Griechenland ist überall: Investoren und die Staatsschulden
Die Angst vor der Staatsverschuldung nimmt unter Investoren zu. Neben Staatspleiten droht eine Ära geringen Wirtschaftswachstums. Wie Anleger reagieren sollten.
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von Peter Gewalt und Andreas Höss
Die Hedgefonds haben leichtes Spiel: Ängste vor dem wachsenden Schuldenberg, einem hohen Hauhaltsdefizit, politischer Unsicherheit und einer Herabstufung durch die Ratingagenturen bilden ein perfektes Gemisch, um Wetten gegen das krisengeschüttelte Land zu platzieren. Nein, es geht nicht um das marode Griechenland, sondern um die Wirtschaftsmacht Großbritannien, die vergangene Woche Ziel spekulativer Attacken war. Das Pfund verlor dramatisch, die Anleihen kamen unter Druck.
Es ist nicht mehr nur die kritische Finanzsituation der PIIGS-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien), die bei Anlegern für Albträume sorgt. Längst ist auch die überbordende Staatsverschuldung etablierter Industrienationen in den Fokus gerückt. Die Zweifel an der langfristigen Haushaltssanierung etwa der Briten wachsen derzeit so schnell wie der Schuldenberg auf der Insel. Schon prophezeien Ökonomen wie Kenneth Rogoff aus Harvard eine Zeitenwende. „In der Regel sehen wir in den Jahren nach einer Bankenkrise eine Reihe von Staatspleiten. Ich sage voraus, es wird wieder geschehen.“ Als ersten Kandidaten einer möglichen Pleitewelle identifiziert Rogoff dabei Griechenland.
Kein Wunder, sind doch die Aussichten des EU-Mitglieds alles andere als rosig, da es seit dem Beitritt zur Eurozone massiv über die Verhältnisse gelebt hat. Nicht nur, dass die Schulden seither immer stärker wachsen. Gleichzeitig ist die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Industrie aufgrund starker Lohnerhöhungen und geringer Produktionsfortschritte massiv gesunken. Inzwischen belastet den Haushalt in Athen eine Schuldenlast von 110 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes, die Neuverschuldung liegt bei 12,7 Prozent.
Nun will Griechenlands Premier Giorgos Papandreou 2010 das Haushaltsdefizit um vier Prozentpunkte abbauen, um das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. Dazu werden unter anderem die Mehrwertsteuer erhöht, die Gehälter der Staatsbediensteten, das Weihnachtsgeld und das Ferien- und Ostergeld gekürzt.
Auch wenn die Risikoaufschläge für griechische Staatsanleihen im Vergleich zu den Bundesanleihen noch immer hoch sind, hat der Sparkurs die Märkte erst einmal beruhigt. Eine zehnjährige Anleihe mit einem Volumen in Höhe von fünf Milliarden Euro konnte am Donnerstag erfolgreich platziert werden. Gerade noch rechtzeitig. „Die kommenden beiden Monate sind für die griechische Schuldenproblematik von entscheidender Bedeutung“, erklärt Jörg Zeuner, Chefvolkswirt bei der VP Bank. Grund: Im April und Mai müssen die Griechen knapp 23 Milliarden der insgesamt 50 Milliarden Euro in diesem Jahr für den Schuldendienst an den Kapitalmärkten aufnehmen.
Doch ob die Sparmaßnahmen mittel- und langfristig den gewünschten Erfolg haben werden, muss sich erst zeigen. Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts in München, ist zumindest skeptisch: „Griechenland geht dieses Jahr in die Insolvenz, wenn ihm nicht geholfen wird.“ Er nennt drei Möglichkeiten, die Staatspleite zu verhindern: Inflation, die Neueinführung der Drachme oder finanzielle Hilfsmaßnahmen.
Sollte sich Griechenlands Situation erneut verschärfen, dürften auch die Probleme von Portugal und Spanien eskalieren, die ebenfalls unter hoher Neuverschuldung, steigender Arbeitslosigkeit und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit leiden. Schon ist ein europäischer Notfonds im Gespräch, um die Problemländer im Notfall finanziell zu stabilisieren.
Trotz möglicher Finanzhilfen für die Randzonen der Währungsunion taugen die PIIGS kaum als Prügelknaben. Denn auch das Geschäftsmodell der etablierten Industrienationen, das heutige Ausgaben wie Rentenansprüche, Sozialleistungen und Subventionen mit morgigem Wachstum finanzieren helfen soll, steht immer stärker in der Kritik.
So drohte die Ratingagentur S & P im Verlauf der vergangenen Woche, britischen Anleihen den AAA-Status als hervorragender Schuldner zu entziehen. Schließlich läuft auch in London derzeit ohne neue Schulden so gut wie nichts mehr. Das Haushaltsdefizit beträgt für 2010 rund 12,6 Prozent. Die Insel befindet sich dabei in bester Gesellschaft: Als US-Präsident Barack Obama im Februar seinen Haushaltsplan für 2011 vorstellte, drohte auch die Ratingagentur Moody’s angesichts des gewaltigen Defizits von 1600 Milliarden US-Dollar (rund elf Prozent der Wirtschaftsleistung) allein für 2010 mit der Herabstufung von US-Bundesanleihen. Das Misstrauen der Investoren gegenüber den etablierten Nationen wächst. Dies zeigt sich auch am Handelsvolumen von Kreditausfallversicherungen für britische und US-amerikanische Staatsanleihen, das sich seit Beginn des Jahres in etwa verdoppelt hat.
Angesichts der Schuldendynamik ist das Geschäftsmodell der westlichen Industriestaaten mittelfristig in Gefahr. Diese schöpften über Jahrzehnte ihre politische Anziehungskraft und gesellschaftliche Integrationsfähigkeit aus einem bedingungslosen Wohlstandsversprechen. „Wir leben seit Langem auf Pump. Seit den 70er-Jahren hat man in der Bundesrepublik immer mehr ausgegeben als eingenommen“, meint der prominente Historiker und Publizist Arnulf Baring. „Die Staatsausgaben sind völlig außer Rand und Band geraten.“
Riesige Schuldenberge, alternde Gesellschaften, überbordende Sozialausgaben, bestenfalls moderate Wachstumsraten und daraus resultierend niedrige Einnahmen bringen Haushaltspolitiker in Europa, Japan und den USA ins Schwitzen. Die Kosten für die während der Finanz- und Wirtschaftskrise geschnürten Konjunktur- und Rettungspakete verschärfen die Situation.
Während die Schwellenländer im vergangenen Jahrzehnt vom Schuldner zum Gläubiger des Westens aufgestiegen sind, explodieren die Gesamtverbindlichkeiten der Kernländer der westlichen Wirtschaft laut OECD. Den Schuldenrekord hält dabei Japan mit 204 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Aus Angst vor einem Übergreifen der griechischen Krankheit erwägt die Regierung in Tokio nun die Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Doch auch in anderen Ländern geht es mit den Verbindlichkeiten steil nach oben. Allein zwischen 2007 und 2011 steigt die Schuldenlast in den USA von 62 auf geschätzte 100, in Deutschland von 65 auf 85 und im Vereinigten Königreich von 47 auf 94 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nicht eingerechnet sind dabei die Schulden der Privathaushalte. In den USA beläuft sich daher die Gesamtverschuldung schon auf über 200 Prozent des BIP.
Sollten die Staaten ihr Haushaltsdefizit nicht entschieden verringern, droht ihnen der Kollaps. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) warnt, dass sich die Verschuldung der Industriestaaten ohne Gegenmaßnahme bis 2040 mindestens verdreifacht. Bis zu 25 Prozent der Staatseinnahmen würden dann allein in Zinszahlungen fließen. Das höhere Ausfallrisiko für neue Kredite müsste dann bei der Emission neuer Anleihen bereits eingepreist werden, was die Schuldendynamik weiter beschleunigt.
So düster dieses Szenario ist, so schwierig sind auch die Wege aus der Schuldenfalle. Der Königsweg – kräftiges Wachstum – entpuppt sich als problematisch. So stellten die Ökonomen Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart jüngst fest, dass bei einer Staatsverschuldung von über 90 Prozent des BIP mit einem Rückgang des Wirtschaftswachstums um mindestens einen Prozentpunkt pro Jahr zu rechnen sei, da Geld in den Schuldendienst statt in wichtige Investitionen wie Bildung oder Infrastruktur fließen. Die Wachstumsaussichten in Europa, den USA oder Japan werden von Analysten daher bestenfalls moderat eingeschätzt. Auch der Weg über Mehreinnahmen durch höhere Abgaben kostet Wachstum. „Die Staaten stehen derzeit vor dem Dilemma, dass einerseits Schulden abgebaut werden sollen, andererseits der Aufschwung nicht abgewürgt werden soll“, sagt Zeuner.
Heiß diskutiert wird auch die von Rogoff und dem Chefökonom des Internationalen Währungsfonds Olivier Blanchard ins Spiel gebrachte Senkung der Realschulden durch eine höhere Inflationsrate. Doch nicht nur US-Notenbankchef Ben Bernanke hält dieses Mittel für zu gefährlich. „Finanzpolitisch wäre eine Inflation im mittleren einstelligen Bereich sicherlich nicht falsch“, so Zeuner. „Allerdings ist das jetzige Umfeld mit der geringen Glaubwürdigkeit der politischen Entscheidungsträger hierfür nicht geeignet, da bei den Menschen schnell zu hohe Inflationserwartungen entstehen würden. Dies wäre im Hinblick auf das Wirtschaftswachstum nicht wünschenswert.“
Bleiben Senkungen auf der Ausgabenseite, etwa Kürzungen in den Sozialsystemen oder Bürokratieabbau. Wie es gehen könnte, hat Lettland vorgemacht, das angesichts des drohenden Staatsbankrotts Kürzungen von 16,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts durchsetzte – das radikalste Sparprogramm in ganz Europa. „Das Beispiel zeigt, dass sehr, sehr große Haushaltsanpassungen nicht nur nötig, sondern möglich sind“, sagte Präsident Valdis Zatlers Ende Januar auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.
Doch so weit sind die westlichen Industriestaaten noch lang nicht. „In den nächsten Jahren wird sich an der Haushaltspolitik der Staaten nichts ändern, da Einsparungsmaßnahmen unpopulär und deshalb in einem parlamentarischen System nicht durchsetzbar sind“, glaubt Vermögensverwalter Johannes Führ.
Von dem Ausmaß der Maßnahmen wird aber abhängen, wie lange noch Staatsanleihen aus den USA, Großbritannien oder Deutschland als sicher gelten. Ausgehend von ihrem risikolosen Zinssatz wird das Risiko-Rendite-Verhältnis aller anderen Assetklassen bewertet. „Auf den Staatsanleihen der USA und auch Deutschlands ruht letztlich das Vertrauen der ganzen Welt“, so der renommierte Tübinger Volkswirt Joachim Starbatty. „Wird dieses Vertrauen zerstört, bricht der Wirtschaft insgesamt das Fundament weg.“
Kurzfristig wird es kaum zum Kollaps des westlichen Wirtschaftssystems kommen. Rogoff geht aber davon aus, dass Deutschland, Japan und die USA in eine Ära des niedrigen Wachstums eingetreten sind. Auch Bill Gross, Chef des weltgrößten Anleiheinvestors Pimco, geht von einer geringeren Wachstumsdynamik in den Industriestaaten aus, die sich auf die Rendite für Anleger niederschlägt. In einer Welt mit geringerem Wachstum rät Ad van Tiggelen, Senior-Investment-Spezialist der ING-Bank, zu Dividendentiteln, die weniger auf ein günstiges konjunkturelles Umfeld angewiesen sind als Wachstumsaktien. Auch Aktien und Bonds aus den aufstrebenden Schwellenländern, deren Verschuldung seit Jahren zurückgeht, sind eine lukrative Alternative.
Platzt die Schuldenblase aber tatsächlich, sind die Auswirkungen nur schwer absehbar. „Letzte Häfen der Zuflucht sind dann für Anleger, die ihren Lebensabend sichern wollen, wirklich bloß noch das Gold und unter den Staatsanleihen die der Schweiz“, prophezeit Starbatty. „Aber das möge Gott verhüten.“
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Strategien für eine neue Welt
Dividenden und Gold im Fokus
Die „neue Normalität“ für die Industriestaaten, wie sie von Experten wie Bill Gross von Pimco, einem der weltweit größten Vermögensverwalter, prophezeit wird, soll aufgrund der hohen Schuldenlast öffentlicher und privater Haushalte durch geringes Wirtschaftswachstum geprägt sein. Schlechte Aussichten für Unternehmen, die nur in guten Konjunkturzyklen aufblühen. Dividendenaktien oder Unternehmen mit solider Substanz bieten dagegen stetige Erträge.
Der Dividendenfonds DWS Top Dividende vereint beides (ISIN: DE 000 984 811 9). Wer sich auf der Suche nach Wachstumsmärkten befindet, sollte auf globale Megatrends setzen. Eine wachsende Weltbevölkerung will ernährt werden, was Agrarflächen zu einem sicheren und lukrativen Investment macht, hier sind Fonds auf Agrarrohstoffe interessant.
Auch von der alternden Bevölkerung der Industriestaaten können Anleger profitieren: Allianz Global Investors rechnet bis 2050 mit einem Anstieg der Gesundheitskosten in einigen westlichen Ländern auf bis zu 15 Prozent der Wirtschaftsleistung. Davon dürften Pharmaunternehmen und Medizintechnikfirmen profitieren. Der Fonds UNISector: Biopharma (LU 010 144 108 6) ist daher empfehlenswert.
Für Goldfans bietet sich neben dem Kauf von physischem Gold auch die Möglichkeit, in mit dem Edelmetall unterlegte Schuldverschreibungen wie den ETFS Physical Swiss Gold (DE 000 A1D CTL 3) zu investieren.
Schwellenländerinvestments
Aktien und Anleihen
Das hohe Wachstum verbunden mit geringer Verschuldung macht Anlagen in Schwellenländer interessant. Einer der besten Fonds für Schwellenländeraktien der vergangenen zehn Jahre ist der Comgest Magellan (FR 000 029 227 8) mit einem Plus von über 168 Prozent in der vergangenen Dekade. Ebenfalls interessant sind die Anleihen aus den Emerging Markets, die bei Anlageprofis hoch im Kurs stehen. Eines der besten Portfolios ist der Templeton Emerging Markets Bond Fund, der im vergangenen Jahr über 55 Prozent zugelegt hat. Fondsmanager Michael Hasenstab setzt derzeit stark auf Staatsanleihen aus Venezuela und Südkorea, die knapp 20 Prozent des Portfolios ausmachen.
Ouzo-Bonds
Riskante Wette auf Erholung
Nur für sehr risikobereite Optimisten, die auf eine Beruhigung der Krise durch Sparmaßnahmen und Finanzhilfen durch die EU setzen, bieten sich Staatsanleihen aus Griechenland an. Die Bonds werfen aufgrund des höheren Risikos im Vergleich zu Bundesanleihen deutlich höhere Renditen ab. Anleger sollten möglichst kurze Laufzeiten wählen, um das Risiko eines Ausfalls zu minimieren. Zudem sollten Investoren die Ouzo-Bonds nur als Depotbeimischung nutzen.
GR 012 401 549 7
GR 012 401 852 5
GR 011 402 045 7
GR 011 402 146 3
GR 012 402 660 1
Schuldenentwicklung
Verkehrte Welt
Das Attribut „Schuldenstaaten“ brachte man in der Vergangenheit mit Emerging Markets in Verbindung. Doch gemessen an der Wirtschaftsleistung ist der Schuldenstand in Industrienationen deutlich höher als in Schwellenländern. Rohstoffreserven und der Aufstieg einer konsumorientierten urbanen Mittelschicht befeuern dort das Wirtschaftswachstum, was den Haushalten zugutekommt. Im Westen explodieren die Schulden dagegen.
Zinsentwicklung
Schuldenspirale in den Abgrund
Steigende Schulden führen zu höheren Zinsen. Bleibt etwa das britische Haushaltsdefizit auf dem Niveau von 2011, erhöht sich die Schuldenlast auf der Insel laut einer Modellrechnung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich bis 2040 auf über 500 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). 30 Prozent des BIP würden dann allein von Zinszahlungen aufgefressen. Nur ein Kurswechsel kann den Kollaps noch verhindern.
Staatspleiten
Nach der Krise kommt die Pleite
„Dieses Mal ist es anders“ nannten die Ökonomen Rogoff und Reinhart ihre Studie über Etatkrisen seit dem 14. Jahrhundert. Ihre These: Auf jeden Aufschwung folgt ein Absturz, der Staaten in die Pleite treibt. Doch während der Boomphasen finden Propheten des Untergangs naturgemäß kaum Gehör. Werden Staatskassen aber durch Kriege, Revolutionen oder Finanzkrisen überdurchschnittlich belastet, treten bestehende fiskalische Probleme offen zutage. Dann platzen Blasen, die sich während der Euphorie des Aufschwungs gebildet haben. Auch Investmentlegende Warren Buffett weiß: Erst bei Ebbe sieht man, wer in der Flut ohne Badehose geschwommen ist. Eine Regel, die auch für Staatskassen gilt.