Knorr-Bremse-Chef Thiele: Mega-Deal mit 70!

Heinz Hermann Thiele » Der Patriarch des Maschinenbauers Knorr-Bremse will sein Lebenswerk per Börsengang in die Zukunft führen. Es wäre der zweitgrößte des Jahres in Deutschland.
von Peter Balsiger, €uro am Sonntag
Der lang erwartete Börsengang des Maschinenbauers Knorr-Bremse scheint unmittelbar bevorzustehen: Den endgültigen Entscheid will der Eigentümer Heinz Hermann Thiele, der den maroden Mittelständler zu einem Weltkonzern und globalen Marktführer formte, nach dem Ende der bayerischen Schulferien treffen. Es wäre nach der Neuemission von Siemens Healthineers wohl der zweitgrößte Börsengang in Deutschland in diesem Jahr. Der Münchner Hersteller von Lkw- und Zugbremsen könnte Schätzungen zufolge mit zwölf Milliarden Euro bewertet werden.
Die Vorbereitungen laufen schon eine ganze Weile auf Hochtouren. Knorr-Bremse mandatierte laut "Manager Magazin" bereits im vergangenen Jahr die Deutsche Bank, JP Morgan und Morgan Stanley, um den Börsengang zu organisieren. Für den Verkauf der Aktien wurden demnach inzwischen auch Unicredit, Commerzbank, UBS und Berenberg an Bord geholt.
Der 77-jährige Thiele, dessen Vermögen auf 9,5 Milliarden Euro geschätzt wird, will mit dem Gang aufs Parkett seine Nachfolge regeln und sein Lebenswerk in die Zukunft führen. Er habe nicht die Absicht, sich in den Schaukelstuhl zu setzen, betont er. Er wird sich wohl auch weiterhin einmischen, wenn es um die Strategie des Unternehmens geht. So, wie er das bisher immer getan hat. Denn wirklich aufhören wird der ewige Kämpfer nicht können: "Ich bin Unternehmer und werde bis zum letzten Atemzug unternehmerisch tätig sein", kündigte er an.
Thiele wurde im Kriegsjahr 1941 geboren. Die bitteren Erlebnisse seiner Kindheit, der Hunger und die Not, haben ihn geprägt. Er ist ein Flüchtlingskind, und diese Erfahrung hat ihn hart gemacht. Er gehöre einer Generation an, die noch erlebt habe, nichts zu besitzen, pflegt er zu sagen. Zwar stammten seine Eltern aus einem wohlhabenden Haus, beide Großväter waren erfolgreiche Unternehmer. Aber im Krieg verlor die Familie alles.
Von der Flucht geprägt
Während sein Vater in Kriegsgefangenschaft war, musste seine Mutter vor den vorrückenden Sowjettruppen fliehen. "Sie ist mit meiner kleinen Schwester, meinem großen Bruder und mir mit Kinderwagen und Handkarren wochenlang auf der Landstraße aus Ostdeutschland geflohen", erzählte Thiele der "Wirtschaftswoche". "Da mussten wir hungern und waren auf die Hilfe von Landwirten angewiesen. Ich habe gelernt, in harten Zeiten zu überleben. Das ist ein wesentlicher Treiber für meine Art zu arbeiten."
Die Familie baute sich in Westdeutschland eine neue Existenz auf.
Während seiner Schulzeit in Bielefeld war Thiele ein erfolgreicher Leichtathlet - die 100 Meter lief er in beachtlichen 10,8 Sekunden. Bei der Bundeswehr brachte er es zum Leutnant, führte später als Oberleutnant der Reserve eine Panzerkompanie.
Danach studierte Thiele Jura. Eigentlich wäre er lieber Ingenieur geworden. Aber der Vater wollte, dass der Junior später seine Anwaltskanzlei weiterführen solle. Dieser finanzierte sein Studium größtenteils selbst, indem er nebenbei arbeitete. Er wohnte in einem Zimmer ohne Zentralheizung und fuhr mit dem Fahrrad in die Universität. 1969, kurz nach seinem zweiten Staatsexamen, heuerte er als juristischer Sachbearbeiter in der Patentabteilung von Knorr in München an.
Bereits drei Jahre später übernahm er die Leitung des neu geschaffenen Bereichs Recht und Patente, stieg schnell die Karriereleiter hoch. "Ich entdeckte meine Unternehmergene und wechselte in den Marktbereich, wurde Chef des Nutzfahrzeugbereichs und schließlich der Vertriebsvorstand für das Gesamtgeschäft der Knorr-Bremse. Diese Tätigkeit hat mir sehr gelegen, weil ich dort gestalten konnte: mir Ziele setzen, die Wege dorthin formulieren, das dann auch operativ umsetzen und dabei Widerstände überwinden", so Thiele in der "Passauer Neuen Presse".
Glück in den Achtzigern
Seinen spektakulären Aufstieg in der Knorr-Hierarchie verdankte Thiele auch einem prominenten Aussteiger. Jens-Diether von Bandemer, der tief religiöse Hauptgesellschafter der Familienholding Knorr-Bremse KG und Mitglied der umstrittenen "Gemeinschaft zur Förderung des Heimholungswerks Jesu Christi", kündigte Mitte der 80er-Jahre plötzlich seinen Ausstieg aus der "Sinnlosigkeit materiellen Denkens" und aus der Welt des kapitalistischen Gewinnstrebens an. Bandemer wollte sich aus der Firma zurückziehen - ein ungünstiger Zeitpunkt. Denn die Lage des Unternehmens war prekär und die Kunden waren verunsichert.
Bandemer verkaufte 1985 sein Unternehmen nicht an einen der vielen Interessenten, sondern übertrug seinen 71-prozentigen Anteil an der Holding auf Heinz Hermann Thiele, der bisher schon als alleiniger Komplementär über sieben Prozent verfügte. Thiele war jetzt Herr im Haus, Chef von 3500 Mitarbeitern. Aber die Zukunft der Firma war völlig offen. Niemand wusste damals, ob Knorr noch zu sanieren war.
Natürlich hatte Thiele Angst vor dem Scheitern, schließlich besaß er damals "nichts außer einem nicht abbezahlten Haus". Aber Alfred Herrhausen, zu dem Zeitpunkt Vorstandssprecher der Deutschen Bank, sicherte ihm per Handschlag finanzielle Unterstützung zu.
Sicherheiten brauche man nicht, die Zahlungsziele wurden langfristig festgesetzt. "Für einen dreistelligen Millionenbetrag auf Pump wird Thiele sein eigener Chef", schrieb das "Handelsblatt". "Das war eine andere Welt. Das Geschäftsleben basierte weitgehend auf persönlichem, wechselseitigem Vertrauen", zitiert ihn das Blatt.
Sukzessive erwarb er später die restlichen Anteile, 1989 gehörte ihm die Firma komplett. "Ich bin voll ins Risiko gegangen", sagt der Selfmademan heute. "Das Unternehmen war marode. Mir war klar, dass ich viel tun musste, um einen erfolgreichen Konzern daraus zu machen."
Er wandelte Knorr in eine Aktiengesellschaft um, schaffte die Wende, leitete bei Knorr-Bremse einen Strukturwandel ein und konzentrierte das Unternehmen auf die Kernkompetenzen: Bremssysteme für Schienen- und Nutzfahrzeuge. In den ersten zehn Jahren gab es keine Dividende, schließlich musste die Sanierung finanziert werden. Und während sich der deutsche Mittelstand aus dem Geschäft mit Zügen und Eisenbahnen verabschiedete, stieg Knorr-Bremse zu einem führenden Systemlieferanten auf.
Ganz früh global gedacht
Der Unternehmer erkannte frühzeitig den Zwang zur Globalisierung. Anfang der 80er-Jahre knüpfte er wichtige Kontakte in Nord- und Südamerika, allerdings auch in aufstrebenden Märkten wie Japan, Russland, Indien und China und gründete dort eigene Gesellschaften.
1989 holte er seinen ersten Großauftrag in China - Knorr lieferte die Bremsen für die U-Bahn in Shanghai. Gleichzeitig entwickelte Thiele systematisch das Produktportfolio und formte das Unternehmen vom traditionellen Komponentenlieferanten zum modernen Systemanbieter.
"Das Unternehmerleben ist ein unvermeidlicher, immerwährender Kampf", erklärte der Patriarch in seiner Dankesrede anlässlich seiner Aufnahme in die Hall of Fame des "Manager Magazins". Thiele persönlich war bereit, alles für den Erfolg zu geben, und zahlte dafür in der Anfangszeit der Firma einen hohen Preis. Er schonte sich nicht, reiste rastlos durch die Welt, machte Deal um Deal, war bis zu 170 Tage pro Jahr unterwegs, seine Frau sah er kaum, die Ehe scheiterte. Dreimal erkrankte er schwer, kam aber immer wieder auf die Beine. "Nur ein Besessener tut sich so etwas an. Das kann ich niemandem empfehlen."
Heute ist Knorr-Bremse ein Global Player mit 60 Standorten in 25 Ländern. Das Unternehmen hat weltweit fast 27 000 Mitarbeiter - weniger als 20 Prozent davon sind Deutsche. 2017 erzielte Knorr-Bremse einen Erlös von 6,2 Milliarden Euro, der Gewinn lag bei 580 Millionen Euro - beide Größen stiegen signifikant zum Vorjahr. "2018 wird noch praller, denn Knorr kauft Firmen en masse", so das "Manager Magazin".
Der Markt brummt, die Hochkonjunktur für Lkw geht weltweit ins fünfte Jahr. Knorr bremst heute praktisch jeden Brummi in Europa. Massiv ordern die amerikanischen Eisenbahngesellschaften Güterwaggons. Und ein Dutzend chinesischer Großstädte baut zurzeit Schnell- oder U-Bahn-Netze - ohne die Technik aus München bremst kaum ein Zug im Reich der Mitte.
Megadeal mit 70
Thieles Bilanz ist beeindruckend: "Zwischen 1985 und 2015 hat sich der Umsatz verdreißigfacht, das Ergebnis vor Zinsen und Steuern ist um 20 000 Prozent gestiegen", rechnet er vor. Kurz vor seinem 70. Geburtstag begann er, Aktien des angeschlagenen Bahntechnikkonzerns Vossloh zu kaufen. Das sauerländische Unternehmen ist Weltmarktführer bei Schienenbefestigungen und Weichensystemen und stellt Dieselloks her. Die Produktionsstandorte liegen in Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Polen und Skandinavien, der Konzern hat Töchter in Asien, in Nord- und Südamerika, Australien und Russland.
Anfänglich stellten sich die Alteigentümer quer, sie wollten keine Kooperation mit Thiele, die Gespräche verliefen ergebnislos. Aber wo andere längst aufgegeben hätten, kämpfte er weiter. Im Juni 2013 übernahm Thiele im Handstreich den Aufsichtsratsvorsitz, und kurze Zeit später gaben die meisten Erben entnervt auf und verkauften ihre Anteile an institutionelle Investoren. Thiele hält inzwischen 45 Prozent an Vossloh, er hat das Sagen in der Firma, die Restrukturierung ist auf einem guten Weg. Ein weiterer brillanter Deal des alten Haudegens.
Was er von sich selbst verlangt, nämlich ständig Höchstleistungen zu bringen, erwartet er auch von seinen Mitarbeitern. Thiele ist bekannt als "harter Hund", er gilt als unerbittlich, aufbrausend, eigensinnig und misstrauisch, "zupackend wie Bremsbacken und selbstbewusst bis zum Platzen", so die "Wirtschaftswoche". Es sei richtig, dass er sehr konsequent, manchmal vielleicht auch zu hart gegenüber seinen Leuten sei, gibt Thiele zu. "Aber ich bin auch hart mir selbst gegenüber."
Am Eingang der Münchner Hauptverwaltung hängt eine Stechuhr, an der ein Großteil der Knorr-Angestellten stempeln muss. Aber die Angestellten in Deutschland wissen dabei auch, dass ihre Arbeitsplätze sicher sind. Und in den Rankings der besten Arbeitgeber für technische Berufe hält der Konzern Spitzenplätze.
Kritisch sieht Thiele das Thema Frauenquote in Führungspositionen. "Es sind nun mal die Frauen, die die Kinder bekommen. Und diese oft sehr qualifizierten Mütter stehen dann dem Arbeitsprozess nicht mehr voll zur Verfügung", erklärte er in einem Interview. "Das ist für die Gesellschaft so auch notwendig. Um eine Quote zu erfüllen, fehlt es daher oft an Frauen, die ihr Privatleben zugunsten des Berufs aufgeben oder stark einschränken und dann für eine Position etwa im Aufsichtsrat zur Verfügung stehen könnten." Außerdem gehe es in den Konzernspitzen "viel zu hart und brutal" zu.
Blick nach Russland
Thiele, der Multimilliardär, hat viele Schlachten gewonnen. Aber gelegentlich musste er auch eine Niederlage akzeptieren. Zum Beispiel, als es um die Abschaffung der EU-Sanktionen gegen Russland ging. Seit vielen Jahren macht er Geschäfte mit Russland, er war Mitglied des Präsidiums im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, er kennt Putin persönlich und hält ihn für einen fähigen Politiker, er wirbt für eine Aussöhnung mit Russland: "Sonst gibt es keine nachhaltige Friedensordnung in Europa", so der Unternehmer.
Thiele, der Mahner, verließ den Ost-Ausschuss Ende 2015, weil nach seiner Meinung das Gremium nicht eindeutig genug Stellung gegen die Sanktionen bezogen hatte. Thiele: "Russland hat seit mehr als 20 Jahren seine Orientierung nach Westen ausgerichtet, aber wir haben die ausgestreckte Hand nicht ergriffen. Mit dem Embargo haben wir Russland gezwungen, sich nach Osten, vor allem nach China zu orientieren."
Seit 2016 hat Thiele offiziell keine Ämter mehr bei Knorr-Bremse. Er ist jetzt nur noch Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats, aber er redet noch immer mit, wenn es um die Strategie des Unternehmens geht.
Und er hat jetzt mehr Zeit für seine anderen Interessen. In Uruguay besitzt er etwa eine Ranch mit 8500 Rindern und 12 500 Schafen. Und in Südafrika eine Plantage mit 600 Angestellten, die Avocados, Mangos und Zitrusfrüchte anbauen. Und klar, auch diese Güter werfen Gewinne ab.
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Bildquellen: DieterMayr/Knorr-Bremse AG