Gegenwind stärker.
Sina
Twitter-Klon im Blick
Die Aktie des chinesischen Webportals Sina notiert weit unter ihren Höchstständen. Daran ändert auch der geplante Börsengang des Twitter-Klons Weibo nichts, an dem Sina mit 71 Prozent beteiligt ist. Ob der IPO von Weibo ein Erfolg wird, bleibt abzuwarten. Genau wie Twitter hat der Dienst Probleme, aus seinen hohen Nutzerzahlen Profit zu schlagen.
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