Sentiment: So nutzen Sie die Macht der Gefühle!
Emotionen machen Kurse, heißt es. Doch wie lässt sich die Stimmung der Anleger ermitteln? Und wie ticken sie derzeit?
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von Andreas Hohenadl, Euro am Sonntag
Nur 20 Prozent der Marktschwankungen sind fundamental erklärbar." Zu diesem Ergebnis kam einst der US-Ökonom und Nobelpreisträger Robert Shiller. Im Umkehrschluss heißt das: Der Großteil der Kursbewegungen an der Börse wird von Emotionen gesteuert. Immer mehr wird der Einfluss der menschlichen Psyche auf Anlageentscheidungen auch von der Kapitalmarktforschung untersucht. Und es hat sich sogar ein eigener Zweig herausgebildet: die Behavioral Finance, auf Deutsch Verhaltensökonomie.
Deren Erkenntnisse werden zunehmend von professionellen Investoren und aktiven Privatanlegern bei Investitionsentscheidungen genutzt. Grundlage dafür sind aussagekräftige Daten über die Gefühlslage der Anleger. Doch wie lässt sich die Stimmung der Investoren messen?
Im Grunde gibt es dafür zwei Möglichkeiten: direkt oder indirekt. Bei den indirekten Verfahren werden bereits getätigte Positionierungen von Anlegern betrachtet. Ein gutes Beispiel ist die sogenannte Put-Call-Ratio. Mit Puts setzen Anleger an den Derivatebörsen auf sinkende Kurse, mit Calls auf steigende. Setzt man die Transaktionen zueinander ins Verhältnis, entsteht das Sentiment: Werden mehr Puts als Calls gehandelt, ist die Anlegerstimmung negativ - und umgekehrt.
Put-Call-Ratios sind vor allem für kurzfristig orientierte Trader nützlich, die sich bei hohen Werten auf der einen wie auf der anderen Seite gern konträr positionieren. Dahinter steckt die Erfahrung, dass die Mehrheit der Anleger meist auf dem falschen Fuß erwischt wird. "Der Markt neigt dazu, die Masse der Teilnehmer zu quälen", sagt auch Frank Fischer, Manager des Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen.
Fischer versteht es wie kaum ein anderer deutscher Fondsmanager, attraktive Aktienrenditen zu erzielen und Markteinbrüche gekonnt abzufedern. Nicht umsonst befindet sich sein Portfolio im Defensiven Fondsmusterdepot von €uro am Sonntag. Als entscheidenden Baustein bei seinen Anlageentscheidungen nutzt Fischer die Sentimentanalyse. Eines seiner wichtigsten Werkzeuge sind die Stimmungsindikatoren des Frankfurter Anbieters Sentix. Sie messen das Anlegersentiment in einem direkten Verfahren - in einer wöchentlichen Umfrage unter 5.000 Investoren aus dem In- und Ausland. Die Datenerhebung dauert zwei Tage. Vom Ende der Umfrage bis zur kommentierten Veröffentlichung jeweils am Sonntag vergeht ein Tag.
Schnelle Stimmungswechsel
Wer auf Sentimentindikatoren blickt, ist am Anfang vielleicht etwas verwirrt. "Stimmungen ändern sich schnell", sagt Sentix-Geschäftsführer Manfred Hübner, "und die entsprechenden Indikatoren pendeln ständig hin und her." Das gilt besonders für die kurzfristige Anlegerstimmung, für die Sentix die Markterwartungen auf Sicht von einem Monat abfragt und daraus das Sentiment bestimmt. Daneben geben Anleger auch ihre mittelfristigen Markterwartungen auf Sicht von sechs Monaten an. "Das signalisiert die Grundüberzeugungen und Wertvorstellungen der Investoren zu den jeweiligen Märkten", so Hübner, "wir nennen das strategischer Bias."Wichtig ist: Das Sentiment als Maßstab für die Emotionen der Anleger zwischen Angst und Gier ist im Fall von Extremwerten konträr zu interpretieren. Das heißt: Hoher Optimismus kann ein Warnzeichen für eine bevorstehende Konsolidierung sein. Negative Sentimentextreme sind in der Regel Indikationen für eine Kursverbesserung. Der strategische Bias sollte dagegen nicht antizyklisch bewertet werden. "Dieser Indikator, bei dem die Anleger ihre rationale Bewertung einfließen lassen, läuft dem Gesamtmarkt üblicherweise mehrere Wochen voraus", erklärt Hübner.
Anleger noch immer verunsichert
Wie ist nun die aktuelle Stimmungslage? "In den vergangenen Wochen sind Aktienanleger in ihren kurzfristigen Erwartungen immer pessimistischer geworden", erklärt Hübner. Auf dem jetzigen Niveau wäre das eigentlich ein gutes Vorzeichen für Kurssteigerungen. Die Crux ist: Der strategische Bias, der das Grundvertrauen der Investoren widerspiegelt, pendelt derzeit im neutralen Bereich. Anleger wissen quasi nicht, ob sie bullish oder bearish sein sollen.Dahinter steckt ein Vertrauensverlust in die Allmacht der Notenbanken. Das sah bis Anfang Dezember 2015 noch ganz anders aus. "Das Grundvertrauen der Anleger war relativ hoch, und das Sentiment erreichte sogar den zweithöchsten positiven Wert, den wir je gemessen haben", sagt Hübner. Denn Investoren erwarteten, dass die Europäische Zentralbank EZB große Geschütze zur Ankurbelung der Konjunktur auffährt. Doch EZB-Chef Mario Draghi enttäuschte, das Grundvertrauen fiel und hat seitdem nicht mehr nachhaltig ins Positive gedreht. Trotz weiterer Aktionen der großen Notenbanken sehen Anleger darin keinen Treiber mehr für die Aktienmärkte. Sie suchen nach einem neuen Impuls - bislang vergeblich.
Die Unentschlossenheit der Anleger macht auch die Arbeit von Frank Fischer nicht einfacher. "Neutralität bei den Investoren, das führt zu erhöhter Volatilität an der Börse", sagt der Fondsmanager. Er rechnet deshalb zunächst mit stark schwankenden, seitwärts tendierenden Märkten. Doch, so betont er, "diese volatile Phase kann auch nach oben verlassen werden". Optimistisch macht ihn ein aufgehelltes Bild in China - "die Konjunkturerwartungen dort haben sich wieder verbessert". Aber auch die USA hat er noch längst nicht abgeschrieben: "Wir werden zwar kein Riesenwachstum sehen, aber von einer Rezession ist das Land weit entfernt."
Außerdem erwartet Fischer Chancen für deutsche Exportwerte, denn er sieht den Euro gegenüber dem US-Dollar wieder schwächer werden. Das deckt sich mit dem Ergebnis eines entsprechenden Indikators von Sentix. Möglicherweise könnte das den Ausschlag geben, dass das Grundvertrauen in deutsche und europäische Aktien wieder wächst und Investoren an die Märkte zurückkehren. Denn: "Leute, die keine Überzeugung haben, sind keine stabile Anlegerbasis", resümiert Hübner.
sentix-Umfrage
Jeder kann mitmachen
Die wöchentliche Onlineumfrage von Sentix ist offen für alle aktiven Anleger. Eine Anmeldung auf der Website www.sentix.de genügt. Die Umfrage selbst nimmt etwa fünf Minuten Zeit in Anspruch. Dafür erhalten die Teilnehmer jeweils Sonntagabend die Umfrageergebnisse kostenlos zugeschickt - sie können so sehen, wie die breite Masse der Anleger gestimmt ist.
Investor-Info
Grundvertrauen Aktien
Unentschiedene Anleger
Der strategische Bias für deutsche Aktien, der die Markterwartungen auf Sicht von sechs Monaten widerspiegelt, ist nach der vorigen Sonntag veröffentlichten Sentix-Sentimentumfrage als neutral zu bezeichnen. Die Anleger sind also unentschieden, ihnen fehlt das Grundvertrauen in Aktien.
Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen
Sentiment als Steuerelement
Frank Fischers Portfolio ist vom Grundgerüst her ein Value-Fonds. Er investiert vor allem in unterbewertete europäische Nebenwerte und favorisiert Unternehmen, die eine starke Marktstellung haben und inhabergeführt sind. Das Risiko steuert er sehr aktiv, indem er auch Erkenntnisse der Behavioral Finance in seine Anlageentscheidung einfließen lässt. In den vergangenen fünf Jahren erzielte er damit mehr als 75 Prozent Wertzuwachs.
Sentix Fonds 1R
Strikte Risikokontrolle
Die Erfahrung im Analysieren von Anlegerverhaltensmustern bringt die Anlagetochter von Sentix in einen eigenen Fonds ein, der in Aktien, Währungen, Renten und Rohstoffe investiert. Ein wichtiger Fokus liegt auf Risikokontrolle. Mehr als zehn Prozent Verlust in einem Jahr sollen nicht anfallen. In puncto Risiko-Rendite-Profil eignet sich der Fonds als Alternative für Renteninvestoren. Auf Fünfjahressicht stehen zehn Prozent Plus.Weitere News
Bildquellen: JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images, Deutsche Börse