Euro am Sonntag-Meinung

Konjunktur beleben: Zwei Wege, ein Ziel

12.11.17 03:00 Uhr

Konjunktur beleben: Zwei Wege, ein Ziel | finanzen.net

Die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan stehen vor der Drosselung ihrer extrem ungewöhnlichen Politik. Doch werden Unterschiede, darunter kulturelle Faktoren, bei der Wahl der Maßnahmen eine wichtige Rolle spielen.

Werte in diesem Artikel
Devisen

14.779.978,3185 JPY -98.309,3528 JPY -0,66%

163,3625 JPY 0,3230 JPY 0,20%

0,0000 BTC -0,0000 BTC -3,34%

0,0061 EUR 0,0000 EUR -0,14%

0,0064 USD 0,0000 USD -0,13%

156,6420 JPY 0,2125 JPY 0,14%

von John Vail, Gastautor für €uro am Sonntag

Trotz des großen Trubels, der darum gemacht wird, hat Japan nie wirklich eine negative Zinspolitik eingeschlagen. Im Januar 2016 führte die Bank of Japan (BoJ) lediglich Negativzinsen für Bankreserven ein, die aber nur eine Handvoll ­Banken - praktisch alle quasi-staatlichen Institute - zu spüren bekamen. In Folge dessen fielen zehnjährige japanische Staatsanleihen von 20 Basispunkten auf knapp null zurück; im Juni desselben Jahres gaben sie auf minus 30 Basispunkte nach und stiegen gegen Jahresende wieder auf null an. Seitdem pendeln sie bei knapp über null, und die BoJ hat diese Rate im September 2016 mit ihrer Maßnahme der Zinskurvenkontrolle bei "nahe null" fixiert. Sie war eine von vielen neuen geldpolitischen Erfindungen der BoJ. Da sie schon seit Jahren mit einer niedrigen Inflation konfrontiert gewesen war, erfand sie Anfang 2000 das moderne QE.



Beide Zentralbanken drosseln ihre Ankaufprogramme

Warum verfolgte Japan keine negative Zinspolitik wie die Europäische Zentralbank (EZB)? Erstens gab es in Japan keine Bankenkrise, und zweitens verschmähen die Japaner generell ausgefallene Maßnahmen: Die Geschäfts- und Bankenwelt war von der Einführung der Quasi-Negativzinsen der BoJ geschockt und setzte durch, dass sie nicht noch weiter gesenkt wurden. Hingegen empfinden die Japaner die Zinskurvenkon­trolle nicht als abwegig, sondern halten sie für eine akzeptable Maßnahme.

Jahrzehntelang versuchten Regierungsorganisationen und Unternehmensverbände, die Preise stabil zu halten. Diese Aufrechterhaltung hat zwar mit der Zeit abgenommen, da die Bürokratie an Macht verloren hat, aber sie ist in der japanischen Kultur weiterhin stark verwurzelt. Die Kontrolle der Zinskurve hat Stabilität ermöglicht, aber irgendwann wird die BoJ ihr Ziel erhöhen müssen. Es scheint ziemlich wahrscheinlich - teilweise aufgrund kultureller Faktoren, aber auch aufgrund der Gefahr eines ­Taper Tantrums -, dass die BoJ die langfristigen Zinsen in absehbarer Zeit festsetzen wird.



Dabei sollte man bedenken, dass die japanischen Banken seit der Immobilien- und Aktienmarktblase der späten 80er-Jahre, für die man ihnen die Schuld anlastete, sehr vorsichtig agieren: Die japanische Kultur verabscheut Fehler, Krisen und vor allem Anschuldigungen. Im Gegensatz zu den europäischen Banken beteiligten sich die japanischen nicht an aggressiven Finanzinvestitionen, und es gab keine durch Banken angeheizte Immobilienblase oder eine sonstige Art von Spekulation.

Die EZB entschied sich dagegen für deutlich negative Nominalzinsen, um einen Anreiz für Kapital­investitionen in die Realwirtschaft zu schaffen und die Kreditvergabe der Banken mitsamt den damit verbundenen längerfristigen Refinanzierungsgeschäften zu beflügeln. Bislang zeigt die EZB - wahrscheinlich, weil es in Europa größere Tendenzen zu einem freien Markt gibt als in Japan - kein Interesse an einer offiziellen Kon­trolle der Zinskurve zur Vermeidung eines Taper Tantrums.


Beide Zentralbanken drosseln ihre Anleihenkaufprogramme im Rahmen des QE, sobald wieder ein nachhaltiges Vertrauen in die Wirtschaft besteht. Die BoJ kauft schon seit einer Weile weniger Anleihen als geplant. Das war aber nur möglich, weil sie mit ihrem Hauptziel der Zinskurvenkontrolle von etwa null Prozent erfolgreich ist. Die Tatsache, dass sich Auswirkungen der vorigen großen Bankenkrise in Europa weitgehend normalisiert haben und die Wirtschaft endlich um deutlich mehr als ein Prozent wächst, hat die EZB dazu veranlasst, ihre Geldpolitik schrittweise zu straffen.

In Japan gibt es schon seit vielen Jahrzehnten keine Inflation, während die Teuerung in der Eurozone, abgesehen von ein paar Krisenmonaten, positiv ist. In beiden Währungsräumen besteht Zuversicht hinsichtlich eines vernünftigen künftigen Inflationsniveaus, was beide Zentralbanken sich selbst als ihren Erfolg bescheinigen können und was ihnen die Straffung ihrer extrem lockeren Geldpolitik ermöglicht.

Beide Notenbanken verfolgen sogar noch ungewöhnlichere Maßnahmen: den Ankauf großer Mengen von Aktien-­ETFs durch die BoJ und von Unternehmensanleihen durch die EZB. Man sollte meinen, dass diese beim Tapering Priorität hätten, aber die BoJ zeigt keine Anzeichen für eine Drosselung ihrer ETF-Käufe, während die meisten Volkswirte davon überzeugt sind, dass die EZB ihre Käufe von Unternehmensanleihen in Relation zu den Staatsanleihekäufen zurückfahren wird.

Wechselkurse spielen beim Wirt­schafts­optimismus einer Zentralbank zweifellos eine große Rolle. Der BoJ und der EZB ist eindeutig bewusst, dass ihre Länder in fast jedem Markt konkurrieren, einschließlich in ihrem eigenen. Deshalb möchten beide eine starke Währung verhindern. Seit Ende 2009 unterliegt der Wechselkurs EUR/JPY starken Schwankungen. Es ist daher ­äußerst wahrscheinlich, dass die Zen­tralbanken mit geldpolitischen Maßnahmen reagieren werden, wenn dieser Kurs für längere Zeit zu stark von seinem derzeitigen Niveau abweicht.

Zinsen auf ein Niveau nahe
der Inflationsrate anheben

Kulturelle Faktoren haben zu den Unterschieden in der Geldpolitik der BoJ und der EZB beigetragen und werden sich auch bei der Straffung bemerkbar machen. Wir erwarten, dass die BoJ die Rate der Zinskurve im zweiten Quartal 2018 um 20 Basispunkte erhöhen und damit Japans Vorliebe für kontrollierte Preise und Stabilität folgen wird. Unterdessen sollte die EZB ihre lockere Geldpolitik im Verlauf von 2018 ­zurückfahren und gegen Ende eine Zins­erhöhung signalisieren. Die Anleiherenditen in Japan sollten daher viel weniger schwanken als in der Eurozone. Längerfristig dürfte die BoJ sogar die Reinvestition von japanischen Staatsanleihen stoppen, wenn es die Renditen auf ein Niveau geschafft haben, das eine signifikante Nachfrage am Markt erregt.

Die EZB wird ihre Anleiherenditen aufgrund der Tendenz zu einem freien Markt nicht offiziell steuern, aber sie dürfte ihr Tapering gegebenenfalls anpassen und ein Auslaufen der Anleihen bis zu ihrer Fälligkeit gestatten, wenn es die Nachfrage aus dem Privatsektor ­erlaubt. Diese Schritte werden bis zu ­einem gewissen Grad von Wechselkurs­überlegungen und der Wahrscheinlichkeit begleitet werden, dass beide Notenbanken 2019 ihre Zinsen zeitgleich auf ein Niveau nahe der Inflationsrate anheben werden.

Kurzvita

John Vail
Chefstratege bei Nikko Asset Management
Vail gehört dem Team von Nikko Asset ­Management in Tokio seit dem Jahr 2000 als Leiter der globalen Makro­strategie für alle Anlageklassen an. Seine Karriere begann Vail 1985 bei Fidelity International in Hongkong.
Mit aktuell umgerechnet rund 184 Milliarden US-Dollar verwaltetem Vermögen ist Nikko ­Asset Management einer der größten seiner Branche in Asien.

Bildquellen: Nikko Asset Management , LisaS. / Shutterstock.com