Munich Re-Wetterexperte Faust: "Plötzlich Stürme wie am Fließband"
Eberhard Faust, der Forschungsleiter für Klimarisiken und Naturgefahren von der Munich Re, erläutert im Interview mit €uro am Sonntag die Risiken für den Konzern.
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von Wolfgang Ehrensberger
Bis Ende August sah es nach einem ruhigen Verlauf der diesjährigen Hurrikansaison aus. Doch im September sprang die Sturmaktivität im tropischen Nordatlantik Anfang September plötzlich an. Mit Hurrikan Florence steuert der erste schwere Hurrikan der Saison mit Windgeschwindigkeiten bis über 200 Stundenkilometer auf die US-Südostküste zu. Eberhard Faust, Forschungsleiter Klimarisiken und Naturgefahren von Munich Re, erläuterte gegenüber €uro am Sonntag die Risiken.
€uro am Sonntag: Wie ist die diesjährige Sturm-Saison bislang verlaufen?
Eberhard Faust: Bis Ende August blieb die Tropensturmsaison im Nordatlantik recht glimpflich. Es gab bis dahin fünf tropische Wirbelstürme, davon erreichten nur zwei Hurrikanstärke, also Windgeschwindigkeiten von mindestens 119 km/h (74 mph). Landfall machte nur Tropensturm Alberto. Der Index der durch den Wind der Stürme freigesetzten kinetischen Energie der Saison, ACE (Accumulated Cyclone Energy), als aggregierender Indikator erreichte bis dahin nur 57 Prozentdes Durchschnittswertes (1981-2010). In den ersten Septembertagen hingegen sprang die Sturmaktivität an. Binnen weniger Tage bildeten sich vier weitere Stürme, darunter Florence. Der ACE-Index erreichte per 10. September bereits 110 Prozent des langfristigen Durchschnittswertes bis zu diesem Termin.
Was hat plötzlich das Entstehen dieser heftigen Stürme begünstigt?
In den vergangenen Monaten war die Meeresoberflächentemperatur im tropischen Nordatlantik kühler als üblich. Zudem war die Luft in der Atmosphäre in fünf bis sechs Kilometern Höhe über dem Meer sehr trocken, was ebenso die Entstehung von Wirbelstürmen hemmt. In den vergangenen Wochen haben sich die klimatischen Rahmenbedingungen geändert: Die Meerestemperaturen kletterten Ende August / Anfang September in südlichen Teilen sogar auf überdurchschnittliche Werte, während die negativen Abweichungen im nördlichen tropischen Bereich verschwunden waren. In dieser Zeit bildete sich Hurrikan Florence. Inzwischen sind die Temperaturen im östlichen tropischen Bereich des Nordatlantik wieder leicht unterdurchschnittlich geworden.
Was bedeutet das für die Sturmbildung?
Wichtig dürfte sein, dass in einem Teil der Hauptentstehungsregion von tropischen Wirbelstürmen im Mittel über die erste Septemberwoche hinweg die Scherwinde abgenommen haben, also Winde in unterschiedlicher Richtung und Geschwindigkeit in der Höhe und nahe an der Meeresoberfläche. Eine geringe vertikale Windscherung lässt tropische Wirbelstürme leichter entstehen und sich organisieren. Auch ist der Luftdruck über dem tropischen Atlantik gesunken, wodurch die Instabilität der Atmosphäre zunahm - auch das ist förderlich für tropische Wirbelstürme. Ein weiterer Punkt: Der eigentlich erwartete Beginn einer El-Niño-Phase im äquatorialen Pazifik verzögert sich weiter, die eine dämpfende Wirkung auf die Hurrikane im Atlantik hätte. Es spielen also viele Faktoren eine Rolle.
Wie heftig könnten die Stürme bis Ende der Saison Ende November noch werden?
Das ist schwer zu sagen. Viel hängt davon ab, ob und wann es tatsächlich zu einer El-Niño-Phase im Pazifik kommt. Diese war ursprünglich für August oder September erwartet worden. Zuletzt lautete die Erwartung im Mittel über ein Ensemble wichtiger Vorhersagemodelle eher auf Oktober, also nach dem Monat September, in dem im Langfristmittel die meisten tropischen Wirbelstürme entstehen. Tatsächlich ist der wirkliche Beginn einer El-Niño-Phase, einer mehrjährigen natürlichen Klimaschaukel im Pazifik, sehr schwer vorherzusagen. Die Hurrikansaison 2018 könnte also am Ende durchaus in einem Korridor um den langfristigen Durchschnitt (11,8 tropische Stürme, davon 6,4 Hurrikane) liegen, bei tatsächlicher Verzögerung des Einsetzens von El Niño bis sehr spät ins Jahr sogar darüber. Übrigens, im Nordwest-Pazifik ist die Taifunsaison von einer überdurchschnittlich hohen Zahl von Stürmen geprägt, der ACE-Index lag am 10. September 21 Prozentüber normal. Die in südlichen Teilen des Nordwest-Pazifik überdurchschnittlichen Wassertemperaturen sind einer der Gründe dafür.
Wichtig ist zu wissen, dass der Landfall nur eines einzelnen schweren Hurrikans extreme Schäden verursachen kann. Die Maßnahmen zur Vorbereitung auf einen Sturm und zur Schadenbegrenzung etwa durch stabilere Gebäude dürfen also nicht nachlassen, egal wie die Vorhersagen ausfallen.
Kurzvita
Dr. Eberhard Faust
Head of Research: Climate Risks and Natural Hazards Munich Re
Eberhard Faust ist bei Munich Re unter anderem für das wissenschaftliche Monitoring von Risiken aus Naturgefahren verantwortlich, die durch natürliche Klimavariabilität und den anthropogenen Klimawandel verändert werden. Er leitet die darauf bezogene Forschungsarbeit im Bereich Corporate Underwriting / Accumulation Risks von Munich Re. Er wurde als Diplom-Geoökologe mit den Schwerpunkten Meteorologie und Hydrologie ausgebildet. Gleichzeitig ist er promovierter Geisteswissenschaftler (Universität Heidelberg). Er verfasste als Autor und als Koautor zahlreiche Artikel und Papers zu Naturgefahren-Themen. Als lead author für den Fünften Sachstandbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), erschienen 2013-2014, arbeitete er am Kapitel 10 "Key economic sectors and services" (WG II) mit.
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