Autobranche: Der Chip-Flaschenhals
Hersteller und Zulieferer geben sich gegenseitig die Schuld. Europäische Chipindustrie soll mit 50-Milliarden-Paket aufgerüstet werden.
von W. Ehrensberger, S. Bauer, K. Schachinger, Euro am Sonntag
Der Streit zwischen Autobauern und Zulieferern wegen Engpässen in der Versorgung mit Mikrochips wird schärfer. Inzwischen prüft VW laut Berichten bereits Schadenersatzansprüche gegen seine Hauptlieferanten Bosch und Conti, die ihre eigenen Engpässe bei Halbleitern nicht rechtzeitig angezeigt hätten. Die Zulieferer wiederum werfen den Autobauern vor, sie hätten während des ersten Lockdowns ihre Produktion stark heruntergefahren und die anschließende rasche Erholung des Marktes zu spät antizipiert. Dem entgegnen Autobauer wie VW, sie hätten die Zulieferer sehr wohl frühzeitig über steigende Produktionszahlen informiert. Die Zulieferer hätten das aber ignoriert.
So oder so: Die Chipknappheit trifft die Autoindustrie schwer, und zwar weltweit. Die Produktion muss gedrosselt, Absatzziele müssen gesenkt werden. Der US-Autobauer GM etwa rechnet für 2021 mit einer Ergebnislücke bis zwei Milliarden Dollar. Die Prognosefirma Markit schätzt, dass 2021 wegen des Chipmangels weltweit bis zu einer Million Fahrzeuge nicht gebaut werden können. Allein die japanischen Hersteller Honda und Nissan haben ihre Verkaufsziele für 2021 bereits um 250.000 Fahrzeuge gesenkt. Die Autobauer verwenden die Chips vor allem in Motormanagement- und Fahrassistenzsystemen.
Daimler will Lücke schließen
Auch Premiumautohersteller Daimler leidet unter Produktionsbeschränkungen. Er knüpft das Erreichen der Jahresprognose für 2021 auch daran, dass sich der Chipmangel nicht unerwartet ausweitet. "Wir gehen davon aus, dass wir den Rückstand aus dem ersten Quartal im Jahresverlauf ausgleichen können", sagte Ola Källenius. Daimler setze vorhandene Chips wo möglich in hochmargigen Modellen wie der S-Klasse ein, so der Konzernchef. Auch Elektromodelle würden priorisiert.
Die reißende Nachfrage nach Chips, befeuert nicht zuletzt durch den IT-Boom in der Corona-Krise, bekommt auch der Chiphersteller Infineon zu spüren. Der DAX-Konzern hat seine Jahresprognosen erhöht, stößt aber mit seinen Produktionskapazitäten an die Grenzen. "Bestätigte Aufträge können wir erfüllen", sagt ein Infineon-Sprecher. "Wir sehen die Knappheit vor allem bei Mikrocontrollern. Sie wird voraussichtlich noch einige Monate andauern."
Derweil mehren sich in der Wirtschaft die Stimmen, die ein Mega-Investitionsprogramm für die europäische Chipindustrie fordern, um Rückstände zu Asien und USA aufzuholen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier plädiert für ein Volumen von 50 Milliarden Euro, wobei der Staat 20 bis 40 Prozent des Investitionspakets tragen soll. Unterstützung kommt unter anderem von Audi-Chef Markus Duesmann, dem ein Programm vorschwebt, wie es bereits bei der Batteriezelltechnologie existiert.
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