S&P Fokus Finanzmarkt

Mit dem Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte der politischen Radikalisierung in der Eurozone entgegentreten

28.01.15 11:56 Uhr

Mit dem Abbau wirtschaftlicher Ungleichgewichte der politischen Radikalisierung in der Eurozone entgegentreten | finanzen.net

Die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone verharren seit mehr als fünf Jahren nahezu unvermindert.

Die Volkswirtschaften der vier größten Auslandsschuldner (in absteigender Reihenfolge Spanien, Italien, Griechenland und Portugal) sehen sich 2014 mit Nettoauslandsverbindlichkeiten von 1,85 Billionen Euro konfrontiert. Das ist mehr als das Doppelte als ein Jahrzehnt zuvor.

Wer­bung

Auf der anderen Seite haben sich die Nettoauslandsvermögen der drei Hauptgläubigernationen (Deutschland, Niederlande und Belgien) auf weit über 2 Billionen Euroaufgetürmt. Ins Verhältnis gesetzt zum Sozialprodukt der Eurozone insgesamt, ungefähr 10 Billionen Euro, haben diese Ungleichgewichte eine besorgniserregende Dimension angenommen. Und obgleich die Schuldnerländer ihre Außenhandelsdefizite seit dem offenen Ausbruch der Krise 2009 erfolgreich eliminieren konnten, haben sich die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte der Bestandsgrößen in der Eurozone noch nicht nennenswert reduziert.

Zu hohe Schuldenquoten der öffentlichen und privaten Sektoren

Die Schuldenquoten der privaten wie öffentlichen Sektoren in den Schuldnerländern sind nach wie vor zu hoch. Es steht zu erwarten, dass die Bemühungen der wirtschaftlichen Akteure die Verschuldung zurückzufahren noch etliche Jahre andauern werden. Ein Großteil der Verschuldung war aber vor der Krise durch Kredite aus dem Ausland finanziert worden, vor allem von Gläubigerländern wie Deutschland. Eine erfolgreiche Schuldenreduktion führt für die Schuldnerwirtschaften somit zwangsläufig zu nachhaltigen Leistungsbilanzüberschüssen. Der damit einhergehende Rücktransfer von Ressourcen in die Gläubigerländer führt aber in den Schuldnerländern notwendigerweise auch zu verringerter Konsum- und Investitionstätigkeit. Ansonsten ließe sich die gewünschte Verringerung der Schulden - und somit auch Auslandsverbindlichkeiten - schlicht nicht gewährleisten.

Wer­bung

Außenwirtschaftliche Anpassung innerhalb der Eurozone stagniert

Deutschland als mit Abstand größter Nettogläubiger hat seinen Außenhandelsüberschuss mit den vier Hauptschuldnern seit 2007 um gut knapp zwei Drittel reduziert. Doch seit 2012 verharrt der Überschuss bei 20 Milliarden Euro. Deutschland generiert also kontinuierlich weitere Forderungen gegenüber den vier Schuldnernationen. Und nicht nur das: Deutschlands Überschüsse mit der sogenannten Peripherie legten in den ersten neun Monaten 2014 sogar erstmals wieder zu - die Anpassung geht also in die falsche Richtung.

Gleichzeitig haben die vier Schuldnerländer ihre Leistungsbilanzdefizite mit dem Rest der Welt überproportional angepasst. Knapp 80% der Verbesserung der kombinierten Leistungsbilanzpositionen seit 2007 entfiel auf den Rest der Welt, obwohl das Defizit der vier Schuldnerwirtschaften mit dem Rest der Welt 2007 nur etwa zwei Drittel betragen hatte. Schlussfolgerung: die relative Unbeweglichkeit der deutschen Überschüsse stellt ein Problem bei der Rekalibrierung der Volkswirtschaften in der Eurozone dar.

Wer­bung

Wasser auf die Mühlen der Populisten

Die Beharrlichkeit der Ungleichgewichte in der Eurozone droht soziale und politische Konsequenzen nach sich zu ziehen. Die langsame Entschuldung bedingt eine anhaltende Konsum- und Investitionsflaute in der Peripherie, mit vorhersagbaren negativen Folgen für Wachstum, Beschäftigung und Einkommen. Eine solche Gemengelage ist Wasser auf die Mühlen der Populisten. Der wirtschaftlichen und politischen Stabilität in Europa kann die zunehmende Radikalisierung weiter Gesellschaftsgruppen nur abträglich sein.

Von Moritz Kraemer, Managing Director, Chief Ratings Officer Sovereign Ratings Standard & Poor’s Ratings Services Frankfurt

Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Credit Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de

Grafik 1: Externe Schuldner und Gläubiger in der Eurozone

Grafik 2: Anteil des Euroraums am Handelsüberschuss Deutschlands



Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.