Die Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen: Warum die COVID-19 Pandemie kein "Schwarzer Schwan" ist
Viele Experten sprechen im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie von einem sogenannten Black-Swan-Event. Laut des Risikoanalysten und Bestseller-Autors Nassim Taleb, welcher diesen Begriff maßgeblich geprägt hat, trifft dieser Vergleich jedoch keinesfalls zu.
Werte in diesem Artikel
• Pandemien kommen "alle 20 bis 30 Jahre" vor
• Influenza und Ebola waren die Vorboten der Krise
• Globale Seuchen sind in einer vernetzten Welt unvermeidlich
Die COVID-19-Pandemie traf die Börse wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Aus diesem Grund sprechen viele Analysten und Experten in Bezug auf das Virus von einem sogenannten "Schwarzen Schwan".
Der Schwarze Schwan - das 5-Sigma-Ereignis
Unerwartete Ereignisse, welche die Kapitalmärkte massiv erschüttern, werden von Ökonomen und Vermögensverwaltern im angelsächsischen Raum gerne als schwarze Schwäne bezeichnet. Der schwarze Schwan ist eine Metapher für ein extrem unwahrscheinliches Ereignis. Warum in diesem Zusammenhang von einem Schwan gesprochen wird und beispielsweise nicht von einer Ente, liegt in der Kolonialgeschichte der Briten begründet. Denn bevor die Engländer Australien entdeckt und erobert haben, glaubten sie, dass alle Schwäne weiß sind. Spätestens in Australien wurden sie dann jedoch eines Besseren belehrt.
In der Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung wird ein höchst unwahrscheinliches Ergebnis auch als 5-Sigma-Ereignis bezeichnet. Sigma ist ein Maß, welches die Standardabweichung wiedergibt. Während die Drei-Sigma-Regel besagt, dass in einem Intervall von drei Standardabweichungen über und unter dem Mittelwert 99,73 Prozent aller Merkmalswerte liegen müssen, besagt die 5-Sigma-Regel, dass ein Intervall mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,99997 Prozent alle Merkmalswerte enthält. Ein 5-Sigma-Ereignis hat somit eine Wahrscheinlichkeit von 0,00003 Prozent bzw. 1 zu 3,3 Millionen.
Schwarze Schwäne sind jedoch nicht nur extrem selten, sondern sie haben oft auch extreme Konsequenzen wie politische Umstürze, Epidemien, ökologische Katastrophen und ökonomische Krisen. Aufgrund dieser Eigenschaften könnte also davon ausgegangen werden, dass es sich auch bei COVID-19 um einen schwarzen Schwan handelt.
Das Märchen vom schwarzen Schwan
Laut Nassim Nicolas Taleb, Professor für Risikoanalyse an der Universität von New York, ist die COVID-Pandemie jedoch alles andere als ein schwarzer Schwan. "Eine globale Pandemie ist klar und deutlich ein [weißer] Schwan - ein Ereignis, das mit Gewissheit irgendwann eintreffen wird. Solche Pandemien sind unvermeidlich, sie resultieren aus der Struktur der modernen Welt; und ihre wirtschaftlichen Folgen werden noch gravierender infolge der zunehmenden Verflechtung und der übertriebenen Optimierung", so Taleb in einem Aufsatz in der NZZ.
Nach der Einschätzung des Risikoexperten sind Pandemien, die in der Menschheitsgeschichte immer wieder auftreten können, also weiße Schwäne, auf die sich jeder vorbereiten kann. Taleb verweist in diesem Zusammenhang auf die exponentielle Ausbreitung von SARS, Ebola und den Influenza-Viren, die in den vergangenen Jahren ebenfalls hohe Opferzahlen gefordert haben und somit Vorboten für die globale Seuche waren.
Darüber hinaus wird die COVID-Pandemie auch von den professionellen Risikomanagern der Münchner Rückversicherung keinesfalls als schwarzer Schwan betitelt. "Alle 20 bis 30 Jahre kann so etwas wie Corona passieren", so Gunther Kraut, der Pandemie-Experte der Munich Re, in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit einer globalen Epidemie in einem Interview mit dem Handelsblatt.
Hinterher sind immer alle klüger
Während die meisten westlichen Regierungen regelrecht von der Pandemie überrollt wurden, war der Stadtstaat Singapur bestens auf COVID-19 vorbereitet. Ein Grund für das souveräne Handeln der Regierung in Singapur war womöglich die vernünftige Berechnung von Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf scheinbar unwahrscheinliche Ereignisse. "Die Regierung von Singapur, die uns seinerzeit als Berater beizog, war schon seit 2010 mit einem detaillierten Plan auf eine Pandemie vorbereitet", so Taleb in seinem NZZ-Beitrag.
Dass der Mensch einen schwarzen Schwan immer erst dann erkennt, wenn es schon zu spät ist, liegt dabei in seiner Natur. So kommt es auch an der Börse sehr häufig zu sogenannten Rückschaufehlern. Diese kognitionspsychologische Verzerrung beschreibt einen systematischen Urteilfehler, bei dem eine Person glaubt, etwas geahnt bzw. gewusst zu haben, obwohl sie es im Vorhinein nachweislich nicht gewusst hat. So lässt sich auch erklären, warum die Auswirkungen von COVID-19 nun von einer Schar an vermeintlichen Experten als vollkommen logisch und vorhersehbar abgetan werden.
Die Farbe des Schwans darf keine Rolle spielen
Egal ob ein Ereignis als weißer, grauer oder schwarzer Schwan bezeichnet wird, Investoren müssen stets auf alles vorbereitet sein. Das bedeutet in erster Linie, dass die persönliche Vermögensallokation so ausgewählt werden muss, dass sie alle erdenklichen exogenen Schockwellen abfedern bzw. überstehen kann.
Nur die Diversifikation bietet einen vernünftigen Schutz vor echten schwarzen Schwänen. Die Risikostreuung sollte in diesem Zusammenhang jedoch keinesfalls nur in einer Anlageklasse wie Aktien berücksichtigt werden, sondern beispielsweise auch bei Immobilien, Anleihen, Edelmetallen, Digitalwährungen, Grundstücken und privaten Beteiligungen.
Pierre Bonnet / Redaktion finanzen.net
Dieser Text dient ausschließlich zu Informationszwecken und stellt keine Anlageempfehlung dar. Die finanzen.net GmbH schließt jegliche Regressansprüche aus.
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