Bayer: Die erste Abrechnung
Mehr als 16 Milliarden Euro Börsenwert hat der DAX-Konzern Bayer nach dem spektakulären Glyphosat-Urteil verloren. Ist dieser starke Kursrutsch tatsächlich gerechtfertigt? Eine Analyse.
von Sven Parplies, Euro am Sonntag
Die neue Zeitrechnung hat begonnen: Monsanto ist endgültig Teil des Bayer-Konzerns. Zusammen bilden sie den weltgrößten Hersteller von Pflanzenschutzmitteln und Saatgut. Eine riesige Begeisterung, endlich loszulegen, hat Vorstandschef Werner Baumann unter den neuen und alten Mitarbeitern ausgemacht. Überschattet aber wird der Aufbruch des DAX-Konzerns durch die Altlasten von Monsanto.
289 Millionen Dollar Strafe soll Monsanto und damit Bayer an Dewayne Johnson zahlen, hat ein Geschworenengericht in San Francisco entschieden. Als Platzwart einer Schule in Kalifornien hatte Johnson regelmäßig Kontakt mit Unkrautvernichtungsmitteln. Eines davon ist Monsantos Produkt Roundup, das auf der chemischen Verbindung Glyphosat basiert. 2014 erkrankte der Amerikaner an Krebs. Sein Anwalt hat schwere Vorwürfe erhoben - Monsanto habe die Gesundheitsrisiken des Produkts verschleiert.
Der Konzern hat die Vorwürfe energisch zurückgewiesen. Mehr als 800 wissenschaftliche Studien seien zu dem Schluss gekommen, dass Glyphosat sicher sei, argumentiert jetzt auch Bayer. Die Entscheidung der Jury in San Francisco stehe "im Widerspruch zu bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, jahrzehntelangen praktischen Erfahrungen und den Einschätzungen von Regulierungsbehörden weltweit". Im Idealfall wird Bayer die nächsten Prozesse gewinnen, damit weitere Kläger abschrecken und den Fall ohne größere finanzielle Belastungen zu den Akten legen.
Börsianer aber glauben offenbar nicht an eine solch einfache Lösung: Innerhalb weniger Tage verlor die Bayer-Aktie nach dem Glyphosat-Urteil aus San Francisco in der Spitze 19 Prozent an Wert. Über 16 Milliarden Euro Börsenwert wurden dabei vernichtet. Zuletzt lag der Abschlag noch immer bei rund zehn Milliarden Euro.
Was also könnte auf Bayer zukommen? Rund 8.000 Klagen sind allein bis Ende Juli eingegangen. Nimmt man jene 289 Millionen Dollar aus San Francisco als Maßstab, würde das auf dem Papier auf 2.300 Milliarden Dollar hinauslaufen. So extrem wird es in der Praxis nicht werden. Geschworenengerichte in den USA sind bekannt dafür, aus Sympathie für erkrankte Kläger exzessive Strafen zu verhängen, die in späteren Instanzen deutlich reduziert oder verworfen werden. Oft einigen sich die Parteien außergerichtlich auf vergleichsweise geringe Zahlungen.
Präzedenzfall Lipobay
Ausgerechnet ein Blick in die Konzerngeschichte von Bayer zeigt, welche Summen möglich sind: Im Jahr 2001 nahm die Pharmasparte der Rheinländer ihren Cholesterinsenker Lipobay wegen extremer Nebenwirkungen vom Markt. Die Aktie verlor an einem Tag 18 Prozent an Wert. Der DAX-Konzern zahlte schließlich - ohne Anerkennung einer Schuld - knapp 1,2 Milliarden Dollar, um die juristischen Auseinandersetzungen mit Lipobay-Patienten beizulegen. Im Schnitt bekam damit jeder der mehr als 3.000 Kläger einen Betrag von 370.000 Dollar.
In einem anderen Fall saß der amerikanische Pharmakonzern Merck auf der Anklagebank. In erster Instanz wurden einem Patienten wegen Nebenwirkungen des Schmerzmittels Vioxx 254 Millionen Dollar zugestanden. Dieses spektakuläre Urteil wurde später revidiert. Merck legte eine Sammelklage letztlich mit einer Zahlung von insgesamt 4,9 Milliarden Dollar bei - im Durchschnitt sind das 180.000 Dollar pro Opfer.
Auf Basis dieser beiden Fälle würde das Finanzrisiko für Bayer im Fall Glyphosat bei 8.000 Klägern zwischen 1,4 Milliarden und drei Milliarden Dollar liegen. Das Analysehaus Bernstein kommt in einer eigenen Hochrechnung auf eine Spanne von 500 Millionen bis fünf Milliarden Dollar.
Diese Schätzungen liegen deutlich unter jener Summe, die die Bayer-Aktie nach der Urteilsverkündung im Glyphosat-Prozess an Wert verloren hat. Das könnte bedeuten, dass Anleger den Aktienkurs zu stark gedrückt haben. Eine andere Erklärung wäre, dass Börsianer bekannte Risiken jetzt neu bewerten und darum einen stärkeren Kursabschlag einpreisen.
Neben Strafzahlungen und Anwaltskosten könnte das operative Geschäft in Bayers Agrarsparte durch die Glyphosat-Problematik leiden. Die Schweizer Bank UBS kalkuliert, dass Börsianer mit dem Kursrutsch der Bayer-Aktie nicht nur mögliche Strafzahlungen berücksichtigen, sondern auch das Geschäft mit Roundup komplett aus dem Unternehmenswert der Rheinländer herausgerechnet haben.
Ein anderer Problemfall ist der Rechtsstreit um Dicamba. Das Pflanzenschutzmittel soll Unkraut bekämpfen, das gegen Roundup immun ist. Das Problem: Dicamba kann in die Luft verdampfen, sich auf benachbarte Felder ausweiten und dort Pflanzen schädigen, die nicht für die Behandlung mit Dicamba geeignet sind. Das Mittel wird deshalb für Ernteausfälle verantwortlich gemacht. Laut Bayer sind im Zusammenhang mit Dicamba in den USA 37 Klagen mit 181 Klägern anhängig, die sich auch gegen andere Unternehmen richten. Im Gegensatz zu Glyphosat geht es bei Dicamba nicht um Gesundheitsrisiken für den Menschen, sondern um wirtschaftliche Schäden. Extreme Urteile wie in San Francisco sind daher unwahrscheinlich.
Wichtiges Heimspiel
In der Aufregung um das Glyphosat- Urteil fast in Vergessenheit geraten ist das operative Geschäft von Bayer. Am kommenden Mittwoch wird Baumann erstmals Geschäftsergebnisse für den neuen Gesamtkonzern vorlegen. Anfang Dezember sollen auf einem Kapitalmarkttag nähere Details zu Strategie und Zielen präsentiert werden. Auf einige Eckdaten hat Baumann sich bereits festgelegt: Monsanto soll sich ab dem kommenden Jahr positiv auf den bereinigten Gewinn je Aktie auswirken. Ab 2022 sind Synergien von jährlich 1,2 Milliarden Dollar geplant.
Die Aufarbeitung der Monsanto-Altlasten wird derweil wohl zu einer Geduldsprobe: Gerichtsverfahren dürften sich Monate, vielleicht Jahre hinziehen. Ein wichtiger Termin steht in der zweiten Oktober-Hälfte an. Dann https://cma.finanzen.net/images/icons/h2.gifist in St. Louis der nächste Glyphosat-Prozess terminiert, ausgerechnet in der Heimatstadt von Monsanto.
Investor-Info
Die Aktie
Zu stark abgestürzt
In den Kommentaren der Analysten gibt es zwei Strömungen: Die Optimisten sehen den Kurssturz der Aktie als Kaufgelegenheit. Die Annahme dabei ist, dass sich die finanzielle Belastung aus den Glyphosat-Prozessen in Grenzen halten wird und die Reaktion der Börse übertrieben ist. Dem steht die Sorge entgegen, dass sich die juristischen Auseinandersetzungen lange hinziehen werden und womöglich neue Probleme auftauchen. Daher sei keine schnelle Kurserholung zu erwarten. Insgesamt überwiegen die positiven Einschätzungen zur Bayer-Aktie. Die Redaktion bleibt trotz der größeren Unsicherheit im Lager der Optimisten, weil der Kursrutsch der Aktie bereits ein erhebliches Risiko verarbeitet hat. Zugleich ist die Dividendenrendite auf deutlich über drei Prozent gestiegen. Die Aktie eignet sich im aktuellen Umfeld aber ausdrücklich nur für risikofreudige Anleger.
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