Wer ist Giannis Varoufakis? - Ein Wirtschaftsmathematiker mischt die Politik auf
Griechenlands neuer Finanzminister kommt nicht aus der Politik, doch hat er sich in seiner noch kurzen Laufbahn durch seine provokanten Handlungen bereits einen Namen gemacht. Das ist der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis.
"I am a professor of economics who has never really trained as an economist" - so stellt sich Giannis Varoufakis auf der Übersichtsseite in seinem Blog "Thoughts for the post-2008 world" vor. Spätestens seit seiner Berufung als Finanzminister Griechenlands, dürfte es mit der reinen Ökonomie-Laufbahn vorerst ohnehin vorbei sein. Dafür macht Giannis Varoufakis nun auf politischer Ebene von sich reden. Es vergeht nahezu keine Woche, in der der energische neue Finanzminister im Kampf um die finanzielle Zukunft der Hellenen nicht auf einer Titelseite erscheint. Dies ist hauptsächlich seiner oftmals recht provokanten Wortakrobatik geschuldet. Aber auch blumige Komplimente für seine Verhandlungspartner hat Varoufakis im Repertoire.
Rückzug aus Griechenland: Varoufakis wird Wirtschaftswissenschaftler
Auch wenn der jetzige griechische Finanzminister vor seiner Berufung ins Kabinett selbst nicht Politiker war, so waren seine frühen Jahre doch bereits politisch geprägt. Giannis Varoufakis wurde 1961 geboren - nur wenige Jahre bevor sich 1967 das Militärregime um Papadopoulos für sieben Jahre an die Macht putschte. Um der instabilen Lage in Griechenland zu entgehen, begann Varoufakis 1978 ein Studium der Wirtschaftsmathematik an der University of Essex in Großbritannien. Darauf folgte ein weiteres Studium der mathematischen Statistik an der University of Birmingham. Auch nach seinen Abschlüssen blieb er der Universität und Großbritannien treu und lehrte von 1983 bis 1985 in Essex. Darauf folgten drei Jahre als Fellow und Lehrkraft an der University of Cambrige. 1987 promovierte er im Fach Ökonomie. Nach seiner Zeit in Cambridge, lehrte Varoufakis als Dozent an den Universitäten von East Anglia, Glasgow und Sydney, wechselte den Kontinent und nahm zusätzlich zur griechischen die australische Staatsbürgerschaft an.
Zurück in die Heimat - Varoufakis wird nach Athen berufen
Im September 2000, über 30 Jahre nach seinem Fortgang, wurde Giannis Varoufakis schließlich an die Universität von Athen und damit zurück in die Heimat berufen.
Kurze Zeit später erhielt er einen ersten Einblick in die griechische Politik. Im Januar 2004 wurde er Berater des späteren griechischen Ministerpräsidenten und damaligem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei PASOK Giorgos Papandreou. Diese Beratertätigkeit übte Varoufakis bis Dezember 2006 aus. Er sollte Papandreou dabei helfen, die Rückkehr der zu diesem Zeitpunkt wieder an Zulauf gewinnenden Rechten in die Regierung aufzuhalten. In späteren Jahren kritisierte Varoufakis Papandreous Politik jedoch scharf und warf ihm vor, die aufkeimende Fremdenfeindlichkeit nicht in die Schranken gewiesen und den Weg für die "Rettungsaktionen der Eurozone" bereitet zu haben.
Nach dem offiziellen Ausbruch der Staatsschuldenkrise in Griechenland 2010, spürte Varoufakis die über das Land verhängten Sparmaßnahmen auch am eigenen Leib. Das von ihm gegründete Studienprogramm "Politische Ökonomie" wurde eingestampft, sein Gehalt drastisch gekürzt. Darunter litten auch seine damalige Frau und seine Tochter, die in Australien leben. Bereits zu dieser Zeit ließ die politische Entwicklung Griechenlands Varoufakis alles andere als kalt. Nachdem er sich öffentlich kritisch über die Beziehungen zwischen der Politik und den Finanzmärkten geäußert hatte, erhielt Varoufakis Morddrohungen und flüchtete schließlich nach Texas, wo er an der University of Texas in Austin unterrichtete.
Finanzminister Varoufakis - eine "bestenfalls irgendwie reformistische" Politik
Am 27. Januar 2015 kehrte Varoufakis auf die politische Bühne zurück - diesmal nicht als Berater, sondern als Finanzminister der neuen griechischen Regierung. Die Wahl scheint auf den ersten Blick recht unorthodox, schließlich verfügte Varoufakis zu diesem Zeitpunkt über keine einschlägigen Erfahrungen als Politiker. Dennoch wurde er mit mehr Direktstimmen als jeder andere Kandidat für die SYRIZA-Partei ins griechische Parlament gewählt.
Bis zum heutigen Tag ist Varoufakis SYRIZA jedoch nicht beigetreten. Er selbst stellte in einem im Februar veröffentlichten Essay klar, dass er "weder Marxist noch Revolutionär" sei, sondern dass seine Politik am ehesten als "irgendwie reformistisch" beschrieben werden könne. Angesichts seiner politischen Auftritte, die beinahe immer in einem mehr oder minder großen Skandal gipfeln, erscheint "irgendwie reformistisch" als ein sehr kleiner Begriff. Viel eher mutet seine bisherige politische Strategie wie eine Mischung aus Provokation und überraschender Offenheit an - beides in der Regel mit gleicher schockierender Wirkung. So sprach sich Varoufakis zwei Wochen nach seinem Amtsantritt noch lobend bezüglich der deutschen Regierung aus und nannte die Bundeskanzlerin "die mit Abstand scharfsinnigste Politikerin in Europa". Nur zwei Tage später machte Varoufakis hingegen von sich reden, als er das Agieren der Troika - mittlerweile umbenannt in "die Institutionen" - mit der CIA-Foltermethode des Waterboarding verglich. Das Spiel mit den Gegensätzen hat beim griechischen Finanzminister offenbar Methode. In einem SPIEGEL-Interview nach seiner "Waterboarding-Metapher" gefragt, antwortete Varoufakis verschmitzt: "Es hat Ihre Aufmerksamkeit erregt, oder etwa nicht? Also hat es funktioniert."
Varoufakis' Strategie: Rigorose Offenheit vs. taktische Verschleierung
Das Wechselspiel zwischen erstaunlicher Offenheit und dem strategischen Verschleiern beherrscht Varoufakis wie kein anderer. Dabei schreckt er vor kleineren und größeren Skandalen nicht zurück - im Gegenteil. Ein wohlplatzierter Skandal hat bei der Verhandlungstaktik des griechischen Finanzchefs ganz offenbar Methode. Mal untermalt Varoufakis seine Rede mit einem erhobenen Mittelfinger, mal plaudert er schonungslos aus dem Nähkästchen. So erwähnte der Grieche im Ringen um die neue griechische Reformliste scheinbar beiläufig, die Liste mit den Reformplänen sei in Abstimmung mit anderen Euroländern absichtlich unbestimmt formuliert worden und führt dabei den Begriff der "produktiven Undeutlichkeit" ein - worauf ein neuerlicher Aufschrei die Runde machte. Nur wenige Wochen zuvor war dem griechischen Finanzchef vorgeworfen worden, er habe den Brief mit dem Antrag der griechischen Regierung auf neue Finanzhilfen vor dem Abschicken geschickt umformuliert. Statt dem Passus die Kredithilfen würden "zu den verabredeten Konditionen" beantragt, sollten durch die Einwirkung Varoufakis‘ "Nebulöse Passagen über ‚für beide Seiten akzeptable finanzielle und administrative Bedingungen‘" eingefügt worden sein. Griechenlands Premier Tsipras sprach hierauf zunächst von einem "administrativen Fehler", später dementierte Athen den Vorfall gänzlich und sprach von einer "krankhaften Fantasie einiger", die "die Ebene einer Provokation erreicht" habe.
Varoufakis und die Spieltheorie
Varoufakis ist Autor einiger Werke über die Spieltheorie. Stark vereinfacht beschäftigt sich die Spieltheorie in der Soziologie mit Entscheidungssituationen, in denen sich die Beteiligten gegenseitig beeinflussen. Eine dieser modellhaften Entscheidungssituationen ist etwa das sogenannte Feiglingsspiel aus der ökonomischen Spieltheorie. Das Szenario beschreibt eine Art Mutprobe: Zwei Fahrzeuge rasen mit Höchstgeschwindigkeit aufeinander zu. Der erste, der ausweicht, hat "das Spiel" verloren und gilt als Feigling. Weicht jedoch keiner der beiden aus, kommt es zu einem Frontalzusammenstoß und beide Fahrer wären mit Sicherheit tot.
Die Parallelen zur aktuellen Konfliktsituation zwischen Griechenland und der Eurozone sind schwerlich von der Hand zu weisen. Was der britische Kolumnist Anatole Kaletsky als "Strategie (…) sich eine Pistole an den Kopf zu halten und dann Lösegeld dafür zu verlangen, dass er nicht abdrückt" bezeichnet, könnte man auch spieltheoretisch als "Feiglingsspiel" bezeichnen, das Varoufakis mit seinen Verhandlungspartnern spielt. Auch Varoufakis geht auf Konfrontationskurs, wenn er immer wieder mit voller Offenheit betont: "Griechenland kann seine Schuldenlast nicht tragen. Es wäre gut, wenn sich alle Beteiligten das eingestehen würden."
Nun sind die Europartner am Zug: Ausweichen, also dem überschuldeten Griechenland Finanzhilfen gewähren - und damit im spieltheoretischen Sinne zum "Feigling" werden - oder den Frontalcrash in Kauf nehmen. Dann käme es zum "Grexit", dem Austritt Griechenlands aus der Eurozone.
Trotz seines energischen Vorgehens in seinem Amt als Finanzminister, scheint Giannis Varoufakis sich jedoch selbst treu bleiben und nicht endgültig zum Politiker werden zu wollen: "Meine größte Angst besteht darin, dass ich - jetzt, da ich meinen Kopf in der Schlinge habe - ein Politiker werde", sagte er vor einiger Zeit selbst. Als "Gegenmittel" wolle er sein "Rücktrittsgesuch schreiben und es in der Brusttasche aufbewahren."
von Christina Fischer/Redaktion finanzen.net
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