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Ökonomen-Barometer: "Schnarchland Deutschland"

18.01.20 08:00 Uhr

Ökonomen-Barometer: "Schnarchland Deutschland" | finanzen.net

Tiefpunkt überwunden: Nach Einschätzung führender Volkswirte hellen sich die Perspektiven für die deutsche Konjunktur weiter auf.

von Wolfgang Ehrensberger, €uro am Sonntag

Das Ökonomen-Baro­meter von €uro am Sonntag hat den Er­holungskurs der vergangenen Monate im Januar 2020 beschleunigt. Dabei hat sich nicht nur die Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Lage um mehr als zehn Prozent auf 46,4 Punkte verbessert. Noch deutlicher, nämlich um annähernd 18 Prozent, legte in der jüngsten Umfrage die Pro­gnose für die kommenden zwölf Monate zu, auf nunmehr 42,9 Punkte.



"Immer mehr konjunkturelle Frühindikatoren - vom Ifo- über den ZEW-Index bis hin zu den Einkaufsmanagerindizes - vollziehen eine Bodenbildung", sagt Daniel Hartmann, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Bantleon. "Die Hinweise, dass der konjunkturelle Tiefpunkt im vierten Quartal 2019 durchschritten wurde, haben sich somit weiter erhärtet." So war der Ifo-Geschäftsklimaindex bereits im Dezember auf ein Sechsmonatshoch geklettert. Der ZEW-­Index der Konjunkturerwartungen erreichte zuletzt den besten Wert seit Februar 2018.

Dabei musste die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr einen kräftigen Dämpfer hinnehmen: Handelskrise, Brexit- Chaos und die Bremsspuren in der Autobranche haben das Wachstum des Bruttoinlands­produkts 2019 auf 0,6 Prozent gedrückt. Es ist der niedrigste Wert seit sechs Jahren. 2013 war die deutsche Wirtschaft mit nur 0,4 Prozent gewachsen, 2018 mit 1,5 Prozent und 2017 noch mit 2,5 Prozent.


Die 2019er-Zahlen gab das Statistische Bundesamt am Mittwoch in einer ersten Schätzung bekannt. Dabei erwiesen sich der solide Konsum und die boomende Baubranche weiterhin als Konjunkturstützen. Die Exportindustrie fiel dagegen im vergangenen Jahr als Wachstumstreiber aus. Im vierten Quartal gab es nach Angaben des Amtes aber "Anzeichen ­einer leichten Erholung".

"Schnarchland Deutschland"

BayernLB-Volkswirt Stefan Kipar rechnet vor allem wegen einer insgesamt moderat anziehenden globalen Nachfrage mit neuen Impulsen für die deutsche Wirtschaft 2020. Das ­gewerkschaftsnahe IMK-Wirtschaftsforschungsinstitut sieht für die deutsche Wirtschaft gute Chancen, angesichts des Dämpfers 2019 mit einem "blauen Auge" davongekommen zu sein. "Die von vielen befürchtete Rezession ist ausgeblieben", erklärt IMK-Chef Sebastian Dullien. "Die deutsche Wirtschaft dürfte Ende 2019 die Talsohle durchschritten haben. Und einiges deutet darauf hin, dass sich das Wirtschaftswachstum im Lauf des Jahres 2020 wieder allmählich beschleunigen wird."



Aber es gibt auch warnende Stimmen, etwa den Industrieverband BDI, der eine "Bodenbildung" oder Trendwende längst nicht erkennen kann und auch für 2020 ein Wirtschaftswachstum von lediglich 0,5 Prozent prognostiziert. BDI-Präsident Dieter Kempf fordert die Politik auf, mit Investitionen ­gegenzusteuern und Unternehmen zu entlasten. Es müsse schnell gehandelt werden: "Deutschland ist ein Schnarchland geworden." Kempf fordert ein auf zehn Jahre angelegtes ­Investitionsprogramm.

Im Gegensatz zum BDI erwarten die meisten Forschungs­institute jedoch für dieses Jahr wieder ein höheres Wachstum von rund einem Prozent. Ein Teil dieses Anstiegs ist allerdings auch darauf zurückzuführen, dass es 2020 wieder mehr Arbeitstage gibt als 2019.





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