Anhörung verlassen

VW-Aktie gewinnt: Volkswagen lehnt Abkommen in Brasilien ab - eventuell keine Sanktionen wegen Dieselgate

30.03.23 17:54 Uhr

VW-Aktie gewinnt: Volkswagen lehnt Abkommen in Brasilien ab - eventuell keine Sanktionen wegen Dieselgate | finanzen.net

Volkswagen do Brasil hat in einer Anhörung zu möglicher Sklavenarbeit auf einer Amazonas-Farm eines Tochterunternehmens in den 1970er und 80er Jahren nach Angaben der brasilianischen Staatsanwaltschaft den Verhandlungstisch verlassen - und dafür Kritik geerntet.

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Das Unternehmen habe erklärt, kein Interesse an der Unterzeichnung eines Abkommens mit der für Arbeitsrecht zuständigen Anklagebehörde zu haben, hieß es in einer Mitteilung der Behörde in Brasília am Mittwochabend (Ortszeit). Ein solches Abkommen entspricht in Deutschland etwa einer vorprozessualen Einigung.

"Das Verhalten von VW ist beschämend und zeigt, wie in den Vorstandsetagen über die Zivilgesellschaft gedacht wird", sagte Günther Schulz von der Brasilieninitiative Freiburg einer Mitteilung vom Donnerstag zufolge. Demnach sollte eine Petition mit fast 3.000 Unterschriften aus Deutschland übergeben werden. "VW sollte schnellstens einer Vereinbarung zustimmen und die Verzögerungstaktik aufgeben", so Schulz weiter.

Die Staatsanwaltschaft bedauerte die Haltung von Volkswagen, die im Widerspruch zu dem Bekenntnis des Unternehmens zum Land und zu den Menschenrechten stehe. Sie kündigte an, alle gerichtlichen und außergerichtlichen Maßnahmen zu ergreifen, die für eine wirksame Wiedergutmachung der mutmaßlich von dem Unternehmen verursachten Schäden erforderlich seien.

"Volkswagen do Brasil weist alle Behauptungen zurück, die in den Protokollen dieser Untersuchung über die Fazenda Vale do Rio Cristalino enthalten sind, und stimmt den einseitigen Darstellungen von Fakten durch Dritte nicht zu", sagte ein Sprecher von Volkswagen do Brasil auf Anfrage. Die brasilianische Staatsanwaltschaft hätte das Unternehmen erst drei Jahre nach Beginn der Untersuchungen informiert.

Die brasilianische Staatsanwaltschaft hatte VW do Brasil im Mai 2022 vorgeladen. Bei der Anhörung im Juni 2022 ging es auch um eine etwaige Wiedergutmachung für die Arbeiter auf der Farm und für die brasilianische Gesellschaft. Es gehe um einen sehr schwerwiegenden Verstoß gegen die Menschenrechte, der über mehr als zehn Jahre hinweg unter der direkten Beteiligung von Volkswagen stattfand, hieß es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft.

Staatsanwalt Rafael Garcia Rodrigues hatte etwa von unwirtlichen Unterkünften auf der als "Fazenda Volkswagen" bekannten Farm in Santana do Araguaia im Bundesstaat Pará gesprochen. Zudem hätten die Arbeiter die Farm nicht verlassen können. Die Arbeitnehmer und die brasilianische Gesellschaft selbst haben nach Ansicht der ermittelnden Staatsanwälte eine respektvollere Behandlung und eine Wiedergutmachung für den verursachten Schaden verdient.

Der Vorschlag der Staatsanwaltschaft sah eine Entschädigung für bereits identifizierte mutmaßlich geschädigte Arbeiter vor sowie ein Programm zur Suche nach anderen Arbeitern, die auf der Farm ebenfalls so behandelt wurden. "Statt die Opfer der VW-Sklavenarbeit der Vale do Rio Cristalino-Farm endlich nach all den Jahren zu entschädigen, will Volkswagen die Bezüge, Boni und Gehaltszahlungen für den Vorstandsvorsitzenden Oliver Blume und die der weiteren acht Mitglieder des Vorstands erhöhen", kritisierte Christian Russau vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. "Aber für die Sklavenarbeiter in Brasilien gibt es von VW nur ein müdes Lächeln."

Bei der "Fazenda Volkswagen" handelte es sich Ermittler Garcia Rodrigues zufolge um eine der größten Unternehmungen im ländlichen Amazonasgebiet, der Autokonzern wollte damals in das Fleischgeschäft einsteigen. Sie wurde in den 1970er Jahren gegründet und von der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) unterstützt. Die Farm war rund 1390 Quadratkilometer groß und hatte etwa 300 Arbeiter. Die für die Rodung zuständigen Leiharbeiter, auf die sich der Vorwurf der Sklavenarbeit vor allem bezieht, waren nicht direkt bei dem Tochterunternehmen angestellt.

Weil das Unterfangen mit öffentlichen Mitteln und steuerlichen Erleichterungen habe rechnen können, ist der Staatsanwaltschaft zufolge eine Entschädigung der brasilianischen Gesellschaft notwendig.

EuGH-Generalanwalt - Italien kann VW nicht wegen Dieselgate sanktionieren

Volkswagen muss nach Ansicht des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Italien keine Geldstrafe wegen der Manipulation von Dieselabgasen zahlen.

Der Autobauer könne in Italien nicht wegen "Dieselgate" sanktioniert werden, nachdem der Konzern bereits in Deutschland belangt worden sei, erklärte Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona in seinem am Donnerstag veröffentlichten Schlussantrag. Zwischen den Sanktionsverfahren beider Staaten sei keine ausreichende Koordinierung erfolgt. Die Charta der Grundrechte der EU verbiete es, dass jemand wegen der derselben Tat in mehreren Vertragsstaaten strafrechtlich verfolgt werde.

Volkswagen begrüßte den Antrag des Generalanwalts. Das Unternehmen sei 2018 durch den Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft Braunschweig für das Fehlverhalten seiner Mitarbeiter im Zusammenhang mit der "Diesel-Thematik" auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus umfassend und abschließend sanktioniert worden. "Wir sind zuversichtlich, dass sich auch der Europäische Gerichtshof dieser Auffassung in seinem Urteil anschließt und dem Antrag des Generalanwaltes folgt", erklärte der Konzern.

Die italienische Wettbewerbsbehörde hatte 2016 eine Geldbuße von fünf Millionen Euro gegen Volkswagen wegen des Verkaufs von Autos mit manipulierten Abgaswerten verhängt. Die Geldstrafe focht der Autobauer vor italienischen Gerichten an. Die Klage wurde abgewiesen, woraufhin VW Rechtsmittel beim italienischen Staatsrat einlegte. Der wandte sich an den Europäischen Gerichtshof, um Fragen in dem Zusammenhang klären zu lassen. Der Generalanwalt schlug nun vor, dem Staatsrat zu antworten, dass es nicht zulässig sei, das Grundrecht einzuschränken, wonach eine Person wegen der gleichen Tat nicht zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft zu werden darf.

Der EuGH orientiert sich bei seinen Entscheidungen meist an den Anträgen des Generalanwalts. Für ein Urteil hat das Gericht bis zu drei Monate Zeit.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte im Dieselskandal 2018 ein Bußgeld von einer Milliarde Euro gegen den Konzern verhängt, eine der höchsten jemals in Deutschland einem Unternehmen auferlegten Geldbußen. Die Ermittler sahen es als erwiesen an, dass VW von Mitte 2007 bis 2015 weltweit insgesamt fast elf Millionen Diesel-Fahrzeuge mit einer unzulässigen Softwarefunktion verkauft hatte. Diese sorgte dafür, dass neue Autos Abgasgrenzwerte auf dem Prüfstand zwar einhielten, im realen Betrieb auf der Straße aber ein Vielfaches mehr an Schadstoffen ausstießen. Volkswagen akzeptierte die Geldstrafe und zahlte das Geld an die niedersächsische Staatskasse.

Im XETRA-Handel ging es für die VW-Aktie zuletzt 1,70 Prozent auf 124,68 Euro aufwärts.

BRASÍLIA / HAMBURG (dpa-AFX / Reuters)

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