Euro am Sonntag

Brexit: Stolz und Vorurteil

04.03.16 16:00 Uhr

Brexit: Stolz und Vorurteil | finanzen.net

Im Juni könnten die Briten für den EU-Austritt stimmen. Das würde ihnen wirtschaftlich schaden und Europa erschüttern. Doch in Großbritannien zählen nicht nur Fakten, sondern auch Emotionen.

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von Alexander Sturm, Euro am Sonntag

Am Donnerstag, den 23. Juni, wird ganz Europa auf Großbritannien schauen. Dann stimmen die Briten über den Verbleib in der EU ab. Nach den jüngsten Umfragen dürfte es ein knappes Rennen geben. Träte Großbritannien aus, wäre das eine Zäsur für das Land - und ein Erdbeben für den Kontinent.



Um den Brexit zu verhindern, hat Brüssel Großbritannien Zugeständnisse gemacht. So ist das Land nicht mehr zu einer "immer engeren" Integration in die EU verpflichtet. Auch darf es EU-Ausländern bei einer Überlastung der Sozialsysteme bis zu vier Jahre Sozialleistungen verweigern. Das Kindergeld für Kinder, die nicht in Großbritannien leben, wird anhand der Lebenshaltungskosten vor Ort berechnet. Und gegenüber Euroländern darf Großbritannien nicht benachteiligt werden.

Doch während Regierungschef David Cameron die Beschlüsse als Erfolg preist, sprechen sich Minister seines eigenen Kabinetts für den Brexit aus. Auch Londons populärer Bürgermeister Boris Johnson wirbt für den Austritt. Er ist ein starkes Zugpferd für das Nein-Lager. Derzeit liegen die EU-Befürworter um Cameron leicht vorn, doch noch sind 20 Prozent der Stimmberechtigten unentschlossen. Ihr Votum wird entscheidend sein.


An der Börse ist die Angst vor dem Brexit gestiegen. Die US-Bank Citi sieht eine Wahrscheinlichkeit von bis zu 40 Prozent. Verunsichert stoßen Investoren das Pfund ab. Sie fürchten wirtschaftliche Schäden für Großbritannien, da die Hälfte der Exporte in die EU geht. Verlöre das Land den freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt, dürfte der Handel unter Zöllen und regulatorischen Hürden leiden.

Auch profitiert Großbritannien stark von ausländischen Direkt­investitionen. Globale Firmen schätzen das liberale Land als Brücke zur EU. "Bei ­einem Brexit würde Großbritannien für Investoren außerhalb der EU einen Standortvorteil verlieren", sagt Monika Boven, Volkswirtin bei der DZ Bank. Sie glaubt, dass das Land die wirtschaftlichen Folgen eines Brexit schon vor dem Austritt spüren würde. Denn das Aushandeln der Formalien ist langwierig. Zwischen Abstimmung und Austritt können zwei Jahre vergehen. Würden in dieser Zeit keine bilateralen Abkommen mit der EU getroffen, so Boven, würde Großbritannien im Außen­handel behandelt wie China. "2017 und 2018 könnte sich das britische Wachstum auf rund ein Prozent halbieren."


Gerade der Finanzplatz London, den viele Banken als Europa-Zentrale nutzen, wäre betroffen. Da ein Brexit Geldgeschäfte verteuern würde, dürften Banken Geschäfte verlagern. HSBC plant, im Brexit-Fall 1.000 Invest­ment­banker nach Paris zu schicken. Wie wichtig die Finanzbranche für Großbritannien ist, zeigen Daten der Ratingagentur S & P: Die Branche sorgt für 1,4 Millionen Jobs und zwölf Prozent der Einkommensteuern.

Doch solche Fakten kümmern die EU-Gegner nicht. Sie ärgern sich über die EU-Beiträge Großbritanniens von acht Milliarden Pfund, die sie sparen wollen. Zudem besorgt viele Briten die hohe Zuwanderung. Nach der EU-Osterweiterung 2004 strömten viele Polen nach Großbritannien, das anders als Deutschland die Migration aus den neuen EU-Ländern nicht einschränkte. Mit der Flüchtlingskrise erstarken nun Vorurteile sowie Ängste vor Überfremdung und Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Nach einem Brexit wäre zumindest die Freizügigkeit von EU-Arbeitnehmern vorbei, so Europa-Gegner.

Flüchtlingskrise als Gefahr

"Zuwanderung und die EU- Beiträge sind zwei sehr emotionale Themen in der Debatte", sagt Volkswirtin Boven. Auch Ökonomen von Sal. Oppenheim fürchten den Einfluss der Flüchtlingskrise auf das Votum: "Wenn die Flüchtlingsströme ab Frühjahr zunehmen, könnte dies die Debatte negativ beeinflussen."

Für die EU wäre ein Brexit ein schwerer Schlag, sie verlöre 16 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung. Auch träfe weniger Wachstum in Großbritannien die europäischen Handelspartner. Und ohne britische Beiträge müsste der EU-Haushalt schrumpfen -oder die übrigen Mitglieder müssten mehr zahlen. Für Deutschland könnten es 2,5 Milliarden Euro mehr sein.

Außerdem würde ein Brexit anti-europäische Kräfte wie den Front National in Frankreich stärken. "Die Signalwirkung wäre fatal", sagt Robert Halver, Kapitalmarktexperte bei der Baader Bank: "Der Zusammenhalt Europas stünde infrage." Im schlimmsten Fall könnten weitere Staaten austreten.

An der Börse würde ein Brexit Turbulenzen auslösen; vor allem, wenn er nach positiven Umfragen überraschend käme. Goldman Sachs meint, dass das Pfund bis zu 20 Prozent verlieren könne. Besonders britische Aktien dürften vor der Abstimmung stark schwanken. Investoren sollten sich mit Käufen von Einzeltiteln zurückhalten und lieber auf spezielle Fonds setzen (siehe Investor-Info unten).

Deutsche Anleger kann beruhigen, dass die DAX-Konzerne im Schnitt weniger als fünf Prozent ihrer Umsätze in Großbritannien erwirtschaften. Nur ­wenige Firmen wie Linde und ­HeidelbergCement haben dort signifikante Geschäfte. Und für Autobauer wie BMW und VW, die Fabriken in Großbritannien haben, sind die USA oder China weit wichtigere Märkte. Auch wenn ein Brexit den DAX erschüttern würde: Die Gewinne deutscher Konzerne wären kaum gefährdet.

Investor-Info

Britisches Pfund
Indikator der Brexit-Angst

Aus Angst vor dem Brexit stoßen Investoren das Pfund ab. Nachdem sich Londons prominenter Bürgermeister Boris Johnson für den Austritt starkgemacht hatte, fiel das Pfund zum Euro auf den tiefsten Stand seit 2009. Der Brexit träfe die britische Wirtschaft hart.

Britische Exporte
Hauptabnehmer EU

Der Zugang zum europäischen Binnenmarkt ist für britische Unternehmen sehr wichtig. Rund die Hälfte der Exporte geht in die EU. Ein Austritt würde den Handel bremsen, da britische Firmen dann wieder Zölle zahlen und mehr regulatorische Vorschriften erfüllen müssten. Auch die Nachfrage aus Europa nach britischen Produkten dürfte sinken.

Investitionen im Königreich
Magnet London

Großbritannien profitiert besonders stark von Direktinvestitionen von außerhalb Europas. Gerade London zieht Investoren an, die den Finanzplatz als Brücke nach Europa schätzen. Auch globale Autokonzerne haben Fabriken in Großbritannien, um vom Zugang zum EU-Binnenmarkt zu profitieren. Nach einem Brexit könnten sich Investoren umorientieren.

DAX-Firmen in Großbritannien
Relativ geringe Bedeutung

Würde die britische Wirtschaft schwächeln, wären deutsche Autokonzerne weniger betroffen als jüngst von der China-Krise. RWE und Eon produzieren und verkaufen Strom in Großbritannien, sie träfe ein Pfund-Verfall.

Unternehmen Engagement in Großbritannien*
Heidelb. Cement 10 % der Umsätze
Linde 9 % der Umsätze
BMW 10 % des Absatzes
Daimler 8 % des Absatzes
Volkswagen 6 % des Absatzes
Eon 20 % der Kraftwerkskapazität
RWE 20 % der Kraftwerkskapazität
*2014Quelle: DZ Bank, Firmenangaben, 2016

Henderson UK Absolute Return
Fonds für alle Fälle

Wie das Votum im Juni ausgeht, weiß keiner. Für alle Fälle gerüstet sind Anleger mit diesem Fonds, der über Derivate auf steigende wie fallende Kurse britischer Aktien setzen kann. In fünf Jahren 30 Prozent Plus.

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Bildquellen: Luke Rajchert / Shutterstock.com, Samot / Shutterstock.com

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