Börsen auf Rekordjagd: Wie weit die Rally trägt
Der vorläufige Wahlsieg des europafreundlichen Emmanuel Macron in Frankreich sorgt für neue Höchststände bei Aktien. Auf welche Investments clevere Anleger setzen.
von Julia Groß, Euro am Sonntag
Ein kollektives Aufatmen ging durch die Börsensäle, nachdem Emmanuel Macron den ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen für sich entschieden hatte. Die Marktreaktion machte deutlich, wie sehr Anleger weltweit einen weiteren überraschenden Wahlausgang und einen weiteren Schwenk zu politisch extremen Positionen gefürchtet hatten: Der DAX erreichte nun mit 12.486 Punkten ein neues Allzeithoch. Das französische Börsenbarometer CAC 40 und der Euro Stoxx 50 kletterten ebenfalls kräftig, der Euro schloss zum ersten Mal in diesem Jahr über der Marke von 1,09 US-Dollar.
Auch wenn der europafreundliche Macron sich am 7. Mai noch der Stichwahl mit der rechtsextremen EU-Gegnerin Marine Le Pen stellen muss: Absicherungsinstrumente wie Bundesanleihen und Gold flogen aus den Depots. Auch die US-Börsen haussierten, der Technologie-Index Nasdaq Composite sprang erstmals über 6.000 Punkte.
Optimismus überwiegt
Seitdem verteidigen die Aktienmärkte die Höchstmarken wacker. Einen Rückschlag gab es bisher nicht, obwohl das nach Erreichen neuer Rekordstände nicht ungewöhnlich wäre. Keine überschäumende Euphorie, aber doch deutlicher Optimismus über die weitere Entwicklung ist aus den Äußerungen von Anlagestrategen nach der Frankreich- Wahl herauszuhören. "Ich glaube, dass es weiter aufwärts geht", sagt beispielsweise Johannes Müller, Chefanlagestratege Wealth Management Deutschland bei der Deutschen Asset Management. Die Vermögensverwaltungstochter der Deutschen Bank stufte europäische Aktien ebenso wie die Fondsgesellschaft Columbia Threadneedle oder die DZ Bank hoch.
Die Begeisterung für den europäischen Markt wächst bereits seit einigen Wochen spürbar. Ein wichtiger Grund dafür ist der Bewertungsunterschied zu amerikanischen Aktien: Dank der Trump-Rally liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des S & P 500 im Schnitt mittlerweile bei über 18, das ist auch im historischen Vergleich teuer. "Der Euro Stoxx 50 ist dagegen nur mit einem KGV von 15 bewertet, der DAX mit rund 14", sagt Carsten Mumm, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Privatbank Donner & Reuschel.
Gleichzeitig hat sich jedoch die wirtschaftliche Lage in Europa zusehends verbessert. "Nach sechs Jahren des Wartens steigen die Gewinne der europäischen Unternehmen endlich wieder", sagt Tim Stevenson, Manager des Henderson Horizon Pan European Equity Fund. Mit dem Schwinden der politischen Risikoprämie könnten Investoren sich jetzt auf diese fundamentalen Fakten konzentrieren. "In den kommenden Jahren hat Europa Aussichten auf Wachstumsraten oberhalb des bisherigen Trends, bei niedrigen Zinsen und geringer Inflation. Nach einigen enttäuschenden Jahren könnte 2017 das Jahr Europas werden", sagt Steven Bell, Chefvolkswirt bei BMO Global Asset Management.
Deutscher Aufschwung hält an
Schon vor der Frankreich-Wahl war die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft so gut wie seit knapp sechs Jahren nicht mehr. Der Ifo-Geschäftsklimaindex kletterte im April unerwartet kräftig um 0,5 auf 112,9 Punkte. Der Aufschwung in Deutschland setzt sich der Bundesregierung zufolge bis mindestens 2018 fort. Für das laufende Jahr hob sie ihre Wachstumsprognose von 1,4 auf 1,5 Prozent an. Davon profitieren dürften Zykliker wie BASF, Siemens oder Infineon. Auch in der französischen Industrie hat sich das Geschäftsklima so stark aufgehellt wie zuletzt 2011. Die Angst vor Arbeitslosigkeit sank bei den Franzosen auf das niedrigste Niveau seit rund neun Jahren.
Am meisten profitierten Bankentitel von der Erleichterungsrally, auch weil die Finanzinstitute am meisten unter einer populistischen Regierung in Frankreich leiden würden, die die Schulden erhöhen und womöglich den Austritt aus der Eurozone anstreben würde. Die Commerzbank-Aktie stieg am Montag um 9,5 Prozent, die der Deutschen Bank um 6,2 Prozent. Auch Société Générale, BNP Paribas und Unicredit verbuchten deutliche Kurssprünge.
Analysten der Deutschen Bank raten Anlegern, ihr Engagement bei Banken der Eurozone nun zu erhöhen. Die Empfehlungen der Redaktion zum Finanzsektor lesen Sie in der Investor-Info auf der linken Seite.
Rückenwind kommt auch aus den USA. Donald Trump hat in seinem Steuerreform-Entwurf die Idee einer Importsteuer fallen gelassen. Eine derartige Abgabe hätte den europäischen Exporteuren geschadet. Auch das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will Trump jetzt nicht mehr kündigen, sondern nachverhandeln - seine Protektionismuspläne scheinen also realistischer zu werden. Trumps Steuervorschläge, wonach die Abgabenlast für Firmen von 35 auf 15 Prozent fallen soll und im Ausland erzielte Umsätze nicht in den USA besteuert werden, dürften die US-Rally noch eine Weile am Laufen halten. Zumindest, bis klarer wird, was er davon wirklich durchs Parlament bekommt.
"Am besten ist es immer, wenn ein Allzeithoch von warnenden Stimmen begleitet wird", sagt der Börsenpsychologe Joachim Goldberg. Tatsächlich mangelt es daran trotz aller Aufbruchstimmung nicht. "Die ganz große Frage im Hinblick auf Emmanuel Macron ist: Kann er wirklich etwas bewegen?", erklärt Carsten Mumm von Donner & Reuschel. Denn der neue Star der Franzosen hat zwar gute Chancen, die Stichwahl gegen Le Pen zu gewinnen - Umfragen sehen seinen Vorsprung bei 20 Prozentpunkten. Doch Macrons Partei En Marche ! wurde erst vor gut einem Jahr gegründet. Es gilt als ausgeschlossen, dass sie bei den am 11. und 18. Juni stattfindenden Parlamentswahlen eine Mehrheit erringt. Macron wird sich Koalitionspartner suchen müssen, und das birgt die Gefahr, dass seine Agenda verwässert wird oder gar nicht durchzusetzen ist.
Außerdem sind mit Macrons Einzug in die Stichwahl selbstverständlich noch lange nicht alle politischen Risiken in der EU beseitigt und vergessen. Für neue Unruhe könnten neben den weiteren Frankreich-Voten bereits die vorgezogenen Unterhauswahlen in Großbritannien am 8. Juni sorgen. Im Herbst folgt die Bundestagswahl.
Am meisten fürchten die Investmentbanker jedoch die Wahlen in Italien, die eventuell im Herbst dieses Jahres, spätestens jedoch im Frühjahr 2018 stattfinden werden. Dort könnte die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung einen hohen Anteil der Stimmen auf sich vereinen. "Die politischen Börsen bleiben uns insofern noch erhalten", sagt Stratege Mumm.
Spannend wird auch das weitere Vorgehen der EZB und die Reaktion der Anleger darauf. Insidern zufolge könnte die Zentralbank schon bei ihrer Sitzung am 8. Juni den geldpolitischen Ausblick ändern und damit die Abkehr von der expansiven Geldpolitik einleiten, sofern Emmanuel Macron die Stichwahl gewinnt. Zunächst geht es dabei rein um Formulierungen über noch niedrigere Zinsen oder die Fortsetzung des Anleihekaufprogramms. Tatsächlich eingestellt würden die Bondkäufe erst 2018, dann könnte es auch wieder zu einer Zinserhöhung kommen.
Restrisiko Le Pen
Die Volkswirte rechnen zwar grundsätzlich damit, dass die EZB im zweiten Halbjahr entsprechende Äußerungen machen wird. Zuletzt hatte Zentralbankchef Mario Draghi die massive Konjunkturhilfe jedoch als weiterhin notwendig bezeichnet. Wenn man bedenkt, wie lange die US-Notenbank verbal auf die erste Zinserhöhung vorbereitete, könnte ein schneller Sinneswandel der Europäer durchaus für Unruhe im Markt sorgen.
Höchst ungern denken Anleger außerdem im Moment daran, dass Marine Le Pen die französische Stichwahl am kommenden Wochenende doch noch für sich entscheiden könnte. Immerhin mehr als die Hälfte der Franzosen hat beim ersten Durchgang weder Macron noch Le Pen gewählt und muss sich jetzt neu entscheiden. Es besteht auch die Gefahr, dass Macron-Anhänger nicht mehr an der Stichwahl teilnehmen, weil sie denken, er werde ohnehin gewinnen. "Da die Aktienmärkte kein ernsthaftes Le-Pen-Risiko einpreisen, gäbe es dort deutliche Ausschläge", gibt Lars Edler, Co-Chief Investment Officer von Sal. Oppenheim, zu bedenken. "Eine positive Börsenreaktion wie nach der Wahl Donald Trumps erscheint uns durch die Zäsurgefahr für die Währungsunion abwegig."
Investor-Info
Ifo-Index
Deutsche Wirtschaft wächst
Der Ifo-Geschäftsklimaindex kletterte im April überraschend kräftig um 0,5 auf 112,9 Punkte. Die deutsche Wirtschaft profitiert derzeit von der Belebung der Weltkonjunktur, dem Bauboom und einem robusten Konsum. Der Ausgang der Wahl in Frankreich wurde bei der Umfrage noch nicht berücksichtigt.
Deka DAX
Heimische Top-Unternehmen
In Europa ist Deutschland unangefochten die stärkste Wirtschaftsmacht. Mit einem ETF, der dem Leitindex DAX folgt, partizipieren Anleger an der Entwicklung der 30 größten deutschen Unternehmen. Sie sollten sich aber bewusst sein, dass der Index sehr kopflastig ist: Die sechs größten Unternehmen haben im DAX einen Anteil von mehr als 50 Prozent. Dazu zählen Siemens, die Chemiekonzerne Bayer und BASF, der Software-Anbieter SAP sowie Allianz und Daimler.
db X-trackers Euro Stoxx 50
Riesen der Eurozone
Die 50 wichtigsten Konzerne der Eurozone lassen sich mit dem db X-trackers Euro Stoxx 50 ins Depot holen. Der ETF bildet den Leitindex des Euroraums ab. Die beiden zentralen Märkte sind Frankreich und Deutschland, die jeweils ein gutes Drittel des Börsenbarometers ausmachen. Daneben haben spanische und niederländische Aktien ein spürbares
Gewicht (je rund zehn Prozent). Die Finanzbranche ist der bedeutendste Sektor.Weitere News
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