Munich-Re-Chef-Klimatologe: Politik sollte Prävention verbessern - 280 Milliarden Dollar Schaden durch Naturkatastrophen
Die neue Bundesregierung sollte sich angesichts hoher Kosten durch klimabedingte Großschäden nach Auffassung des Munich-Re-Chef-Klimatologen Ernst Rauch besser aufstellen bei Risikomanagement und Prävention von Naturgefahren und anderen Großrisiken.
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Dabei solle auch die Möglichkeit eines zentralen Chief Risk Officers in Erwägung gezogen werden, um die Verantwortlichkeiten zu bündeln, das habe sich in der Privatwirtschaft bewährt. Für seine eigene Branche sieht Rauch nach den Erfahrungen im Ahrtal Bedarf, schnell die Modelle zu verbessern und zum Beispiel digitale Geländemodelle mit besserer Auflösung zu entwickeln, um so die Risikogebiete lokal besser auszuweisen.
"Uns hat nicht die Schadenhöhe überrascht", sagte Rauch im Interview mit Dow Jones Newswires in Bezug auf die Zerstörungen im Ahrtal. "Dass es lokal begrenzt so hohe Schäden gab, das hat uns schon überrascht, also diese in großen Teilen totale Zerstörung." Was man jetzt machen müsse, "und wir sind schon dabei, das umzusetzen, ist mit einer deutlich höheren geographischen Auflösung digitale Geländemodelle in die Risikobewertung zu integrieren".
Starkregen in Deutschland und Europa teuerste Naturkatastrophe seit 1980
2021 waren die Sturzfluten nach Starkregen im Juli in Europa und Deutschland die bislang teuerste Naturkatastrophe seit Beginn der Erhebung 1980, wie aus der jährlichen Naturkatastrophenbilanz des Rückversicherers Munich Re hervorgeht. Sie kosteten die Branche laut Munich Re 11 Milliarden Euro europaweit, auf Deutschland entfielen davon nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) 8,2 Milliarden Euro.
Noch einmal deutlich über den versicherten Schäden lagen hierbei die wirtschaftlichen Gesamtschäden. Europaweit kosteten diese 46 Milliarden Euro bzw. allein in Deutschland 33 Milliarden Euro. Grund war Munich Re zufolge, dass die Sturzfluten an Nebenflüssen wie der Ahr zahllose Gebäude wegrissen und hohe Schäden an der Infrastruktur wie Bahnlinien, Straßen und Brücken verursachten. Diese Infrastrukturschäden seien unversichert gewesen und Hochwasser in Deutschland generell nur begrenzt versichert.
Politik sollte Risikomanagement hochfahren und Chief Risk Officer erwägen
Angesichts der hohen Kosten durch Großschäden, die bereits in der Vergangenheit immer wieder den Staatshaushalt plötzlich zusätzlich belastet hätten, solle die Bundesregierung das Tempo beschleunigen bei Risikomanagement und Prävention sowie langfristiger Emissionsverminderung, so Rauch, der auch Geowissenschaftler ist und bei Munich Re die Abteilung Climate Solutions leitet. Dazu gehöre eine Anpassung der Infrastruktur "an die Risiken, die sich durch den Klimawandel erhöhen". Dies sei eine ganz wichtige Aufgabe, "um auch international langfristig wettbewerbsfähig zu sein". Zum Teil werde dies schon gemacht, wie zum Beispiel durch die Renaturierung von Flüssen oder physikalische Hochwasserschutzmaßnahmen wie Deiche. "Aber das ist noch stark hochzuskalieren und auf den Bestand auszuweiten." Das sei keine Aufgabe nur für eine Legislaturperiode, sondern eine "Generationenaufgabe", was Werte-, Gebäude- und Infrastrukturbestand betreffe.
Helfen könnte hierbei möglicherweise ein Chief Risk Officer, so Rauch. Der Bedarf für koordiniertes Risikomanagement und die neutrale und politisch unabhängige Analyse durch einen Chief Risk Officer sei da. "Es fehlt die Stelle, die sich fokussiert mit Risiken auseinandersetzt", sagte Rauch. "Die Pandemie hat es gezeigt, die immer wiederkehrenden Naturgefahren zeigen es", man solle auch Cyber- und ähnliche Risiken nicht vergessen.
Derzeit seien die Verantwortlichkeiten je nach Thema auf mehrere Ministerien verteilt - zum Beispiel das Wirtschaftsministerium, das Umweltministerium, das Verkehrsministerium, das Gesundheitsministerium, das Bundeskanzleramt.
Für das langfristige Ziel der Emissionsreduzierung sei der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung mit konkreten Zielen beim Ausbau der erneuerbaren Energien ein deutlicher Fortschritt gegenüber früheren Regierungen. Es gebe "klare Ausbauziele". Nun müsse aber ein "Masterplan" her, um die ambitionierten Ziele zu erreichen. "Die Zeit drängt", sagte Rauch.
Naturkatastrophen richten 280 Milliarden Dollar Schaden an
Das Jahr 2021 reiht sich nach einer Analyse der Munich Re in den besorgniserregenden Langfristtrend zunehmender Zerstörungen durch Naturkatastrophen ein. Weltweit richteten Stürme, Hochwasser und andere Naturgefahren im vergangenen Jahr Schäden von 280 Milliarden US-Dollar an, wie der Rückversicherer am Montag mitteilte. Versichert war davon laut Munich Re mit 120 Milliarden Dollar weniger als die Hälfte.
Für Europa waren die verheerenden Sturzfluten des vergangenen Sommers in Deutschland und seinen Nachbarländern mit 54 Milliarden Dollar beziehungsweise 46 Milliarden Euro, davon allein 33 Milliarden Euro in Deutschland, zwar die bislang teuerste Naturkatastrophe aller Zeiten. Doch noch ungleich härter getroffen wurden die USA, wo Tornados, Hurrikane und eine Kältewelle mit 145 Milliarden Dollar zu Buche schlugen.
In der inflationsbereinigten Rangliste der teuersten Naturkatastrophenjahre liegt 2021 nach Rechnung der Munich Re auf Platz vier. Bislang teuerstes Jahr war 2011, als Seebeben, Tsunami und das folgende Atomunglück in Japan die weltweite volkswirtschaftliche Schadensumme auf 355 Milliarden Dollar getrieben hatten.
FRANKFURT (Dow Jones) / MÜNCHEN (dpa-AFX)
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