Hohe Kosten

Siemens Energy-Aktie -37 Prozent: Siemens Energy zieht Ergebnisprognose wegen Siemens Gamesa zurück

23.06.23 17:54 Uhr

Siemens Energy-Aktie -37 Prozent: Siemens Energy zieht Ergebnisprognose wegen Siemens Gamesa zurück | finanzen.net

Die Belastung durch die spanische Windkrafttochter Siemens Gamesa wird für den Mutterkonzern Siemens Energy immer höher.

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Wegen unerwartet hoher Kosten im Zusammenhang mit Qualitätsproblemen hat Siemens Energy nun seine Ergebnisprognose für das Gesamtjahr zurückgezogen. Die Umsatzprognose und Annahmen für Gas Services, Grid Technologies und Transformation of Industry werden aufrechterhalten.

Siemens Energy verweist in seiner Mitteilung auf eine technische Überprüfung der installierten Flotte und des Produktdesigns. Der derzeitige Stand lege nahe, dass für die Erreichung der angestrebten Produktqualität bei bestimmten Onshore-Plattformen wesentlich höhere Kosten anfallen werden als bisher angenommen. Mögliche qualitätsbezogene Maßnahmen und die damit verbundenen Kosten würden derzeit noch bewertet und lägen voraussichtlich bei über 1 Milliarde Euro.

Zudem überprüft Siemens Energy die wesentlichen Annahmen, die den Geschäftsplänen zugrunde liegen. Außerdem gebe es weiterhin Schwierigkeiten beim Hochlauf der Fertigungskapazitäten im Offshore-Bereich. Deshalb habe sich der Konzern veranlasst gesehen, die Gewinnprognose für Siemens Gamesa und damit auch für Siemens Energy zurückzunehmen.

Details und konkrete Zahlen will der Konzern im Rahmen der Berichterstattung zum dritten Geschäftsquartal nennen.

Bei der Veröffentlichung der Zweitquartalszahlen hatte Siemens Energy Mitte Mai noch eine um Sondereffekte bereinigte Ergebnismarge am unteren Ende der Prognosespanne von 1 bis 3 Prozent in Aussicht gestellt. Nach Steuern sollte ein Verlust eintreten, der das Vorjahresniveau von 712 Millionen Euro um bis zu einem niedrig dreistelligen Millionen-Betrag übertrifft. Die Wachstumsprognose liegt bei 10 bis 12 Prozent auf vergleichbarer Basis.

Siemens-Energy-Aktie bricht ein

Die Aktie von Siemens Energy sackte im XETRA-Handel am Freitag letztlich um 37,34 Prozent auf 14,65 Euro ab. Mehrmals wurde der Handel wegen zu hoher Schwankungen unterbrochen. Auch die Aktien des Großaktionärs Siemens gerieten im Sog von Energy mit unter Druck. Sie verloren zum Handelsschluss 2,21 Prozent auf 156,98 Euro.

Dies seien sehr schlechte Nachrichten, sagte ein Händler. Wenn man keine Anhaltspunkte habe, wohin die Kosten liefen, wie solle der Markt das dann einschätzen, so die Sorge des Händlers. Er sprach von einer "totalen Unsicherheit".

Gemessen am Börsenwert liegt der Verlust bei rund sechs Milliarden Euro. Ein Kurseinbruch von mehr als 30 Prozent kommt bei einem DAX-Wert sehr selten vor. In der Geschichte gab es allerdings ein paar Titel wie die des 2020 gestürzten Zahlungsabwicklers Wirecard oder der in der Finanzkrise verstaatlichten Hypo Real Estate, die noch mehr verloren haben.

Bis zum Vortag hatten die Papiere noch zu den größeren Gewinnern im DAX seit Jahresbeginn gezählt. Die Rally gestartet hatten sie Mitte Oktober und in der Zeit bis Ende Mai einen Spitzenzuwachs von 140 Prozent verbucht. Nun aber fielen sie zudem unter den Unterstützungsbereich des 61,8-Prozent-Fibonacci-Retracements. Dies bedeutet, dass sie von ihrem Gewinn seit Oktober mehr als 61,8 Prozent verloren haben - in der Charttechnik gilt dies als massives Warnsignal für den gesamten Trend. Seit Jahresanfang stehen die Papiere mit einem Schlag mit elf Prozent im Minus und damit im hinteren DAX-Feld.

Die Enttäuschung vieler Anleger weitet sich auf die gesamte Branche aus. So verloren etwa die Aktien von Windkraftanlagen-Hersteller Nordex im MDAX schlussendlich 5,85 Prozent auf 10,55 Euro.

Goldman Sachs bestätigt dennoch Kaufvotum für Siemens Energy

Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat die Einstufung für Siemens Energy auf "Buy" mit einem Kursziel von 31,70 Euro belassen. Neue Probleme bei der Tochter Siemens Gamesa schöben eine dunkle Wolke vor die Neubewertungsstory des Energietechnikkonzerns, schrieb Analyst Ajay Patel am Donnerstagabend in einer ersten Reaktion auf die zurückgezogenen Ergebnisprognosen. Die Meldung wertet er "klar negativ".

Die Windkrafttochter Gamesa sei für Siemens Energy ein altbekanntes Problem, erläuterte der Kapitalmarktexperte Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets. Nach der Komplettübernahme Anfang des Jahres erweise sich Gamesa bisher aber als schwarzes Loch in der Bilanz. "Die Zukunft von Siemens Energy hängt mehr und mehr davon ab, ob es das Sorgenkind in den Griff bekommt." Das Bittere an dem aktuellen Abverkauf der Energy-Aktien sei, dass damit die starke Erholung seit vergangenem Oktober ein abruptes Ende finde, so der Fachmann.

Potenzielle Käufer, die den tiefen Kurs von Siemens Energy zum Einstieg nutzen könnten, traten am Freitag bisher nicht auf den Plan. Bernstein-Analyst Green rät Anlegern auch davon ab. Im schlimmsten Fall, wenn nämlich mehr als 30 Prozent der installierten Anlagen von Gamesa fehlerhaft seien, drohe ein noch deutlicherer Kursrutsch. Würde Gamesa mit Null bewertet, läge der faire Wert von Siemens Energy bei elf Euro, rechnete Green aus.

Marktbeobachter Alexander Paulus vom Börsendienst Stock3 sieht die nächsten wichtigen Unterstützungen im Kurschart bei 14,37 Euro und bei 13,36 Euro. Bis dahin hätten die Papiere noch einigen Platz. Allgemein rät er aber nach solchen Kurseinbrüchen, die Aktien "erst einmal auspendeln zu lassen" und einen ersten Bodenbildungsversuch abzuwarten. Chart-Unterstützungen hätten inmitten von Verkaufspanik nur selten eine Wirkung.

Siemens Energy stellt Windgeschäft weiter nicht in Frage

Die Führung von Siemens Energy stellt das Windenergiegeschäft auch angesichts der jüngsten Qualitätsprobleme bei der Tochter Gamesa nicht grundsätzlich in Frage. Er sehe nicht, warum man für den Windanlagenhersteller kein ausbalanciertes Risiko-Chancen-Profil schaffen könne, sagte Vorstandschef Christian Bruch in einer Telefonpressekonferenz. Natürlich sei das "bitter für uns", den Kapitalmarkt erneut mit einer Gewinnwarnung zu überraschen. Aber für die Energiewende brauche es die Windenergie als Komponente, fügte er hinzu.

Siemens Energy hatte am Donnerstagabend überraschend die bereits zweimal im laufenden Geschäftsjahr reduzierte Ergebnisprognose komplett kassiert und dies vor allem mit zusätzlichen Qualitätsproblemen bei bereits installierten Onshore-Windanlagen begründet. Bei einigen Komponenten seien "deutlich erhöhte" Ausfallraten festgestellt worden, hieß es. Reparatur und Austausch werde vermutlich mehr als eine Milliardensumme verschlingen.

Die Siemens-Energy-Aktie verlor am Morgen zum Handelsstart auf einen Schlag 35 Prozent ihres Wertes, weil Gamesa seit Jahren Probleme macht. Erst kürzlich hatte der Mutterkonzern gut 4 Milliarden Euro investiert, um Gamesa vollständig in die eigene Kontrolle zu bekommen. Dies sei kein Fehler, sagte Bruch. Auch der gezahlte Preis sei in Ordnung gewesen. Man werde sich das aber noch einmal ansehen und auch strategisch neu bewerten.

Der Leiter des Windgeschäfts, Jochen Eickholt, räumte in der Pressekonferenz ein, dass die Probleme gravierender seien, als er sich das habe vorstellen können. Im Zuge der Neuorganisation des Programms Mistral habe eine neue Crew jetzt noch einmal die gesamte installierte Flotte genau angesehen. Dabei seien bei jüngeren Anlagen weitere Anomalitäten gefunden worden, etwa bei Lägern und Rotorblättern. Es handele sich gleichwohl um wenige Einzelfälle, so Eickholt, die angesichts der installierten Basis von tausenden Windkraftanlagen und Garantieverträgen über teils 20 Jahre aber mit statistischen Modellen hochgerechnet würden.

Bruch sprach von der "substanziertesten Analyse der Bestandsflotte", die es bisher gegeben habe. Da sie noch nicht abgeschlossen ist, will Siemens Energy den Kapitalmarkt über die Konsequenzen auch für das Ergebnis bei Vorlage der Drittquartalszahlen Anfang August informieren. Eickholt geht davon aus, dass die Kosten über Jahre anfallen werden und dass der Austausch mancher Komponenten mit Kampagnen erledigt werden könne. In der Regel werde es möglich sein, die Anlagen vor Ort zu reparieren. Gamesa will für die Kosten wo es geht auch die Lieferanten von Komponenten in Anspruch nehmen.

Probleme hat Siemens Gamesa auch mit dem Aufbau zusätzlicher Kapazitäten im boomenden Offshore-Geschäft für Windparks auf dem Meer. Zum Teil könnten Hallen nicht im geplanten Zeitrahmen hochgezogen werden, dann fehlten Komponenten wie Kräne. Bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter mache sich der Arbeitskräftemangel bemerkbar. Das Unternehmen will die Produktion von Offshore-Komponenten um 30 Prozent hochschrauben.

FRANKFURT/NEW York (Dow Jones / dpa-AFX)

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Bildquellen: Siemens Energy AG

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