Ambitioniertere Ziele

Siemens-Aktie: Wie der neue Siemens-Chef den Konzern auf mehr Profit trimmt

24.07.21 19:44 Uhr

Siemens-Aktie: Wie der neue Siemens-Chef den Konzern auf mehr Profit trimmt | finanzen.net

Vor Investoren skizziert der neue Siemens-Chef Roland Busch die Strategie für die kommenden Jahre. Software steht im Zentrum - und die Messlatte liegt noch.

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von Stephan Bauer, Euro am Sonntag

Es sind neue Zeiten bei Siemens. Beim ersten großen Auftritt des Chefs Roland Busch vor Investoren gab es kein großes Umbauprogramm. Der DAX-Konzern wird unter dem 56-jährigen Physiker an der Spitze jetzt nicht mehr revolutioniert, sondern entwickelt. Auf seinem ersten Kapitalmarkttag als Chef skizzierte Busch die Strategie für die nächsten Jahre. "Wir wollen unsere Position als führendes Technologieunternehmen ausbauen", erklärte er vor Analysten und Investoren. Der Naturwissenschaftler, der erste an der Siemens-Spitze seit drei Jahrzehnten, spricht wohlgemerkt nicht vom Industriekonzern.

Die große Linie Buschs und seines Finanzvorstands Ralf Thomas: Siemens wird seine Kernkompetenzen in der Industrieautomatisierung und -digitalisierung ausbauen. In Teilmärkten wie den digitalen Werkzeugen zur virtuellen Simulation von Produktionsplanung und Fertigung für Industriekunden sind die Münchner weltweit die Nummer 1. Das softwarebasierte Geschäft, 2020 brachte es 5,3 Milliarden Euro Umsatz, soll dabei stark profitieren und pro Jahr im Schnitt um zehn Prozent wachsen.

Die Erholung in den USA und Europa mache sich erfreulich bemerkbar, in China laufe es hervorragend, lautet eine Botschaft an den Kapitalmarkt. Siemens soll aber dauerhaft dynamischer wachsen und profitabler werden.

Deshalb gibt der neue Chef dem Konzern ehrgeizigere Ziele vor: Das Wachstumsziel liegt jetzt bei fünf bis sieben Prozent jährlichem Umsatzplus im Durchschnitt eines Konjunkturzyklus, zuvor wurden vier bis fünf Prozent angepeilt. Beim Gewinn pro Aktie soll es sogar um acht bis zehn Prozent pro Jahr vorangehen. Das sind ambitionierte Zahlen. Der Siemens-Chef arbeitet allerdings nach dem großen Umbau durch Vorgänger Joe Kaeser auch auf anderer Basis: Siemens ist nach der Abspaltung der Energiesparte Siemens Energy (SE) im vorigen Herbst zwar kleiner geworden, aber der Fokus hat sich zugunsten profitablerer Geschäfte verschoben.

Was Siemens macht, hat sich nicht nur durch Kaesers Wirken dramatisch verändert. Vor zwei Jahrzehnten stellten die Münchner noch Handys oder Waschmaschinen her, inzwischen sind alle Konsumprodukte aus dem Portfolio verschwunden, die Kraftwerke und Gasturbinen zuletzt ebenfalls. Heute ist Siemens in erster Linie Ausrüster der Industrie mit hochkomplexen Automatisierungssystemen, die Bayern digitalisieren Mittelständler und Großkonzerne und sorgen für den energieeffizienten Betrieb von Gebäuden und Stromnetzen. Am sichtbarsten im Alltag sind wohl neben den Zügen der Verkehrstechniksparte die medizinischen Großgeräte der Medizintechniktochter Healthineers, an der Siemens, im Gegensatz zur SE, die Mehrheit hält.

Virtuelle Beschleuniger

"Niemand kann die reale und die digitale Welt für Kunden so nutzenstiftend verbinden wie wir", trommelt Busch für die eigenen Stärken. Er sieht in der Kombination aus tiefem Verständnis von Werkzeugen und physischen Verfahren, den traditionellen Kompetenzen, mit der Software-Ebene die Alleinstellung von Siemens. Der Chef erklärt das Geschäft der größten und gewinnträchtigsten Sparte Digital Industries (DI) am Beispiel des Kunden Biontech: Um genügend Impfstoff herstellen zu können, mussten die Mainzer Pioniere im vergangenen Jahr einen Fertigungsstandort in Marburg möglichst rasch ausbauen. Mithilfe der virtuellen Planungstools von Siemens gelang dies binnen fünf Monaten. Künftig soll das Marburger Werk Biontech als Blaupause für den Aufbau weiterer Werke dienen, ein erstes entsteht in Kooperation mit Siemens in Singapur.

"Digitaler Zwilling" heißt das Schlüsselwort, das Cedrik Neike, Chef der DI, ständig benutzt, wenn er seine Arbeit beschreibt. Leidenschaftlich predigt Neike Kunden und dem Kapitalmarkt, dass die Simulation der Produktion im Computermodell, dem Zwilling der realen Welt, Planung und letztlich auch die Fertigung kostengünstiger und das Unternehmen flexibler mache. Am Beispiel des Kunden Vingroup, der von Autos bis Smartphones vieles herstellt, veranschaulicht der Vorstand die Botschaft: In der Pandemie wollten die Vietnamesen demnach statt Smartphones Ventilatoren herstellen. Mit Tools von DI gelang die Umstellung in drei Wochen.

"Heute nutzen erst elf Prozent der Unternehmen digitale Zwillinge, binnen drei Jahren wird sich der Anteil verdreifachen", so Neike. Neu bei Siemens ist auch, dass die Bereichsvorstände mit Auftritten wie diesem noch stärker ins Rampenlicht rücken. "Busch beweist Vertrauen in seine Leute und nimmt sie mit ins Boot", lobt Fondsmanagerin Vera Diehl von Union Investment.

Um kleineren Firmen den Einstieg in die Technologie zu erleichtern und die Hürde beim Kapitalbedarf zu senken, will DI die Softwaretools auch bald als Cloud-basierte Abo-Dienste anbieten. Das ist nicht neu, Cloud-Dienste sind heute Stand der Technik. Im Abo-Modell fallen anfängliche Lizenzzahlungen weg, der Erlös verzögert sich. Das SaaS-Projekt wird deshalb laut Finanzchef Thomas drei, vier Jahre lang die Umsatz- und Margenentwicklung der Gewinnperle DI bremsen. Diese Nachricht kam zunächst am Markt nicht gut an. "Der Zeitraum liegt aber im üblichen Rahmen", sagt Fondsmanagerin Diehl.

Der Zielkorridor für die operative Marge von DI bleibt bei 17 bis 23 Prozent, am Finanzmarkt hatten viele indes auf eine Erhöhung gehofft. Die Ziele für die Sparten Smart Infrastructure (SI) und die Verkehrstechnik Mobility wurden dann tatsächlich um je einen Prozentpunkt hochgeschraubt.

Wie das geht? Busch zufolge treiben sich reale und digitale Geschäfte gegenseitig an. Beim Auftrag der Mobility für den Rhein-Ruhr-Express über 1,7 Milliarden Euro etwa hätten digitale Kompetenzen den Ausschlag gegeben, ähnlich wie beim Auftrag für die neue Piccadilly Line der Londoner U-Bahn. "Prognosen mittels künstlicher Intelligenz erzeugen 99-prozentige Verfügbarkeit bei geringerem Fahrzeugbestand", so der Chef. Überdies setze man die Tools von DI zur Optimierung der eigenen Betriebsprozesse ein und senke so die Kosten.

Unsinkbare Dividende

Der Techniker an der Siemens-Spitze zeigt sich selbstbewusst. Der Konzern adressiere weltweite Märkte mit 440 Milliarden Euro jährlichem Volumen. Busch will in Bereiche mit weiteren 120 Milliarden Euro Umsatzpotenzial pro Jahr vorstoßen - organisch oder per Übernahme, wie zuletzt beim Online- Marktplatz für elektrische Komponenten, Supplyframe, gesehen. Auch Großeinkäufe seien machbar, "die Feuerkraft haben wir", so Busch vor den Kapitalmarktexperten.

Nicht nur Wachstumschancen und höhere Ziele sollen überzeugen. Finanzer Thomas will künftig Enttäuschungen bei der Dividende wie für das Corona-Jahr 2019/20, als Siemens die Auszahlung je Aktie von 3,90 auf 3,50 Euro zusammenschnitt, vermeiden. "Wir bekennen uns klar zu einer progressiven Dividendenpolitik", verspricht Thomas Investoren - auch nach schlechten Jahren. "Das war eine Forderung von uns, die endlich umgesetzt wurde", freut sich Fondsmanagerin Diehl.


INVESTOR-INFO

Siemens

Entwicklungspotenzial

Nach der Ausgliederung der Energietechnik ist der Konzern schlanker und profitabler. Die Fokussierung auf Automatisierung und Digitalisierung der Industrie, smarte Infrastruktur wie Gebäudetechnik sowie Verkehrstechnik zahlt sich bislang für die Aktionäre aus. Der Markt gesteht der Aktie bereits eine höhere Bewertung zu. Gelingt die Weiterentwicklung ohne Rückfall in alte Projektprobleme, dürfte mit höheren Zielen weiteres Kurspotenzial drin sein. Das neue Dividendenversprechen und weitere Aktienrückkäufe sprechen dafür.

Siemens Healthineers

Gesund und flexibel

An der hochprofitablen Medizintechniksparte hält Siemens rund 75 Prozent, die Mehrheit soll auch in Händen des Konzerns bleiben. In der Pandemie erwies sich die selbstständige Healthineers als flexibel, erzielte mit Corona- Tests ein dickes Sondergeschäft. Die Erlanger erweitern ihr Geschäftsmodell mit der Übernahme des US-Onkologiespezialisten Varian. Zukunftsträchtig ist die Verknüpfung digitaler Kompetenzen bei bildgebenden Geräten mit künstlicher Intelligenz. Attraktiv.

Siemens Energy

Regenerativer Rückenwind

Siemens hält derzeit noch 35,1 Prozent an der ehemaligen Energiesparte SE, der Siemens- Pensionsfonds hält rund zehn Prozent. Das Geschäft wurde weitgehend restrukturiert, beherbergt aber auch schwierigere Sparten wie die Gasturbinen und -kraftwerke. Zukunftsträchtig ist vor allem die Stromübertragung sowie die regenerative Windkraft. Die Beteiligung Siemens Gamesa (SE hält knapp 70 Prozent) ist die globale Nummer 1 offshore. Nach Konsolidierung interessant.










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Bildquellen: Siemens AG, Gil C / Shutterstock.com

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