Euro am Sonntag-Interview

Fahrenholz: "Linke Spur und Vollgas durch alle Phasen"

02.09.17 12:18 Uhr

Fahrenholz: "Linke Spur und Vollgas durch alle Phasen" | finanzen.net

Nikita Fahrenholz » Ungewöhnlich am Gründer der Putzhilfe-Plattform Book A Tiger sind nicht nur seine Tests zur Mitarbeiter-Motivation. Das Start-up könnte bereits der zweite Börsenkandidat des Multitalents werden.

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von Renato Leo, €uro am Sonntag

Er ist nicht nur in seiner Freizeit ex­trem schnell: Hobbyrennfahrer Nikita Fahrenholz, gerade mal 32 Jahre alt, schrieb mit ­Delivery Hero bereits ein Stück deutscher Start-up-Geschichte. Ende Juni ging der von Fahrenholz mitgegründete, international aufgestellte Online- Essenslieferant an die Börse. Es war mit knapp einer Milliarde Euro Volumen die bislang größte Börsenpremiere des Jahres in Deutschland.



Bereits der Verkauf von Anteilen im Jahr 2014 dürfte den Ex-Berater zum Multimillionär gemacht haben. Fahrenholz gibt weiterhin Gas, sein Ziel: von Kreuzberg aus den Markt für Putzdienste aufzurollen. Ein Gespräch über den ganz normalen Gründerwahnsinn Made in Germa­- ny, die Jagd auf das nächste Einhorn - und warum die deutsche Hauptstadt besser ist als das Silicon Valley.

€uro am Sonntag: Herr Fahrenholz, Sie waren erst 25, als Sie Lieferheld.de gegründet haben, aus dem später dann Delivery Hero hervorgehen sollte. Wie haben Sie diese Zeit damals erlebt?
Nikita Fahrenholz: Es war wie ein Crashkurs in Sachen Unternehmertum - linke Spur, Vollgas durch alle Phasen. Ich habe relativ schnell M & A-Deals mit einem Volumen von mehreren zig Millionen Euro gemacht. Das war für mich als Jungunternehmer sehr lehrreich, weil ich eine gute Perspektive auf die Dinge bekommen habe und mir schnell eine dicke Haut zulegen konnte. Aber es war auch brutal anstrengend - psychisch, aber auch physisch. Als ich meinen Mitgründer Claude Ritter kennenlernte, hatte er pechschwarzes Haar. Heute könnte er als George-Clooney- Doppelgänger durchgehen - und das mit Anfang 30. Trotzdem möchte ich diese Zeit niemals missen. Es war eine Mega-Erfahrung.

Sie sind 2014 aus dem operativen Geschäft ausgestiegen und haben Anteile an Delivery Hero verkauft, um sich sofort auf das nächste Projekt zu stürzen. Viele Ihrer Kollegen lassen es nach ­einem Exit erst mal ruhig angehen.
Ich kann einfach nicht ruhig sein. Dafür bin ich zu sehr Getriebener. Ich fühle mich wohl in der Rolle des Problem­lösers und mag es, einen Status quo auf links zu drehen, der mir sinnlos erscheint. Ich entwickle dann eine emotio­nale Passion für eine neue Lösung. Das ist das Triebwerk für mich als Gründer.

Mit Book A Tiger haben Sie eine Plattform für die Vermittlung von Putzkräften gegründet. Wie kam es zur Idee?
Wir haben uns dem Thema sehr pragmatisch genähert. Es gibt diesen Spruch: Software eats the world. Wir haben geschaut, in welchen Branchen demnächst die große Disruption stattfinden könnte, und sind dann ziemlich schnell auf Facility Management gekommen, wo jedes Jahr Milliarden Euro umgesetzt werden. Die gesamte Branche war vor uns komplett offline - und damit reif für die Digitalisierung.

Ihr Mitbewerber Homejoy stellte 2015 den Betrieb ein, nachdem Vorwürfe ­wegen der Beschäftigung von Scheinselbstständigen laut wurden. War das der Grund, warum Sie kurz darauf Ihre Putzkräfte fest übernommen und damit Ihr Geschäftsmodell umgestellt haben?
Wir haben schon früh festgestellt, dass unser Modell mit selbstständigen Putzkräften so nicht funktioniert. Bei einer Fahrt mit Uber ist es dir im Grunde egal, ob dich Peter oder Marco fährt. Hauptsache, du kommst von A nach B. Unsere Kunden hingegen wünschen sich Kontinuität. Sie wollten nicht jede Woche eine andere Putzkraft bei sich im Haus haben. Der Kunde möchte, dass ein und dieselbe Person jede Woche kommt und einen richtig guten Job macht. Diese Kontinuität und Qualität konnten wir nur durch die Festanstellung der Putzkräfte gewährleisten.

Sie haben Anfang des Jahres das Ziel ausgerufen, zum vierten Quartal 2017 erstmals schwarze Zahlen zu schreiben. Liegen Sie noch im Plan?
Nein, wir werden die schwarzen Zahlen voraussichtlich im nächsten Jahr erreichen. Das liegt an unserer Fokussierung auf den B2B-Bereich. Hier investieren wir verstärkt. Zu unseren Kunden zählen beispielsweise Schulen und Fitnessstudioketten, aber auch Autohändler oder Fußballstadien.

In einem früheren Interview mit €uro am Sonntag sagten Sie, dass der Börsengang von Delivery Hero schon in einer frühen Phase logisch erschien. Verfolgen Sie auch mit Book A Tiger Börsen­ambitionen?
Wir haben es mit einem Exit oder Börsengang nicht so eilig. Unser primäres Ziel ist es, Book A Tiger nachhaltig in die Gewinnzone zu führen und profitabel zu wachsen. Wir wollen den Facility-Management-Markt revolutionieren. Mir macht es extrem viel Spaß, diese Firma zu einem Global Player aufzubauen. Ich kann mir vorstellen, dass aus Book A Tiger ein Einhorn (ein Start-up mit einer Bewertung über einer Milliarde Dollar, Anm. der Red.) werden kann. Vielleicht dauert es ein bisschen länger als bei ­Delivery Hero, aber die ersten Kennzahlen stimmen uns sehr zuversichtlich.

Sie gehören zweifelsohne zu den Gewinnern der digitalen Revolution. Können Sie die Menschen verstehen, die sich vom technologischen Wandel bedroht fühlen und um den Verlust ihrer Arbeitsplätze fürchten?
Diesen Wandel, vor dem sich alle so fürchten, nennt man Fortschritt. Es werden alte Jobs durch neue Jobs ersetzt. Unsere Gesellschaft steht in den nächsten 20 Jahren sowieso vor einer riesigen Herausforderung. Denn Robotik wird kommen und die Bereiche komplett übernehmen, in denen heute noch Menschen wiederholende Prozesse ausführen. Es ist unaufhaltsam, da gibt es keinen Bösen, der diese Entwicklung vorantreibt. Das war schon zu Zeiten der Industrialisierung so. Große Umwälzer wie Amazon oder Google als Buhmänner an den Pranger zu stellen, halte ich für falsch. Ich sehe den digitalen Wandel auch als große Chance.

Stimmt es eigentlich, dass Ihr ursprünglicher Berufswunsch Pilot war und Sie Unternehmer geworden sind, weil Ihre Teenagerliebe mit einem ­Millionärssohn durchgebrannt ist?
So ähnlich ist es gewesen, ja. Lust aufs Unternehmertum bekam ich allerdings erst später während meines BWL-Studiums in Reutlingen. Danach fing ich als Unternehmensberater bei McKinsey an und legte noch eine Station bei der ­Citigroup ein, aber nichts wollte so richtig zu mir passen. Ich bin einfach jemand, der schlecht mit Autorität und Hierarchie umgehen kann. Ich wollte lieber gegen den Strom schwimmen.

Von einer Gründerlegende, Tesla-Chef Elon Musk, wird behauptet, er würde 90 Stunden in der Woche arbeiten. Deckt sich das in etwa mit Ihrem ­Arbeitspensum?
Musks 90 Stunden klingen ein bisschen übertrieben. Aber ja, ich arbeite viel. Ich stehe zwischen vier und sechs Uhr morgens auf, trinke Kaffee und schreibe E-Mails. Um 9.30 Uhr komme ich ins Büro, habe den Tag über Meetings mit unseren Produkt- und Sales-Teams und treffe Geschäftspartner oder Investoren. Mein normaler Arbeitstag endet gegen 22 Uhr. Dann fahre ich nach Hause, esse noch etwas und gehe schlafen.

Manche nennen das Selbstausbeutung.
Das sagte mein Mitgründer neulich auch zu mir. Ich sehe es so: Es gibt Lehrjahre und es gibt Herrenjahre, und ich befinde mich noch in meiner Lehrzeit. Ich kenne auch Gründer, die einen super coolen Lifestyle haben und eine geschmeidige Balance zwischen Job und Privatleben schaffen. Ich habe nun einmal das Gefühl, dass man mit sehr viel Fleiß und Disziplin einfach weiterkommt. Das ist die Erfahrung, die ich in meiner bisherigen Karriere gesammelt habe. Herumhängen und Däumchen drehen ist nichts für mich. Da bekäme ich ein schlechtes Gewissen. In meiner Firma steckt eigenes und fremdes Kapital. Uns wurden 16 Millionen Euro an Venture Capital anvertraut, und ich bin es meinem Team, unseren Investoren und auch mir selbst schuldig, mein Bestes zu geben, um Book A Tiger zum Erfolg zu führen. Irgendwann brauche ich wohl einmal eine Pause, und dann werde ich sie mir auch nehmen. Diese Pause ist aber noch nicht jetzt.

Erwarten Sie diese Einstellung auch von Ihrem Team?
Ich verlange von meinen Mitarbeitern nicht mehr als von mir selbst. Wir suchen bei Book A Tiger nach Persönlichkeiten mit Drive, die ein bisschen edgy sind, aber auch bereit, Vollgas zu geben. Uns ist es im Prinzip egal, ob diese Person an einer Eliteuni studiert oder überhaupt eine akademische Ausbildung abgeschlossen hat. Viel wichtiger ist es, ob jemand sein Handwerk beherrscht und vielleicht auch schon eigene Projekte hochgezogen hat. Ich brauche Leute, die selbst Gründer sein könnten oder vorhaben, ihr eigenes Start-up hochzuziehen. Und mit denen man nach Feierabend gern noch ein Bier trinken geht, denn das gehört ebenfalls dazu.

Klingt gesellig, aber wie motivieren Sie Ihr Team in schwierigen Phasen?
Ich teste die Motivation meines Teams regelmäßig, indem ich jedem 1000 Euro zahle, der bereit ist, seinen Job sofort zu kündigen. Diejenigen, die bleiben, wollen 100-prozentig für uns arbeiten. Wegen ihrer Aufgabe, der Lernkurve und hoffentlich auch wegen des Vertrauens in die Arbeit des Managements.

Was raten Sie jungen Gründern?
Versuche möglichst viele Leute zu treffen, die etwas erreicht haben, und sauge von ihnen so viele Informationen auf wie nur möglich. Schreibe erfahrene Gründer an, Leute wie mich, und bitte sie um fünf Minuten ihrer Zeit, um ihnen Fragen stellen zu können. Hat man sich eine Geschäftsidee überlegt, sollte man sie so oft wie möglich pitchen, gegenüber Freunden, Familie oder Studienkollegen. Ganz wichtig: viel negatives Feedback sammeln. Die ersten zwei, drei Jahre geht es nur ums Lernen, ob es ums Coden von Software oder um den Vertrieb geht. Sales finde ich sehr wichtig, wenn man als Unternehmer ­erfolgreich sein möchte. 100 Calls am Tag sind eine sehr gute Schule. Danach weiß man, was Sache ist.

Existiert so etwas wie eine Unternehmer-DNA oder ein Charakterzug, der alle erfolgreichen Gründer, Sie eingeschlossen, eint?
Ja, ich denke schon. Wir gründen nicht aus monetären Aspekten, sondern primär aus Spaß an der Sache, und weil wir unsere Vision umsetzen wollen. Gründer haben viel mit Rennfahrern gemeinsam. Beide Berufsgruppen sind von ­einer Passion getrieben und wollen immer die Ersten sein. Und noch etwas ist charakteristisch: So ziemlich jeder erfolgreiche Gründer hat einen Sprung in der Schüssel. Ich schließe mich da nicht aus. Selbst unter unseren Investoren gibt es einige, die mich für "speziell" halten.

Knallt es auch mal, wenn spezielle Charaktere auf außergewöhnliche prallen?
Es knallt schon manchmal. Das ist aber ganz normal, wenn große Egos aufei­nandertreffen. In der Politik ist das ähnlich. Die Szene kennt sich, man respektiert einander, es gibt auch Netzwerke, in denen ein beruflicher Austausch stattfindet. Aber richtige Freundschaften untereinander sind eher selten. Dafür sind Gründer zu sehr Alphatiere.

Hat Berlin als Standort dem Silicon ­Valley etwas voraus?
Berlin ist ein cooler und enorm günstiger Standort. Man bekommt hier gute Mitarbeiter zu einem vergleichsweise günstigen Kurs, weil die Stadt eine hohe Lebensqualität bietet. Die Mietpreise sind gemessen an anderen europäischen Metropolen noch immer auf ­gemäßigtem Niveau. Berlin hat sich zu einem mächtigen Start-up-Hub für Inkubatoren, Investoren, Banken und Gründer entwickelt. Paris kann da nicht mithalten und auch London wurde längst überholt. Berlin steht als Geburtsstätte junger Unternehmen erst noch am Anfang. Da wird sich in den kommenden Jahren noch viel mehr tun.

Vita
Nikita Fahrenholz
(32) arbeitete nach dem BWL-Studium in Reutlingen ab 2009 für die Unternehmensberatung McKinsey und den Finanzdienstleister Citigroup. 2010 gründete Fahrenholz gemeinsam mit Markus Fuhrmann und Claude Ritter den Online-Essens­lieferdienst Lieferheld und expandierte unter der Dachmarke Delivery Hero in über 30 Länder. 2014 gab Fahrenholz Anteile ab und hob den Putzdienstvermittler Book A Tiger aus der Taufe. Der begeisterte Hobbyrennfahrer und Pianist lebt in Berlin.

Delivery Hero
Stabil nach Börsengang
Der Essenslieferdienst operiert international. Marken wie Pizza.de oder ­Lieferheld.de sind bereits gut etabliert, ins Marketing wird dennoch kräftig investiert. Im ersten Quartal schrieb der Konzern deshalb bei rund 120 Millionen Euro Umsatz etwa 50 Millionen Euro ­Verlust. Analysten rechnen erst 2019 mit einem Gewinn. Delivery Hero ist etwa 4,8 Milliarden Euro wert. Der Kurs hält sich seit dem Börsengang Ende Juni nach einem kurzen Einbruch recht stabil.

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Bildquellen: Max Threlfall

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