Nikola-Gründer Milton: Warum ihn die Anleger feiern
Der Gründer des US-Elektrolastwagen-Herstellers Nikola hat es zum Milliardär gebracht, ohne überhaupt ein funktionierendes Produkt anbieten zu können. Seit Ende Juni notiert Nikola an der US-Technologiebörse Nasdaq - und Milton ist noch ein gutes Stück reicher.
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von Carl Batisweiler, Euro am Sonntag
Aus den Lautsprecherboxen wummert Technosound, bunte Lichter blitzen grell durch die in Kunstnebel getauchte Halle des einstigen Eisenbahnwerks in Norditaliens industriellem Zentrum Turin. Dann drehen sich große Spiegelwände zur Seite, und Trevor Milton präsentiert stolz - einen Lastwagen. Sicher, der Sattelschlepper hat ein modernes Design, doch eigentlich sieht er aus wie die meisten anderen Brummis, die über die Straßen Europas rollen. Das Besondere an dem Truck, für den der 38-jährige Amerikaner damals im Dezember 2019, als Menschenansammlungen noch normal waren, enthusiastischen Beifall der aus ganz Europa eingeflogenen Gäste einheimst, ist, dass der "Nikola Tre" mit Wasserstoff angetrieben wird statt mit Diesel.
Tatsächlich, und das wissen die Anwesenden, beklatschen sie eine Art Potemkinsches Dorf. Denn was da auf der Bühne im Scheinwerferlicht steht, beherbergt weder die Elektromotoren, die den Lastwagen einmal antreiben sollen, noch das gefeierte Herzstück: die Brennstoffzelle, die aus Wasserstoff den Strom für den Antrieb liefern soll. Trotzdem betet Trevor Milton wie im Gottesdienst seinen Schäfchen die Vorzüge des gebenedeiten Brummis vor: keine Emissionen außer ein paar Tröpfchen Wasser, voll digitalisiert, voll vernetzt, 750 Meilen Reichweite mit einer Tankfüllung, und überhaupt ist der Nikola die glorreiche Zukunft des Warentransports.
Mühelos gewinnt Milton die Herzen seiner Zuhörer in Turin. So wie er es auch geschafft hat, in den Jahren zuvor bei Investoren rund drei Milliarden US-Dollar für sein Projekt des Wasserstoff-Trucks einzusammeln. Und so, wie er Anleger für den Nikola-Börsengang im Juni dieses Jahres begeistern konnte.
Der Mann hat Charisma - und Erfahrung darin, wie man Menschen für eine Idee, einen Glauben gewinnt. Nach der Highschool schickte seine Kirche den aus dem Mormonenstaat Utah stammenden Milton auf Mission. 18 Monate lang zog er in Brasilien von Tür zu Tür, um den Menschen dort den rechten Weg zum Seelenheil zu verkünden.
Zurück in den USA, begann der Sohn eines vermögenden Eisenbahnmanagers und einer Immobilienhändlerin ein Wirtschaftsstudium am Utah Valley State College. Doch an der Uni - und das hat er mit anderen extrem erfolgreichen Unternehmensgründern der jüngeren Vergangenheit gemeinsam - hielt es ihn nicht lange. Nach einem Semester warf er hin und widmete sich seinem Traum: Milton wollte den Verkehr umweltfreundlicher machen. Aber nicht wie Elon Musk, der mit seinen Teslas den etablierten Pkw-Herstellern Konkurrenz macht. Umweltfreundlich unterwegs sein könne man privat schließlich auch mit Bussen und Bahnen oder dem Fahrrad, so Milton. Wer wirklich die Umwelt retten wolle, müsse den Transport von Waren revolutionieren.
Start-up in Arizonas Wüste
Freilich hat sich Milton einige Dinge bei Musk abgeschaut. Weil mit Tesla der Nachname des genialen Erfinders, Physikers und Elektroingenieurs schon vergeben war, heißt die Lkw-Firma nach dessen Vornamen: Nikola. Und auch das System Elon Musks, sich große Anteile an den von ihm gegründeten Unternehmen zu sichern, das Kapital für die notwendigen Investitionen aber von anderen Unternehmen beisteuern zu lassen, wurde auf Nikola übertragen. Missionar Milton kann präsentieren, und das macht er nicht im Rollkragenpulli oder Kapuzenshirt, wie sich die Dotcomszene gern kleidet, Mormone Milton trägt Anzug und weißes Hemd.
"Ich habe schon als Kind lieber mit Lastwagen gespielt als mit Eisenbahnen, wie es mein Vater gern gesehen hätte", erklärt er sein frühes Faible für die Brummibranche. "Aber ich fand die schwarzen Dieselrußfahnen, die die Trucker hinter sich herzogen, auch schon immer schlimm." Daraus sei dann seine erste Geschäftsidee nach dem Uni-Intermezzo entstanden. 2010 gründete er in Salt Lake City die Firma Milton Hybrid Systems, die Betankungssysteme für mit Erdgas betriebene Lkws entwickelte.
So wurde Worthington Industries aus Ohio auf Milton aufmerksam. Der Stahlkonzern produziert weltweit unter anderem Gas- und Luftdruckbehälter, auch für die Fahrzeugindustrie. 2014 kaufte Worthington Milton Hybrid.
Der Jungunternehmer hatte seine ersten Millionen gemacht und gründete in Phoenix, Arizona, das Unternehmen Nikola. Schnell konnte er Experten aus der Lkw-Branche für seine Vision vom wasserstoffgetriebenen Truck begeistern, die ihre gut dotierten Jobs aufgaben, um bei Nikola am ganz großen neuen Ding zu arbeiten. Schließlich wechselte als neuer Nikola-Boss auch noch Chief Operating Officer Mark Russel, der sich dort einen Namen mit dem Aufbau und der Sanierung von Tochterunternehmen gemacht hatte, von Worthington zum Start-up in der Wüste.
Die ersten Investorengelder, die Milton bei Worthington, Nel Hydro, einem norwegischen Produzenten von Wasserstofftankstellen, oder dem US-Hedgefonds ValueAct eingesammelt hatte, reichten immerhin, um 2018 ein Modell zu veröffentlichen und 2019 einen Prototyp des Nikola Two auf die Räder zu stellen. Das Design des Trucks ist ganz auf den Geschmack der Fahrer im US-Markt zugeschnitten: lange Schnauze und eine große Schlafkabine.
Pferde ziehen den Lkw
Die erste große Nikola-Präsentation vor 2.000 Leuten in den USA verlief dann etwas ungewöhnlich: Milton fuhr im Prototyp Two vor, der allerdings (mangels Antrieb) von acht Brauereirössern des Bierkonzerns Budweiser gezogen wurde. "Die Pferde symbolisieren, wie Amerika aufgebaut wurde", erklärte Milton dem Publikum. "Und so, wie Benzin und Diesel einst Pferde ersetzt haben, wird ein neuer Antrieb bald auch sie obsolet machen: Wasserstoff." Dass der Auflieger des Two mit Bier vollgepackt war, hatte einen guten Grund: Die Budweiser-Mutter Anheuser-Busch InBev hat bereits 800 der Wasserstofffahrzeuge bestellt.
Doch nicht nur der Bierbrauer will seinen Sud umweltfreundlich über die US-Highways karren, auch der Flottenbetreiber U. S. Express hat Interesse angemeldet. Mark Russel spricht von Vorbestellungen im Wert von insgesamt zehn Milliarden Dollar - und erklärt das besondere Geschäftsmodell: "Wir verkaufen den Typ 2 in den USA für einen US-Dollar pro Meile. Das ist der All-Inclusive-Preis für sieben Jahre mit 700.000 Meilen. Wasserstoff, Wartung, Service - alles dabei. Als Gesamtpreis ist das doch wieder attraktiv, weil kalkulierbar. Und unsere Kunden haben keine Öl- oder Strompreiszyklik."
Gebaut werden soll der Nikola Two in einer Fabrik in Arizona. Und für die Mobilität der Kunden, die mit den Brennstoffzellen-Brummis in der Regel feste Touren fahren, werden vom Partner aus Norwegen in Arizona und dem besonders umweltbewussten Bundesstaat Kalifornien mindestens zehn eigene Wasserstofftankstellen gebaut. Gerade im Südwesten der USA entsteht derzeit viel überschüssige Solarenergie, die dann zur Wasserstoffherstellung genutzt werden soll. Bis 2022 will Nikola an jeder Tankstelle täglich acht Tonnen Wasserstoff aus erneuerbarer Energie produzieren - genug für den Jahresverbrauch von 250 Lastwagen.
Ein etwas anderes Modell will Nikola in Europa anwenden. Hier arbeiten die Amerikaner mit dem zu CNH Industrial gehörenden Lkw-Hersteller Iveco zusammen. Russel: "Wir suchten global nach Partnern und fanden bei Iveco, was wir brauchten. Sie sind zwar ein relativ kleiner Lkw-Hersteller, aber sie passten von der Kultur her zu uns." Die Italiener bieten bereits erdgasbetriebene Lastwagen an, und sie schafften es in der Rekordzeit von drei Monaten, auf Basis ihrer neuen S-Reihe den ersten Prototyp des Nikola Tre zu entwickeln. Die Brennstoffzelle sitzt, wo sonst der Dieselmotor ist.
Windkraft zu Wasserstoff
Doch eigentlich wird der Tre ein Deutscher: Gebaut werden die Laster im Iveco-Werk in Ulm, weil dort die deutschen Ingenieure viel Spezialwissen aufgebaut haben, etwa für die Feuerwehrfahrzeuge von Magirus. Die Brennstoffzelle soll Bosch liefern, die sich auch bei Trevor Milton eingekauft haben.
Wie die Wasserstoffversorgung in Nordeuropa laufen soll, weiß Mark Russel auch schon: "Ich habe bei meinen Flügen nach Dänemark und Norwegen die Windparks in der Nord- und Ostsee gesehen. Und wie viele Windräder davon abgeschaltet waren. All die Windkraft, die nicht genutzt wird, könnte zur Umwandlung von Wasserstoff und damit auch zur Energiespeicherung verwendet werden. Das ist dann wirklich klimaneutral."
Das sei vielleicht nicht der billigste oder effizienteste Weg, aber sicher der beste. "In Groningen etwa gibt es große Salzkavernen, in denen bisher Erdgas gelagert wurde, die kann man auch oder eben ganz zur Lagerung von Wasserstoff nutzen. Man kann unserer Meinung nach auch die bereits vorhanden Gasleitungen für den Transport von Wasserstoff nutzen", so Russel weiter.
Auch in Europa hat Trevor Milton schon reichlich Bestellungen für seine Lkw eingesammelt, etwa bei Jacky Perrenot. Die in Saint-Donat-sur-l’Herbasse im Département Drôme ansässige Firma mit 3.500 Beschäftigten besorgt vor allem die Frischetransporte für die französischen Handelsgruppen Casino (Saint-Etienne) und Carrefour (Paris) inklusive deren diverser Niederlassungen in Polen, Rumänien, der Türkei und in Griechenland. Perrenot hat 360 Iveco-S bestellt, inklusive einiger rein elektrischer Nikola Tre, die zu Testzwecken mit einer 2,2 Tonnen schweren Lithium-Ionen-Batterie ausgestattet sind. Firmenchef Perrenot: "Ich kann es gar nicht erwarten, bis wir komplett mit Wasserstoff fahren." Deshalb lässt er auch für rund 1,5 Millionen Euro eine eigene Wasserstofftankstelle bauen.
So erfolgreich Trevor Milton mit seinen Segensversprechen bisher war - jetzt muss er richtig Gas geben und seine Wasserstoff-Nikolas auf die Straße bringen. Denn die Konkurrenz schläft nicht. Das Start-up Hyzon Motors im US-Bundesstaat New York hat Nikolas Geschäftsmodell bereits kopiert und will einen Riesentruck mit Brennstoffzelle entwickeln - 50 Meter lang und 140 Tonnen schwer. Die Vorserienproduktion der Roadtrains soll im April 2021 starten und die ersten Modelle in Australien ausgeliefert werden. Allerdings hat Hyzon noch nicht viel mehr als ein paar computeranimierte Bilder der Fahrzeuge zu bieten. So hat aber auch Trevor Milton einmal angefangen.
Die Aktie
Elektrohype
Noch hat Nikola keinen einzigen der geplanten Lkw mit Elektroantrieb auf Brennstoffzellenbasis ausgeliefert. Bestellt sind schon viele - das weckt die Fantasie der Investoren. Die Aktie (US 654 110 105 0) schoss beim Börsengang, der über eine sogenannte SPAC, eine Art Börsenmantel, lief, in astronomische Höhen. Inzwischen hat sich die Euphorie zwar etwas abgekühlt, die Aktie ist aber immer noch zu heiß.
Vita
Gläubiger Gründer
Trevor Milton wurde 1981 geboren und wuchs in Utah auf. Der Sohn eines Eisenbahnmanagers und einer Immobilienhändlerin brach sein Wirtschaftsstudium am Utah Valley State College nach einem Semester ab. 2014 gründete er Nikola. Sein Vermögen wird inzwischen auf sieben Milliarden US-Dollar geschätzt. Der Vater von drei Kindern lebt in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona.
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Bildquellen: Isaac Sloan/NikolaMotor
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