VW: Einigung im Tarifkonflikt - Massiver Stellenabbau geplant
Einigung nach mehr als 70 Stunden: Volkswagen und die IG Metall haben sich kurz vor Weihnachten im monatelangen Tarifkonflikt auf einen umfangreichen Sparplan geeinigt.
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Europas größter Autobauer will in Deutschland bis 2030 mehr als 35.000 Stellen streichen und die Kapazität an den deutschen Standorten um über 700.000 Fahrzeuge reduzieren.
"Das sind harte Entscheidungen, aber auch wichtige Weichenstellungen für die Zukunft", sagte VW-Markenchef Thomas Schäfer. "Wir hatten bei den Verhandlungen drei Prioritäten: Überkapazitäten an den deutschen Standorten abbauen, Arbeitskosten senken und Entwicklungskosten auf wettbewerbsfähiges Niveau senken." Bei allen drei Themen seien tragfähige Lösungen erzielt worden.
Der Konzern bezifferte die mittelfristigen nachhaltigen Kosteneffekte des Abschlusses auf mehr als 15 Milliarden Euro pro Jahr. Davon kämen jährlich über 4 Milliarden durch die aktuellen Verhandlungen rund um Arbeitskosten, Struktur- und Produktionsmaßnahmen. "Mit dem erreichten Maßnahmenpaket hat das Unternehmen entscheidende Weichen für seine Zukunft gestellt, was Kosten, Kapazitäten und Strukturen angeht", sagte Konzernchef Oliver Blume laut Mitteilung.
Die im DAX notierte Volkswagen-Aktie lag nachbörslich auf der Handelsplattform Tradegate 1,1 Prozent über dem Schluss aus dem Xetra-Handel. Zwar traten Unternehmen und Arbeitnehmerseite erst nach dem Börsenschluss an die Öffentlichkeit. Bereits während des Handelsverlaufs hatte es aber Berichte über eine Einigung gegeben. Die VW-Aktie war im Haupthandel mit 1,7 Prozent Plus im schwachen Leitindex der zweitbeste Wert.
Die Gewerkschaft betonte, dass betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen vermieden wurden und eine neue Beschäftigungssicherung bis Ende 2030 vereinbart wurde. "Kein Standort wird dichtgemacht, niemand wird betriebsbedingt gekündigt und unser Haustarif wird langfristig abgesichert", sagte die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo. Es gebe tarifliche Zugeständnisse, aber auch eine neue Beschäftigungssicherung bis Ende 2030.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) begrüßte die Einigung als eine "gute, sozial verträgliche Lösung". Der Kompromiss stelle bei allen Härten sicher, dass der Konzern und seine Beschäftigten in eine sichere Zukunft gingen. Worum es in der Einigung geht:
Der geplante Stellenabbau
Volkswagen will bis 2030 mehr als 35.000 Stellen streichen. Der Abbau solle sozialverträglich erfolgen, teilte der Konzern in Berlin mit. Demnach sollen etwa 4.000 Jobs in der technischen Entwicklung in Wolfsburg wegfallen. Zudem werde die Zahl der jährlich angebotenen Ausbildungsplätze ab 2026 bedarfsgerecht von 1.400 auf 600 reduziert. VW spare allein durch die Arbeitskostenentlastung 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Gleichzeitig versprach der Autobauer eine Beschäftigungssicherung bis Ende 2030.
Die Beschäftigungsgarantie gehörte zu den Kernforderungen der IG Metall - die bisherige Beschäftigungsgarantie, die betriebsbedingte Kündigungen seit mehr als 30 Jahren ausschloss, hatte VW im September aufgekündigt. Sollte nun nach Auslauf der Garantie in sechs Jahren keine Anschlussregelung vereinbart werden, müsse VW eine Milliarde Euro an die Beschäftigten ausschütten, hieß es von der Gewerkschaft.
Die Zukunft der Werke
Ein weiteres Kernziel der IG Metall, ganze Werkschließungen zu verhindern, hat die Gewerkschaft erreicht. Für einige Standorte - darunter das Stammwerk in Wolfsburg - stehen aber gravierende Veränderungen an. Neben dem Abbau von rund 4.000 Stellen, steht das Aus für den Verbrenner-Golf fest. Die Produktion der Modelle Golf und Golf Variant werde ab 2027 nach Puebla in Mexiko verlagert, teilte der Konzern mit.
Künftig sollen am Unternehmensstammsitz die Elektro-Modelle ID.3 und der Cupra Born gefertigt werden. Die Zukunft des Standorts will VW mit dem elektrischen Golf und einem weiteren Modell auf der künftigen Elektroauto-Architektur SSP sichern. Auch für die bereits auf E-Autos umgestellten Werke in Emden und Zwickau scheint mit Modellen der ID-Reihe beziehungsweise E-Autos von Audi klarer.
Anders sieht das für die zuletzt als gefährdet eingestuften Standorte in Osnabrück und Dresden aus. In Osnabrück soll die Produktion des T-Roc-Cabrio bis Spätsommer 2027 verlängert werden. Darüber hinaus ist die Perspektive für die zuletzt 2.300 Mitarbeiter schwieriger zu greifen. Die Gewerkschaft formuliert das Ziel, eine wirtschaftliche Zukunftsperspektive für den Standort zu entwickeln. Vom Konzern heißt es, dass Optionen für eine andere Verwendung des Standorts geprüft würden.
In Dresden endet laut VW Ende 2025 die Fahrzeugfertigung in der Gläsernen Manufaktur. Das Unternehmen erarbeite Alternativoptionen, hieß es. Dazu gehöre auch die Möglichkeit einer Beteiligung an einem Konzept Dritter. Die IG Metall betont, dass Volkswagen auch in Zukunft mit eigenen Aktivitäten am Standort präsent sein werde.
Entwicklung der Gehälter
Bei der Entgeltfrage kommt es zu einer Nullrunde für die rund 130.000 VW-Beschäftigten. Analog zum Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie fließe ein Gehaltsplus von fünf Prozent in zwei Stufen in einen Fonds und nicht auf die Konten der Angestellten. Über diesen Fonds sollen sich beispielsweise flexible Arbeitszeitsenkungen für einen Teil der Mitarbeiter finanzieren lassen. Im November hatten Gewerkschaft und Betriebsrat dieses Konzept vorgelegt - der Autobauer habe es öffentlich abgelehnt, teilte die IG Metall mit.
Beide Seiten hätten sich außerdem auf eine Überarbeitung des inzwischen jahrzehntealten Entgeltsystems verständigt. Mit der Analyse wolle man im kommenden Jahr beginnen, mit der Umsetzung erst 2027. Ab dann könnten künftige Tarifrunden auch bei VW für neue Entgeltsteigerungen noch vor 2030 sorgen. "Damit üben sich Beschäftigte in einem temporären Verzicht, verhindern damit aber gemeinsam den Kahlschlag an den VW-Standorten und helfen sich solidarisch gegenseitig", teilte die Gewerkschaft weiter mit.
Das bisher gezahlte erhöhte Urlaubsentgelt, rund 1.290 Euro, entfalle. Ab 2027 solle ein Bonus für Mitglieder der IG Metall eingeführt werden.
Sachsens Wirtschaftsminister: Entscheidung zu VW in Dresden war absehbar
Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD) hat sich erleichtert zum Erhalt der VW-Standorte in Sachsen geäußert. "Die Entscheidung von Volkswagen, den Standort in Dresden künftig neu aufzustellen, war absehbar", erklärte er in einer Mitteilung. Er gehe davon aus, dass für die Gläserne Manufaktur ein zukunftsfähiges Konzept erarbeitet werde, in dem auch die aktuelle Belegschaft eine Perspektive bekomme. Sein Ministerium wolle mit der Unternehmensführung und dem Gesamtbetriebsrat von Volkswagen Sachsen im Gespräch bleiben - "auch und vor allem, was die künftige Auslastung des bisherigen VW-Vorzeigestandortes Zwickau betrifft".
Dem Kompromiss zufolge bleiben alle drei VW-Standorte in Sachsen erhalten. Allerdings wird Ende 2025 die Fahrzeugfertigung in der Gläsernen Manufaktur nach Unternehmensangaben eingestellt. Federn lassen muss auch das Fahrzeugwerk Zwickau. Es muss die Produktion des ID.3 und des Cupra born an Wolfsburg abgeben und sich auf eine Fertigungslinie konzentrieren. Bleiben soll der Audi Q4 e-tron "und entsprechende Produktaufwertungen", wie es in einer Mitteilung der IG Metall heißt.
Weil über VW-Tarifeinigung: Kein Grund zum Jubeln
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sieht nach der Einigung im VW (Volkswagen (VW) vz)-Tarifstreit keinen Grund zum Jubeln. "Zu der Einigung zwischen den Sozialpartnern gehört ein erheblicher Abbau von Arbeitsplätzen", sagte der SPD-Politiker in Hannover. Eine deutliche Mehrheit der 35.000 Arbeitsplätze, die bis 2030 abgebaut werden sollen, dürfte in Niedersachsen betroffen sein. "Wie viele und wo muss in den nächsten Tagen konkretisiert werden."
Der Verlust sei schmerzlich, daran könne auch der vereinbarte, strikt sozialverträgliche Abbau der Stellen nichts ändern. "Der Arbeitnehmerseite gebührt Respekt dafür, auch insofern Mitverantwortung zu übernehmen." Die Maßnahmen seien aber unvermeidbar, um den Autobauer fit für die Zukunft zu machen, betonte der Ministerpräsident, der für das Land im VW-Aufsichtsrat sitzt.
Ex-Bundesfinanzminister Christian Lindner kritisierte Weil. Grund für die Krise bei Europas größtem Autobauer seien politische Rahmenbedingungen wie das Verbrenner-Aus und Management-Entscheidungen, die von der niedersächsischen SPD um Weil mitzuverantworten seien, schrieb der FDP-Chef auf der Plattform X.
HANNOVER/BERLIN/DRESDEN (dpa-AFX)
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