thyssenkrupp: Wie die neue Chefin Merz den Konzern aufräumt
Der kriselnde thyssenkrupp-Konzern macht Fortschritte, schafft einen Quartalsgewinn. Im Geschäftsjahr soll unerwartet der operative Turnaround gelingen - und eine Reihe wichtiger Entscheidungen fallen.
von Stephan Bauer, Euro am Sonntag
Für Aktionäre war es wie ein warmer Luft-zug mitten in der arktischen Kälte, die das Land um Rhein und Ruhr erfasst hat. Der krisengeschüttelte Stahl- und Maschinenbaukonzern Thyssenkrupp schreibt im ersten Quartal des Geschäftsjahres 78 Millionen Euro Vorsteuergewinn, im Vorjahr fielen hier noch Verluste in doppelter Höhe an. Der Auftragseingang steigt, die Bereiche Stahl und Automobilkomponenten verzeichnen Wachstum. Und: Die Essener erwarten wegen der Nachfrage vor allem der Automobilindustrie im Geschäftsjahr bis Ende September ein deutliches Umsatzplus und ein "nahezu ausgeglichenes Ergebnis". Bislang war noch etwa eine halbe Milliarde Euro Verlust angepeilt.
"Wir haben schwarze Zahlen geschrieben, noch sind wir nicht über den Berg", warnte Konzernchefin Martina Merz, die seit Oktober 2019 den komplexen Umbau des Konglomerats leitet.
Coup im Februar
Merz gelang Ende Februar 2020 der Verkauf der Aufzugsparte Elevator, gerade noch rechtzeitig vor der Corona- Krise. Die 17 Milliarden Euro retteten den Konzern vor dem drohenden finanziellen Kollaps.
Jetzt gelingt dank des Rückenwinds aus China, der die Autonachfrage ankurbelt, offenbar auch der operative Turnaround. Die angestrebte schwarze Null im Geschäftsjahr hatte kaum jemand dem Industrie-Urgestein zugetraut, schließlich fielen im Vorjahr noch 1,8 Milliarden Euro Verlust an. Im Quartal lag auch der Cashflow bei 32 Millionen Euro. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum, als Corona noch auf die Region um Wuhan beschränkt war, verbrannten die Essener 2,5 Milliarden.
Die Essener haben dank intensiver Spar- und Umbauarbeiten sowie des Aufzüge-Deals binnen eines Jahres aus über sieben Milliarden Euro Nettoschulden ein Nettoguthaben von über fünf Milliarden Euro gemacht. Das Eigenkapital lag Ende 2020 bei knapp zehn Milliarden Euro, macht eine Quote von etwa 28 Prozent - damit liegt der Konzern auf einem soliden Niveau.
Anleger hatten in den vergangenen Jahren viel Ärger. Nach Milliardenverlusten und Kursschwund fiel zuletzt auch die Dividende weg. Viele Anteilseigner ließen ihrem Frust auf der virtuellen Hauptversammlung unlängst freien Lauf. Über eine "Vielzahl unternehmerischer, handwerklicher und strategischer Fehler" etwa wetterte ein Aktionärsvertreter. "In vielen Geschäften wurde lange nicht hart genug an Verbesserungen gearbeitet", gab Finanzchef Keysberg, selbst seit rund 25 Jahren bei Thyssenkrupp, zu.
Mit gutem Grund zielt der Umbau unter Merz auf Eigenverantwortung und Transparenz. Die Quersubventionierung defizitärer Bereiche wird nicht mehr geduldet. Merz will die operativen Sparten selbstständig arbeiten lassen und aus einer schlanken Zentrale heraus führen.
Bei Minen tut sich was
Wenn sie denn im Konzern bleiben. Der Anlagenbau etwa wird sanier, und bei den Minen- und Zementanlagen stehen alle Optionen bis zum Verkauf offen. Im Minenbereich etwa liege ein "vielversprechendes" Angebot der dänischen FLSmith vor, sagt Merz. Auch der Bereich Marine Systems, der rüstungsnahe Schiffsbau, könnte allein oder mit Partnern weiterentwickelt werden. "Wir stehen in diesem Jahr vor weitreichenden Entscheidungen", sagt die Chefin.
Im Fokus steht vor allem Steel Europe. Laut der "Stahlstrategie 2030" soll im Traditionsbereich zwar hart gespart, aber auch investiert werden. Parallel dazu verhandeln die Essener weiter mit der britischen Liberty Steel, von der ein Angebot vorliegt. Im März will Merz Details zum Stand der Verhandlungen und eine Entscheidung zur Zukunft des Geschäfts präsentieren.
Die Verkaufsoption für den Chemieanlagenbau hat Thyssenkrupp inzwischen gestrichen. Die Konzerntochter Uhde verfügt über Know-how in der Wasserstofftechnik und stellt etwa die derzeit weltgrößten Elektrolyseure her, das sind Anlagen zur Aufspaltung von Wasser in Wasser- und Sauerstoff. Uhde erhielt jüngst einen Großauftrag aus Kanada. "Es bieten sich künftig hohe Umsatzpotenziale. Wir bewerten den Unternehmensteil neu", sagt Merz.
Im Lauf des Jahres könnten weitere Deals geschlossen werden, Geldvernichter wegfallen. Keysberg rechnet jetzt mit Mittelabflüssen von rund einer statt 1,5 Milliarden Euro - vor Verkäufen. "Wir glauben, dass der Konzern langfristig weitaus mehr wert ist, als der Kurs widerspiegelt", sagt der Finanzchef.
Energie: Spürbare operative
Verbesserungen, der Markt
spendet Rückenwind. Der
Turnaround läuft. Spekulativ.
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