Wachstumsmotor: Was ist los mit dem Welthandel?
Der globale Handel war in den vergangenen Jahrzehnten eine der wichtigsten Triebfedern des weltweiten Wirtschaftswachstums. Seit der Finanzkrise scheint dieser Wachstumsmotor ins Stottern gekommen zu sein.
von Patrick Franke, Gastautor von Euro am Sonntag
Der 2014 noch klar aufwärtsgerichtete Trend im weltweiten Handelsvolumen schwächte sich im vergangenen Jahr spürbar ab. Angesichts der derzeit parallel zu beobachtenden Schwäche im verarbeitenden Gewerbe drängt sich der Verdacht auf, dass dieses Phänomen etwas mit dem wenig dynamischen internationalen Handel zu tun haben könnte. Hier sieht sich der Analyst aber einem Henne-Ei-Problem gegenüber: Ist die Schwäche in der Industrie Ursache oder Folge des anämischen Handels, bedingen sich beide gegenseitig - oder gibt es einen dritten Faktor, der beide Phänomene erklärt?
Zumindest spricht die weltweite Dimension der gebremsten Entwicklung in der Industrie gegen die These, dass es eine breite Tendenz gibt, bisher grenzüberschreitende Produktionsprozesse "heim ins Mutterland" zu holen. Wechselkursschwankungen können nur national schwache Entwicklungen erklären, zum Beispiel in den USA, wo der Dollar sehr stark ist. Global sollten sie weitgehend ein Nullsummenspiel sein. Dafür, dass sich im Handel und in der Produktion schon allein eine höhere Volatilität der Wechselkurse spürbar negativ auswirkt, gibt es wenig Evidenz.
Enge Verzahnung der Länder
sorgt für negative Effekte
Eine populäre Erklärung für die vor sich hin dümpelnden Handelsvolumen ist politisch: Der Protektionismus ist wieder da! Es erscheint einleuchtend, dass Politiker, die sich mit wirtschaftlichen Problemen im Inland (etwa Arbeitslosigkeit oder Leistungsbilanzdefiziten) konfrontiert sehen, für diese gern ausländische Akteure verantwortlich machen. Tatsächlich hat sich die Stimmung in den letzten Jahren eher gegen den freien Handel gedreht - die Debatte um das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA ist hier nur die Spitze des Eisbergs, wenn auch eine sehr sichtbare. Allerdings ist es in dieser Hinsicht bisher weitgehend bei verbalen Vorstößen geblieben.
Ökonomen, die den Freihandel beobachten, sind zwar häufig besorgt über das intellektuelle Klima, das für den freien Handel zunehmend frostig geworden ist. Sie sehen aber in der Praxis keine klare Tendenz zu mehr Protektion, schon gar nicht in einem Umfang, der die Trendverschiebung beim Welthandel erklären könnte. In jedem Fall sind wir derzeit, was die tatsächliche Handelspolitik der großen Länder angeht, weit entfernt von den Ereignissen in den 1930er-Jahren: Damals leisteten protektionistische Strafzölle einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Große Depression so lange andauerte und so tief war.
Wie sieht es mit verstecktem Protektionismus in Form von Wechselkursmanipulation aus? Wir sind hinsichtlich des angeblichen "Währungskriegs" skeptisch, ob dieser Begriff wirklich angebracht ist. Eine Abwertung - egal ob angemessen oder "künstlich" herbeigeführt - sollte die nationale Zusammensetzung der Exporte verändern, sich aber (zumindest über den sehr kurzen Horizont hinaus) nicht in ihrem weltweiten Volumen niederschlagen. Häufig scheint eine schwächere Währung nur eine von vielen Notenbanken im aktuellen Umfeld gern gesehene Begleiterscheinung zu sein, während die eigentliche Zielsetzung klar auf inländische Größen abzielt. Selbst die Eurozone ist insgesamt nicht so exportorientiert, dass ein schwächerer Euro allein die Konjunktur wieder in Schwung bringen kann - er schadet aus Sicht der EZB aber auch nicht.
Die Eurozone oder vielmehr die europäische Schuldenkrise ab 2010 könnte mit erklären, warum das Volumen der internationalen Warentransaktionen in den letzten fünf Jahren nur sehr verhalten zugelegt hat. Die Länder der Eurozone und der EU sind als Wirtschaftsunion sehr überdurchschnittlich miteinander integriert. Ein gegebener Rückgang des Wirtschaftswachstums hier wirkt daher stärker negativ auf den Welthandel als in einem großen, relativ geschlossenen Wirtschaftsraum wie den USA. Bei Ländern, die so eng miteinander verzahnt sind wie die der Eurozone, hat eine anhaltende Periode schwachen Wachstums einen überproportional negativen Effekt auf die grenzüberschreitenden Transaktionen. Dank der andauernden Erholung in der Eurozone wäre vor diesem Hintergrund auch eine wieder stärkere Expansion der Handelsvolumen zu erwarten.
Dass wir dies aktuell (noch) nicht beobachten, dürfte nicht zuletzt einer regionalen Sonderentwicklung in den besonders in den Welthandel integrierten Schwellenländern geschuldet sein. Die Delle beim Handelsvolumen im ersten Halbjahr 2015 ist vor allem in Asien sehr prägnant. Wenn die offiziellen Handels- und Produktionszahlen für China grob der Realität entsprechen, ist der Schwungverlust dort allein nicht ausreichend, um die Stagnation der asiatischen Handelsvolumen zu erklären. Hier müssten zusätzliche Faktoren eine Rolle spielen - wie zum Beispiel eine zunehmend innerhalb Chinas stattfindende Wertschöpfung. Dieser Trend spiegelt eine globale Tendenz, die wir als Hauptursache des schwächeren Handelswachstums sehen: Der vorhergehende Globalisierungsschub mit seiner dramatischen Internationalisierung der Zulieferer- und Wertschöpfungsketten scheint ausgelaufen zu sein.
Die Globalisierung ist noch
längst nicht zu Ende
Weniger rohstoffintensives Wachstum in China, die steigende Bedeutung der Dienstleistungen und eine längere Atempause bei der Globalisierung der Wertschöpfungsketten: Auch ohne "Währungskrieg" oder eine Protektionismusspirale sprechen diese Faktoren auf absehbare Zeit für ein gedämpftes Wachstum des Welthandels. Wir sehen in der aktuell gedämpften Entwicklung des Handels weder ein Ende der Globalisierung noch ein Rezessionssignal. So wie in einer Immobilienmarktblase die Wachstumsraten beim Bau nicht nachhaltig sind, waren die Zuwachsraten beim Welthandel in den 1990er- und 2000er-Jahren wohl Ausreißer. In den kommenden Jahren sind aus unserer Sicht Zuwächse beim Warenhandelsvolumen von drei bis sechs Prozent pro Jahr realistisch. Für Deutschland wird damit zwar nicht das exportorientierte Wachstumsmodell infrage gestellt, es ist jedoch ein weiteres Argument, das für "Maßnahmen zur Stärkung der Binnennachfrage" spricht - wie immer diese im Detail auch aussehen mögen. Wie es mit dem Welthandel weitergeht, ist jedenfalls eine Frage, die jeden von uns in irgendeiner Weise berührt.
Kurzvita
Patrick Franke,
Senior Economist
im Research der Helaba
Nach dem Studium der Volkswirtschaft in Frankfurt und Boston arbeitete Franke bei Primark Decision in Boston und bei der Commerzbank. Seit 2008 ist er im Research der Helaba.
Die Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale, kurz Helaba, bietet Unternehmen, Banken, institutionellen Investoren und der öffentlichen Hand Finanzdienstleistungen im In- und Ausland. Zugleich ist sie Sparkassenzentralbank und Dienstleister für 40 Prozent der deutschen Sparkassen.
Der Artikel beruht auf einer umfangreichen "Außer der Reihe"-Studie der Helaba
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