Euro am Sonntag-Exklusiv

Hans-Werner Sinn: Griechenland muss aus dem Euro raus

aktualisiert 26.02.12 15:03 Uhr

Der Chef des Münchner Ifo-Instituts hält das zweite Griechenland-Rettungspaket für einen Fehler. Chancen auf eine Erholung hätte Athen nur bei einem Austritt aus der Eurozone.

von Thomas Schmidtutz, Euro am Sonntag

Deutschlands bekanntester Ökonom Hans-Werner Sinn hat vor den Folgen des Griechenland-Rettungspakets für die deutsche Konjunktur gewarnt. Eine Dauerfinanzierung von Staatsschulden führe zu einer Fehllenkung des Anlagekapitals. Dies könne auch den Bauboom in Deutschland schwächen, sagte er dieser Zeitung.

Herr Prof. Sinn, nach der Verabschiedung des Rettungspakets für Griechenland herrscht große Erleichterung in den Ländern der Euro-Zone. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte, das Ergebnis lasse sich „nach sorgfältiger Prüfung gut verantworten“. Teilen Sie diese Einschätzung?
Wir haben Griechenland jetzt weitere 237 Milliarden Euro gegeben: 130 Milliarden aus dem zweiten Rettungspaket sowie den Schuldenschnitt von 107 Milliarden Euro. Das griechische Netto-Nationaleinkommen liegt bei schätzungsweise 180 Milliarden Euro. Wir haben also 30 Prozent mehr als ein ganzes Jahreseinkommen aller Griechen an Krediten und Geschenken gegeben, und zwar zusätzlich zu all dem Geld, das schon früher geflossen ist. Das ist meilenweit von dem entfernt, was ich noch als vernünftig ansehen kann. Hier sind die Proportionen total aus dem Ruder gelaufen.

Die Euroländer wollten mit dem Hilfspaket den Befreiungsschlag. Ist das Thema Griechenland jetzt endlich gelöst?
Höchstens bis 2014. Solange reicht das Geld. Man hat Griechenland einen Teil der Kredite erlassen und zugleich die Erlaubnis gegeben, für 130 Milliarden neue Schulden zu machen. Wo soll da die Lösung sein?

Verraten Sie’s uns?
Die einzige Lösung wäre, dass Griechenland durch Senkung seiner Preise wieder wettbewerbsfähig wird. Das würde rechnerische Lohnsenkungen von 30 Prozent voraussetzen, um auf das Niveau der Türkei zu kommen oder, wenn man dem Beispiel Irland folgen wollte, von 45 Prozent, um wieder einen Leistungsbilanzüberschuss zu haben. Griechenland hatte ja ein drei Mal so hohes Leistungsbilanzdefizit wie Irland, und Irland ist um 15 Prozent billiger geworden relativ zu seinen Nachbarn. Diese Größenordnungen kann ich mir beim besten Willen bei Griechenland nicht vorstellen. Bislang ist ja auch nichts passiert. Die griechischen Preise sind in der Krise so schnell gewachsen wie bei den Wettbewerbern. Genauso ist es übrigens in Portugal. Und Spanien und Italien sind sogar relativ noch teurer geworden als sie ohnehin schon waren. Wir machen dort also überhaupt keinen Schritt in Richtung Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Da wird herumgeredet und über Reformen und alles Mögliche gesprochen, ohne den Grundsachverhalt zu erkennen.


Hier gehts zum aktuellen Heft

Nämlich?
Dass man eine Art reale Wechselkurs-Anpassung, ein Realignment braucht. Da will keiner ran, womit die fehlende Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder zementiert wird und die Außenschulden dieser Länder weiter wachsen.

Im Falle Griechenlands würde das bedeuten: Zurück zur Drachme?
Ja, Griechenland muss aus dem Euro raus. Die Griechen werden als Geisel genommen für Kapitalanleger, weil jeder weiß: Solange sie drin sind, fließen weitere Rettungsgelder, die natürlich nicht den Griechen zugute kommen, sondern der Rückzahlung der Schulden dienen. Wenn Griechenland raus ist aus dem Euro, fließen diese Gelder nicht mehr. In Wahrheit erzeugen aber nur der Austritt und die Abwertung einen substanziellen Außenhandelsüberschuss, der die Grundvoraussetzung dafür ist, dass Griechenland überhaupt etwas zurückzahlen kann. Die Kapitalmärkte spielen ein unehrliches Spiel: Sie wollen Griechenland gar nicht in die Lage versetzen, etwas zurückzuzahlen, sondern brauchen Griechenland, damit die Steuerzahler der noch gesunden europäischen Länder anstelle von Griechenland zurückzahlen.

Erwarten Sie ein weiteres Hilfspaket für Griechenland?
Nein. Zwar wird das Geld nicht reichen, aber ich glaube, wenn der ESM steht und Griechenland wieder neues Geld haben will, wird man Griechenland gehen lassen, weil man dann die Ansteckungseffekte im Griff hat.

Die Eurozone hat sich also nur Zeit gekauft?
Die Eurozone hat Zeit verloren, weil in dieser Zeit ja die Außenschulden Griechenlands weiter wachsen. Wir entfernen uns immer weiter von der Lösung des Problems, je mehr Geld wir für die Hinauszögerung der wirklichen Fragen verbrauchen. Gewonnen haben nur A) die Politiker, die für ihre Wahl 2013 Ruhe haben wollen und B) die Kapitalanleger, die glücklich sind, dass sie ihre toxischen Papiere an die Staatengemeinschaft verkaufen können. Die Kapitalmärkte sind in Unruhe, weil man für 3,5 Billionen Euro toxische Staatspapiere der Krisenländer in den Portfolios hält und befürchtet, dass man die bis zum bitteren Ende behalten muss. Deshalb drängt man die Staatengemeinschaft, eine Bad Bank unter dem Namen EFSF oder ESM zu gründen, die den Anlegern diese toxischen Papiere abkauft. Das beruhigt zwar die Märkte, sollte aber die Steuerzahler beunruhigen.

Welche Belastung ergibt sich denn inzwischen für den deutschen Steuerzahler?
Im Falle einer Pleite Griechenlands wäre Deutschland bislang mit 65 Milliarden dabei gewesen. Mit dem neuen Rettungspaket kämen noch mal rund 35 Milliarden dazu. Das Risiko liegt also in einem Verlust von ziemlich genau 100 Milliarden Euro.

Der IWF hat die Höhe der Beteiligung am Rettungspaket auch davon abhängig gemacht, dass das Volumen des ESM erweitert werden soll. Halten Sie eine solche Erweiterung für angemessen?
Es ist schon bemerkenswert, dass der IWF seinen Anteil gegenüber früheren Rettungsaktionen dramatisch reduziert und jetzt auch noch Bedingungen stellt. Man hat mit Frau Lagarde, die vor dem Wechsel an die IWF-Spitze französische Finanzministerin war, den Bock zum Gärtner gemacht. Denn natürlich will Frau Lagarde die französischen Banken retten, die weit mehr Geld in Griechenland im Feuer haben als die deutschen Banken.

Hielten Sie eine ESM-Ausweitung denn für sinnvoll?
Nein. Die ganze Sache ist schon jetzt viel zu groß. Die Idee, hier mehr als Liquiditätshilfen zu geben und damit praktisch Konkursverschleppung zu betreiben, halte ich für falsch. Ich bin nicht gegen Liquiditätshilfen. Aber man kann nicht Systeme errichten, die Ländern die Dauerfinanzierung ihrer Staatsschulden über Gemeinschaftseinrichtungen ermöglichen. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass es dabei auch noch zu einer Fehllenkung des Anlagekapitals in Europa kommt. Wir profitieren im Moment davon, dass Investoren sich gegenwärtig nicht aus Deutschland raustrauen und in Immobilien gehen, was einen Bauboom erzeugt. Wenn wir dem anlagesuchenden Kapital gemeinschaftlich Geleitschutz geben, um den Widerwillen bei weiteren Anlagen im Süden zu überwinden, dann schwächen wir den deutschen Bauboom und verlagern die Wachstumskräfte wieder von Deutschland ins Ausland.

Was bedeutet das jüngste Rettungspaket denn für die Lage in Portugal, Spanien oder Italien?
Ich gehe davon aus, dass sich die Lage in diesen Ländern beruhigen wird. Die EZB hat eine Menge Geld zur Verfügung gestellt und will weitere 500 Milliarden Euro bereitstellen. Die Selbsthilfe mit der Notenpresse, die die EZB den nationalen Zentralbanken des Südens erlaubt, wird noch intensiver betrieben als vorher.