Commerzbank-Chefvolkswirt: "Ich wollte erst Journalist werden"
Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, ist einer der meistzitierten Ökonomen Deutschlands. Im Interview gibt er ungewöhnliche Einblicke in sein Leben und seine Arbeit.
Werte in diesem Artikel
von Isabell Walter, Euro am Sonntag
Doch der für die Volkswirtschaftslehre so charakteristische Dreiklang aus Theorie, Empirie und Politik laufe derzeit Gefahr, aus den Fugen zu geraten, warnt Krämer.
"Ich wünsche mir ein ausgewogeneres Verhältnis von Theorie und Empirie. Und die Einsicht, dass eine Volkswirtschaft keine Maschine ist, die die Politik nach ihren Vorstellungen steuern kann", sagt der Chefökonom des zweitgrößten börsennotierten deutschen Geldhauses im Interview.
Dabei war der Weg in diesen Beruf für Krämer keineswegs vorgezeichnet. In den 80er-Jahren arbeitete der Schüler und Student nebenbei als Journalist für Lokalredaktionen in Bonn und Siegen und für die Wirtschaftsredaktion der Deutschen Welle. "Doch während des Studiums in Bonn und Münster habe ich die Volkswirtschaftslehre immer mehr lieben gelernt", berichtet Krämer. "Irgendwann im Hauptstudium wurde mir klar, dass ich später als Volkswirt arbeiten wollte." Dabei ist es dann geblieben.
So befasst sich Krämer heute unter anderem mit den steigenden Inflationszahlen, die die Notenbanken in Zugzwang bringen könnten. Aber auch mit den Pflöcken, die der neue US-Präsident Joe Biden diesseits und jenseits des Atlantiks einschlägt.
€uro am Sonntag: Die US-Notenbank Fed lotet derzeit einen Zeitplan für Zinsanhebungen aus. Geht die Ära billigen Gelds rascher als erwartet zu Ende?
Jörg Krämer: Die US-Wirtschaft dürfte in diesem Jahr etwas stärker wachsen als die Chinas, die Inflation ist auf fünf Prozent gestiegen und die Löhne sind wieder stärker gewachsen. Insofern ist eine Diskussion über einen Ausstieg aus der sehr lockeren US-Geldpolitik mehr als verständlich. Früher oder später wird das die Aktienmärkte belasten. Schließlich spielt das billige Geld der US-Zentralbank eine wichtige Rolle, um zu erklären, warum US-Aktien so hoch bewertet sind.
Können die Notenbanken angesichts der hohen Verschuldung die Zinsen überhaupt noch anheben?
Ja, sie können noch. Aber es ist fraglich, ob sie entschieden genug gegensteuern können. Das gilt nicht nur, aber vor allem für die Europäische Zentralbank (EZB). Schließlich haben hoch verschuldete Staaten wie Italien ihre Hausarbeiten nicht gemacht und verlassen sich auf eine sehr lockere Geldpolitik der EZB. Erhöht sie aber ihre Leitzinsen, könnte Italien in Schwierigkeiten geraten, was die Stabilität der gesamten Währungsunion gefährden würde.
Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Bewertung von Aktien ein?
Die Aktienmärkte sind teuer. In den USA ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis ähnlich hoch wie im Frühjahr 2000 vor dem Platzen der Aktienblase. Auch der DAX ist überbewertet. Aber solange wir kein echtes Inflationsproblem haben, dürfte sich das Zuviel an Geld tendenziell weiter in höheren Vermögenspreisen entladen. Kommen jedoch Zweifel an diesem Szenario auf, würden die hoch bewerteten Aktien leiden.
Wann wird die Inflation zum Risiko?
In der langen Sicht erwarte ich für die westlichen Länder ein deutliches Inflationsproblem. Die Zentralbanken sind eng an die Politiker herangerückt und haben ihre Fähigkeit eingebüßt, entschieden gegen einen Anstieg der Inflation vorzugehen. Aber in den kommenden zwei Jahren sehe ich noch kein echtes Inflationsproblem. Schließlich ist die Arbeitslosigkeit in den meisten Ländern noch hoch. Das gilt vor allem für den Euroraum, wo sich der Anstieg der Tariflöhne im ersten Quartal weiter verlangsamt hat.
Welche Erwartungen haben Sie nach den ersten Auftritten von US-Präsident Joe Biden in Europa und mit Russlands Präsident Wladimir Putin?
Biden braucht die Europäer als Verbündete im Konflikt mit China. Deshalb hat er den Handelsstreit mit den Europäern entspannt. Biden hat sogar den Streit mit Deutschland über den Bau von Nord Stream 2 auf Eis gelegt.
Könnte sich der Konflikt mit China also noch verschärfen?
Demokraten und Republikaner in den USA sind sich einig in dem Bestreben, den wirtschaftlichen, politischen und militärischen Aufstieg Chinas durch Handelsbeschränkungen zu behindern. Leider wird der Handel zwischen den USA und China zurückgehen. Anders als in den sechs Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dürfte der Welthandel nur noch langsamer wachsen als das Welt-Bruttoinlandsprodukt. Wir müssen uns auf eine Deglobalisierung einstellen.
Sie selbst verfolgen das Geschehen seit mehreren Jahrzehnten. Nach dem Abitur 1986 haben Sie Volkswirtschaft studiert. Wann war Ihnen klar, dass Sie Volkswirt werden möchten?
Ursprünglich wollte ich Journalist werden. Neben Schule und Studium habe ich für Lokalredaktionen in Siegen und Bonn sowie für die Wirtschaftsredaktion der Deutschen Welle gearbeitet. Aber während meines Studiums in Bonn und Münster habe ich die Volkswirtschaftslehre immer mehr lieben gelernt. Irgendwann im Hauptstudium wurde mir klar, dass ich später als Volkswirt arbeiten wollte.
Was hat Sie denn daran so begeistert?
Mich fasziniert an Volkswirtschaftslehre der Dreiklang aus Theorie, Empirie und Politik. Die Basis der Volkswirtschaftslehre ist die Theorie, also Modelle, um etwa Konjunktur oder Inflation zu erklären. Das Arbeiten mit Daten und Statistik ist wichtig, weil ein Volkswirt überprüfen muss, ob seine theoretischen Modelle in der Realität funktionieren. Außerdem braucht er ein tiefes Verständnis für Politik, die ja für die Unternehmen und Konsumenten den Rahmen setzt. Die Volkswirtschaftslehre ist facettenreich.
Gibt es Entwicklungen, die Sie stören?
Die Volkswirtschaftslehre hat ein hohes theoretisches und empirisches Niveau erreicht. Aber einige der jüngeren Volkswirte vergessen über das empirische Arbeiten die Theorie und haben teilweise naive Vorstellungen von der Arbeitsweise der Politik. Ich wünsche mir ein ausgewogeneres Verhältnis von Theorie und Empirie und die Einsicht, dass eine Volkswirtschaft keine Maschine ist, die die Politik nach ihren Vorstellungen steuern kann.
Wenn es nicht die Volkswirtschaft geworden wäre, welche Karriere hätten Sie sich alternativ vorstellen können?
Journalismus finde ich nach wie vor spannend. Wenn ich besser zeichnen könnte, wäre auch Architektur etwas für mich gewesen. Ich bewundere Menschen, die es verstehen, zeitlos schöne Häuser zu bauen.
Bevor Sie 2006 zur Commerzbank kamen, waren Sie für das Kieler Institut für Weltwirtschaft, Merrill Lynch, Invesco Asset Management und die HVB tätig. Was ist die wichtigste Lehre, die Sie aus Ihrer beruflichen Laufbahn gezogen haben?
Das Wichtigste ist, seinen Beruf mit Leidenschaft auszuüben - das sage ich auch meinen Kindern. Wer mit Leidenschaft bei der Sache ist, kann seinen Kunden viel mehr geben - und sie danken es mit Anerkennung. Ganz nebenbei hilft das auch der Karriere.
Wie sieht ein typischer Tag in Ihrem Beruf aus?
Morgens um acht geht es mit den Meetings für den Vertrieb los. Danach bespreche ich mit den Volkswirten und Strategen, was den Kunden unter den Nägeln brennt und wie wir ihre Fragen am besten beantworten können. Ich treffe auch häufig Kunden - während der Pandemie vor allem per Videoschalte, ansonsten bei ihnen in den Büros oder auf Abendveranstaltungen an unseren Standorten im In- und Ausland. Dazwischen gibt es immer wieder Gespräche und Interviews mit Medien. Die freie Zeit dazwischen nutze ich zum Lesen und Schreiben. Meine Neugierde für volkswirtschaftliche Fragen ist ungebrochen.
Während Ihres Studiums sind Sie der Studentenverbindung Alania in Bonn beigetreten. Was konnten Sie aus dieser Zeit mitnehmen und sind Sie der Gemeinschaft bis heute verbunden?
Ich bin seit 1987 Mitglied meiner katholischen Verbindung, die übrigens nichtschlagend ist. Meine Frau und ich besuchen regelmäßig Veranstaltungen und Feiern. Es ist schön, immer wieder an den Ort des Studiums zurückzukehren und über all die Jahre Kontakt zu den Bundesbrüdern zu pflegen.
Ihr Doktorvater war Horst Siebert, damaliger Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Inwiefern hat Sie diese Zeit geprägt?
Ich habe vier Jahre in der Konjunkturabteilung des Instituts für Weltwirtschaft gearbeitet. Ich hatte wunderbare Kollegen, die mir jungen, unerfahrenen Volkswirt das wissenschaftliche Handwerkszeug beigebracht haben. Genossen habe ich auch die kreative, zutiefst liberale Atmosphäre, die Professor Horst Siebert am Institut gepflegt hat. Die Zeit in Kiel hat mich geprägt; davon profitiere ich noch immer.
Worüber haben Sie Ihre Doktorarbeit geschrieben?
Es ging um alternative Methoden, um Geldmengenaggregate zu konstruieren, mit denen man auf die lange Sicht etwas über die Inflation sagen kann. Ich habe damals viel empirisch gearbeitet.
Nicht selten orientieren sich Kinder an den Berufen ihrer Eltern. Welchen Weg haben Ihre Söhne eingeschlagen?
Sie interessieren sich auch für Wirtschaft, haben allerdings eine andere Richtung eingeschlagen. Beispielsweise hat mein ältester Sohn bei einer Unternehmensberatung für Digitalisierung angefangen - das ist ein spannendes Thema.
Welchen Rat - beruflich oder privat - würden Sie Ihrem 18-jährigen Ich aus der heutigen Perspektive geben?
Höre auf Deine innere Stimme und gehe den Weg, der zu Dir passt.
Wo finden Sie den Ausgleich zur Arbeit?
Meine Frau und ich haben rund ums Haus einen schönen Garten. Um den kümmern wir uns an den Samstagen. Wir freuen uns, wenn alles wächst und blüht. Ich liebe Gartenarbeit.
Wenn Sie einen Tag lang alle beruflichen Verpflichtungen vergessen könnten, wie würden Sie diese Zeit verbringen?
Da fällt mir viel ein. Schlummern unter dem Baum in meinem Garten. Oder zusammen mit Freunden wandern. Maßvolles Joggen tut auch gut.
Wenn es die Pandemie-Umstände wieder zulassen: Wohin werden Sie als erstes reisen?
Ich würde gerne wieder an die See reisen - auf die ostfriesischen Inseln oder an die Ostsee. Die Seeluft, die Strände und die entspannte Atmosphäre dort tun einfach gut.
Welche Menschen aus Ihrem Leben haben Sie am meisten inspiriert?
Ich möchte keine Namen nennen. Aber ich hatte immer wieder das Glück, auf Menschen zu treffen, die mir ehrliches Feedback und wichtige Anregungen gegeben haben. Auch die Kollegen im Research sind für mich sehr wichtig. Ohne den Austausch mit ihnen könnte ich meinen Job nicht machen.
Vita:
Jörg Krämer
Geboren am 7. August 1966 in Düsseldorf, studierte Jörg Krämer von 1987 bis 1992 an den Unis Bonn und Münster. Nach Promotion bei Horst Siebert am IfW Kiel und Zwischenstationen bei Merrill Lynch, Invesco und Hypovereinsbank (HVB) ist Krämer seit 2006 Chefvolkswirt und Bereichsvorstand Research bei der Commerzbank. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.
_______________________________
Ausgewählte Hebelprodukte auf Commerzbank
Mit Knock-outs können spekulative Anleger überproportional an Kursbewegungen partizipieren. Wählen Sie einfach den gewünschten Hebel und wir zeigen Ihnen passende Open-End Produkte auf Commerzbank
Der Hebel muss zwischen 2 und 20 liegen
Name | Hebel | KO | Emittent |
---|
Name | Hebel | KO | Emittent |
---|
Weitere Commerzbank News
Bildquellen: Alexandra Lechner/Commerzbank AG
Nachrichten zu Commerzbank
Analysen zu Commerzbank
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
31.01.2025 | Commerzbank Sector Perform | RBC Capital Markets | |
31.01.2025 | Commerzbank Buy | Deutsche Bank AG | |
31.01.2025 | Commerzbank Overweight | JP Morgan Chase & Co. | |
24.01.2025 | Commerzbank Buy | Warburg Research | |
22.01.2025 | Commerzbank Overweight | JP Morgan Chase & Co. |
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
31.01.2025 | Commerzbank Buy | Deutsche Bank AG | |
31.01.2025 | Commerzbank Overweight | JP Morgan Chase & Co. | |
24.01.2025 | Commerzbank Buy | Warburg Research | |
22.01.2025 | Commerzbank Overweight | JP Morgan Chase & Co. | |
10.12.2024 | Commerzbank Buy | Warburg Research |
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
31.01.2025 | Commerzbank Sector Perform | RBC Capital Markets | |
17.01.2025 | Commerzbank Sector Perform | RBC Capital Markets | |
27.12.2024 | Commerzbank Sector Perform | RBC Capital Markets | |
13.12.2024 | Commerzbank Equal Weight | Barclays Capital | |
27.11.2024 | Commerzbank Sector Perform | RBC Capital Markets |
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
21.05.2024 | Commerzbank Underweight | Barclays Capital | |
19.02.2024 | Commerzbank Underweight | Barclays Capital | |
25.01.2024 | Commerzbank Underweight | Barclays Capital | |
27.11.2023 | Commerzbank Underweight | Barclays Capital | |
08.11.2023 | Commerzbank Underweight | Barclays Capital |
Um die Übersicht zu verbessern, haben Sie die Möglichkeit, die Analysen für Commerzbank nach folgenden Kriterien zu filtern.
Alle: Alle Empfehlungen