VW: EuGH-Gutachten hält Thermofenster für womöglich rechtswidrig - Ingenieure weisen Hauptverantwortung im VW-Dieselprozess von sich
Volkswagen droht im Rechtsstreit um mutmaßlich vertragswidrige Abschalteinrichtungen eine Schlappe vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).
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In einem am Donnerstag veröffentlichten Gutachten des obersten europäischen Gerichts vertritt Generalanwalt Athanasios Rantos die Ansicht, dass sogenannte Thermofenster eine rechts- und somit vertragswidrige Abschalteinrichtung darstellen können. Nach Angaben des EuGH ließ die Software höhere Stickoxid-Emissionen zu, wenn es kälter als 15 beziehungsweise wärmer als 33 Grad Celsius war oder das Auto in mehr als 1000 Höhenmetern gefahren wurde.
Hintergrund des Gutachtens sind drei Verfahren, die vor österreichischen Gerichten verhandelt wurden, in denen Autos mit einer Software ausgestattet waren, die bei bestimmten Außentemperaturen und einer bestimmten Höhe mehr Emissionen von Stickoxid (NOx) zulässt. Die Richter am EuGH sind nicht an die Gutachten gebunden, folgen ihnen aber häufig. Mit einem Urteil ist in den kommenden Monaten zu rechnen.
VW hatte argumentiert, dass die strittigen Thermofenster dem Schutz des Fahrzeugs dienen. Nach Ansicht der Wolfsburger können diese auch weiterhin gerechtfertigt sein, wenn sie etwa eine Fehlfunktion verhinderten, die sich abrupt auf den Betrieb des Motors selbst auswirke und die nicht durch regelmäßige Wartung verhindert werden könne.
Dieser Argumentation setzt das Gutachten nun enge Grenzen. Denn bei dem Streit geht es auch darum, ob die Argumentation greift, wenn nicht der Motor direkt, sondern das sogenannte AGR-Ventil durch das Thermofenster geschützt werden soll. Der Gutachter sagt, es müsse von nationalen Gerichten geklärt werden, ob das tatsächlich notwendig war. In einem der Fälle ist ein Gericht dieser Frage bereits nachgegangen und zu dem Schluss gekommen, dass sich nicht feststellen lasse, ob die Abschalteinrichtung erforderlich gewesen sei. In diesem Fall besagt das EuGH-Gutachten, dass "eng" ausgelegt werden solle, ob die Einrichtung notwendig sei.
Eindeutig ist das Gutachten in dem Punkt, dass das Thermofenster für die tatsächlichen Fahrbedingungen nicht repräsentativ sei, da es in Österreich und Deutschland sowie anderen EU-Ländern in den vergangenen Jahren im Schnitt deutlich unter 15 Grad Celsius warm gewesen sei und Autos vielfach in Höhen von mehr als 1000 Metern unterwegs seien.
"Folgt man dem Generalanwalt, dann fahren auf Europas Straßen weiterhin unzählige Dieselautos mit illegalen Abschalteinrichtungen", kommentierte der Abgeordnete und Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Sven Giegold. Sein Parteikollege und stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, Oliver Krischer, betonte: "Das endgültige Urteil wird nicht nur VW betreffen." Alle Autobauer hätten bei Außentemperaturen unter 15 Grad die Abgasreinigung heruntergeregelt, was noch immer im großen Stil bei älteren Diesel-PKW mit der Abgasnorm Euro 5 passiere.
VW-Dieselprozess: Verteidigung von VW-Managern kassiert Rückschlag
Im Diesel-Betrugsprozess gegen ehemalige VW-Führungskräfte haben Teile der Verteidigung eine Schlappe kassiert. Die Anträge zur Aussetzung der Verhandlung würden abgelehnt, sagte Richter Christian Schütz am Donnerstag. Die Hauptverhandlung des Braunschweiger Landgerichts werde fortgesetzt. (AZ 6 KLs 23/19)
Die Verteidigung früherer VW-Manager hatte zu Beginn des Prozesses die Aussetzung beantragt, weil die Anklage aus ihrer Sicht auf noch unvollständigen Ermittlungsergebnissen basierte. Offene Fragen würden unzulässig in die Hauptverhandlung verlagert. Eine effektive Verteidigung sei nicht möglich.
Richter Schütz wies dies als unzutreffende Behauptungen zurück. "Offene Ermittlungen betreffen lediglich das Ausmaß der Taten, für die die Kammer einen hinreichenden Tatverdacht bejaht hat", sagte er. Der Grundsatz einer effektiven Verteidigung sei mit der Verfahrensweise nicht verletzt.
In dem Betrugsprozess zur VW-Dieselaffäre sind vier Ex-Manager und -Ingenieure des Konzerns angeklagt. Ihnen wird unter anderem gewerbs- und bandenmäßiger Betrug mit manipulierter Software in Millionen Autos vorgeworfen. Die Angeklagten seien keinesfalls bloße Objekte des Gerichtsverfahrens, betonte Richter Schütz.
Seit Prozessbeginn wird zudem das Fehlen des zunächst mitangeklagten Ex-Konzernchefs Martin Winterkorn kritisiert. Über eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Abtrennung seines Verfahrens wegen gesundheitlicher Probleme ist noch nicht entschieden.
Ingenieure weisen Hauptverantwortung im VW-Dieselprozess von sich
Im Diesel-Betrugsprozess hat auch der zweite angeklagte VW (Volkswagen (VW) vz)-Ingenieur eine Hauptverantwortung für den Abgasskandal abgestritten. Der Eindruck, Techniker hätten über Nacht beschlossen, Kunden zu betrügen, sei falsch, sagte ein ehemaliger Leiter der Antriebselektronik bei Volkswagen (Volkswagen (VW) vz) am Donnerstag. Damit liegen nach der dritten Sitzung am Landgericht Braunschweig nun zwei Versionen zur Entstehung der Affäre um gefälschte Abgaswerte beim größten europäischen Autohersteller vor (Az.: 6 KLs 23/19).
Bereits zuvor hatte ein ehemaliger Abgastechnik-Ingenieur dem Topmanagement die zentrale Rolle bei der mutmaßlich jahrelangen Vertuschung der Täuschungssoftware zugeschrieben - namentlich Ex-Konzernchef Martin Winterkorn sowie dem Ex-Entwicklungschef der VW-Kernmarke. Angeklagt sind neben den beiden Ingenieuren zwei frühere Manager des Wolfsburger Autokonzerns. Zusammen wird ihnen unter anderem gewerbs- und bandenmäßiger Betrug mit manipulierter Software in Millionen Fahrzeugen vorgeworfen. Der Prozessteil zu Winterkorn ist vorerst von der laufenden Hauptverhandlung abgetrennt.
"Ich bin tief bestürzt und hätte es mir nie vorstellen können, als Angeklagter vor Gericht zu landen", sagte der am Donnerstag angehörte Antriebsexperte. Er habe Bedenken zur sogenannten Akustikfunktion früh geäußert. Wenn er die Entwicklung und das spätere Ausmaß erkannt hätte, wäre seine Gegenwehr sicher stärker gewesen, erklärte er. "Ich habe in der ganzen Zeit nie ein Geheimnis um die Akustikfunktion gemacht. An einen Betrug am Kunden hätte ich nie gedacht."
In seiner Einlassung räumte der Ingenieur der früheren Führungskultur bei VW, die bei Kritikern lange als intransparent und hierarchisch galt, viel Raum ein. "Ein Problem zu nennen, ohne eine Lösung zu kennen, war nicht gewollt", meinte er beispielhaft. Bedenken konnte man ihm zufolge zwar durchaus vortragen - wenn der Vorgesetzte aber anders entschied, sei das damit erledigt gewesen. "Es war nicht meine Entscheidung, die Funktion war gewünscht", sagte er.
Vor gut sechs Jahren war das manipulative Programm ("defeat device") in den USA aufgeflogen. Anders als bei Tests stießen betroffene Wagen auf der Straße deutlich überhöhte Mengen an schädlichen Stickoxiden (NOx) aus. Der Skandal trat die branchenweite Dieselkrise los und kostete allein Volkswagen bereits mehr als 32 Milliarden Euro.
Rückblickend hätte er einiges anders gemacht, sagte der Ingenieur: "Aus heutiger Sicht hätte ich bei jedem Kontakt mit der Funktion Schreibtische umschmeißen müssen." Er habe diese für ein Meeting im November 2006, das heute als wesentlich für die Entstehung von "Dieselgate" gilt, unmissverständlich beschrieben. Das Ergebnis des Treffens sei eine Niederlage für ihn, aber immerhin eine Entscheidung gewesen. "Für mich war die Sache geklärt", sagte er.
In den Folgejahren habe er lange Zeit keine Berührung mit dem Thema gehabt, berichtete der Angeklagte. Nach seiner Schilderung lagen die Entscheidungen im Wesentlichen bei projektverantwortlichen Abteilungsleitern in der Dieselentwicklung. Aus seiner Sicht war die Funktion zwar "anrüchig" - dass sie aber irgendwann strafrechtliche Konsequenzen habe würde, sei für ihn völlig unklar gewesen.
Anschließend begann einer der beiden angeklagten Ex-Manager mit seiner Darstellung. Er hatte angekündigt, etwa zwei Verhandlungstage dafür zu brauchen. Fortgesetzt wird der Prozess am kommenden Mittwoch (29.09.). Ab dann wird auch mehr Klarheit zum Verfahrensteil des zunächst mitangeklagten Winterkorn erwartet. Über eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Abtrennung wegen gesundheitlicher Probleme hat das zuständige Oberlandesgericht noch nicht entschieden.
(dpa-AFX)
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