Die Angst vor dem kalten Entzug – ohne Liquiditätsdroge keine Party ?
Seit gut vier Wochen beschäftigt die Marktteilnehmer weltweit nur eine Frage - wann wird die US-Notenbank wie viel Druck vom Gaspedal nehmen…
von Thomas Böckelmann, Geschäftsführender Gesellschafter der veitsberg Vermögensbetreuung mbH, Ravensburg
Dabei ist von einer Zinswende nach drei Jahrzehnten sinkender Zinsen noch gar nicht die Rede. Allein die Befürchtung, die US-Notenbank könnte weniger statt der aktuell monatlichen 85 Mrd. US-Dollar drucken, versetzt weltweit Anleger bereits in Panik und Verzweiflung. Diese Tatsache wirft vier offensichtliche Fragen auf:
1. War die bisherige Rallye an den Kapitalmärkten nur auf die kontinuierlich bereitgestellte Liquidität und die künstlich niedrigen Zinsen zurückzuführen ?
2. Welche Gefahren gehen von einer Normalisierung des Zinsniveaus hin zu real positiven Renditen auf die zukünftige Wertentwicklung der Anlageklassen aus ?
3. Was bedeuten steigende Zinsen für die überschuldete westliche Welt ?
4. Hat die globale Wirtschaft bereits genügend selbsttragende Kräfte entwickelt, um mit etwas weniger Geldflut auszukommen ?
Konkrete Antworten werden wir alle erst in den kommenden Jahren erhalten und erfahren – Prognosen sind im Reich der Spekulation anzusiedeln. Zu komplex ist das Geflecht wechselseitiger Beziehungen in Politik und Wirtschaft. Diese Erkenntnis eigener Orientierungslosigkeit hat in den letzten Wochen weltweit Anleger aus allen Anlageklassen gleichzeitig vertrieben. Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Gold – eine Risikostreuung durch Verteilung der Gelder auf unterschiedliche Anlageklassen konnte ihre angestrebte Wirkung nur bedingt entfalten. Wer sein Geld nicht als Tagesgeld den Risiken von Inflation und Bankenpleiten aussetzten wollte oder nicht gezielt über Derivate auf fallende Märkte spekulierte, hat im Mai und Juni bisher wenig Freude erfahren. Insbesondere durch hohe Anteile festverzinslicher Wertpapiere gekennzeichnete defensive vermögenserhaltende Produkte haben einen Großteil der bisherigen Jahresperformance in nur vier Wochen abgegeben.
Das Märchen von den 3 Pfeilen
Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe hat seit seiner Amtsübernahme im Dezember 2012 den Begriff der ‚Abenomics‘ geprägt – ein Maßnahmenpaket für die seit Jahrzehnten in Lethargie verfallene japanische Wirtschaft und Gesellschaft. In der demographischen wie industriellen Struktur in großen Teilen mit Europa vergleichbar, bringt es Japan auf einen Schuldenstand in Höhe von US$ 12.500 Mrd. – mehr als die ganze Europäische Union zusammen, sogar ein paar Dollar mehr als die USA.
Mit einer Pro-Kopf Verschuldung in Höhe von 100.000 US-Dollar ist Japan das am höchsten verschuldete Land der Welt. Shinzo Abe und sein neuer Notenbankpräsident Haruhiko Kuroda haben Bevölkerung wie Weltmärkte mit seinem Maßnahmenpaket überrascht – noch mehr Schulden – viel mehr und vor allem schneller… Die Aktienbörse hat die Ankündigung mit einer 50-prozentigen Kurssteigerung seit Winter honoriert.
Abe spricht von den 3 Pfeilen seiner Politik:
1. Monetär: Verschuldung erhöhen – Liquidität in die Märkte pumpen
2. Fiskalisch: Verschuldung erhöhen – Konjunktur ankurbeln
3. Strukturell: nachhaltige Veränderungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Infrastruktur
Es ist offensichtlich, dass der dritte Pfeil Probleme bereitet und daher im Köcher bleibt. Nach Europa blickend sind die Verantwortlichen noch gar nicht so weit – hier hofft man unverändert auf den Erfolg durch den ersten Pfeil in Gestalt Mario Draghis als Notenbankchef.
Vor diesem Hintergrund darf man hoffnungsvoller in die USA blicken. Auch hier streiten sich Demokraten und Republikaner um notwendige Reformen aber zumindest scheint die Wirtschaft wieder selbsttragende Kräfte zu entfalten. Arbeitsmarkt, Immobilienmarkt und Wohlstandseffekte zeigen deutliche Anzeichen einer Verbesserung. Es ist daher logisch, aus Sicht der US-Notenbank über eine Normalisierung ihrer Liquiditätspolitik nachzudenken und einen potentiell schwächeren Druck auf das Gaspedal zu signalisieren. Das sind eigentlich gute Nachrichten. Der Experte für die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre – Ben Bernanke – wird zuversichtlicher. Allein die Märkte trauen dieser Einschätzung nicht, befürchten einen zu schnellen Ausstieg aus den Maßnahmen und somit ein Ansteigen der Rückfallrisiken in die Rezession…
Home Bias und das Ende der Diversifikation
Die US-amerikanischen Investoren sind die größten der Welt. In Sorge um ein frühzeitiges Ende der Liquiditätspolitik der heimischen Notenbank und in Erwartung steigender Zinsen handeln die Investoren nach dem Motto ‚heim ins Reich‘.
Die US-Notenbank pumpt aktuell noch jeden Monat 85 Mrd. US-Dollar in die Märkte. Eine relativ kleine Summe im Gegenwert von 10 Mrd. US-Dollar haben ausgereicht, an den Schwellenländermärkten einen Sturm auszulösen. Nach Einschätzung von Experten ist das der Betrag, den US-Investoren innerhalb von drei Wochen aus Schwellenländeranleihen und –aktien abgezogen haben. Kursverluste von durchschnittlich 10 Prozent in beiden Anlageklassen waren die Folge. Noch sind diese Märkte zu klein und zu eng, als dass sie eine derartige Bewegung verkraften oder gar kompensieren könnten. Dazu fehlt es unverändert an der eigenen Finanz-, Investment- und Altersvorsorgestruktur. Ebenso zum Spielball wurden Aktienmärkte mit generell hoher US-Beteiligung – insbesondere der deutsche Aktienindex DAX, der seither sieben Prozent verloren hat. Portfoliotheoretisch lassen sich Verluste in Aktien oder Schwellenländern durch ‚risikolose‘ Anlagen abfedern. Steigt das Risiko suchen Anleger in der Regel die sicheren Häfen z.B. deutscher und amerikanischer Staatsanleihen, deren Kurse in der Folge steigen sollten.
Aktuell ist das Gegenteil der Fall. 20 Jahre lang haben sich Anleihekäufer über sinkende Zinsen gefreut. Die bedeuteten zwar niedrigere Zinssätze für Neuanlagen, aber deutliche Kursgewinne auf bestehende Positionen. Erstmals scheinen die Zeichen auf eine effektive und nachhaltige Zinswende zu deuten. Die Verluste selbst bei deutschen Staatsanleihen waren aktienähnlich – je nach Laufzeit bis zu -10 Prozent. Allein die Zinsen in den USA sind um relative 50 Prozent von 1,6 Prozent auf 2,4 Prozent für 10 Jahre gestiegen.
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