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Furcht vor dem Abschwung

04.11.14 12:38 Uhr

Furcht vor dem Abschwung | finanzen.net

Kann Deutschlands Wirtschaft die Eurozone wieder auf Wachstumskurs bringen?

Der seit März spürbare Rückgang beim Wirtschaftswachstum hat die Furcht vor einem Abschwung in der Eurozone angefacht. Die EZB verkündete bereits im September ihr neues Maßnahmenpaket mit dem Ziel, das Kreditwachstum zu stimulieren. Sollte Deutschland, das einzige große Land in der Eurozone, das sowohl einen Leistungsbilanzüberschuss als auch einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen kann, aggressiver vorgehen, um seine eigene Wirtschaft anzukurbeln und damit seinen Nachbarn einen willkommenen Anschub zu ermöglichen?

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Ein Konjunkturprogramm von Deutschland allein mit geringem Effekt für Eurozone

Zur Beantwortung dieser Frage hat Standard & Poor’s Ratings Services verschiedene ökonometrische Modelle genutzt, um die Auswirkungen eines ab dem ersten Quartal 2015 in Deutschland angewandten expansiven Maßnahmenpakets auf die Eurozone zu simulieren. Wir sind dabei zu dem Schluss gekommen, dass die Auswirkungen zwar nicht unerheblich wären, der Impuls für das BIP-Wachstum in den Nachbarländern aber moderat bliebe. Andererseits wiese die deutsche Wirtschaft rasch Anzeichen einer Überhitzung auf.

Die Annahmen

• Öffentliche Hand in Deutschland erhöht Ausgaben um 1% des BIP
• Leitzins unverändert

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Wir sind davon ausgegangen, dass die Ausgaben der öffentlichen Hand sowohl 2015 als auch 2016 um ein weiteres Prozent des BIP wachsen, also etwa um 30 Mrd. Euro über unserer Basis-Prognose liegen. In unserem Szenario würde die expansive Geldpolitik beibehalten und die EZB ihren Leitzins unverändert lassen, selbst wenn im Laufe der Zeit neuer Inflationsdruck aufkommen sollte. Beim Vergleich verschiedener Simulationen zeigte sich, dass sich eine frühzeitige Leitzinserhöhung der EZB kontraproduktiv auswirkt: Sie würde den positiven Einfluss des deutschen Konjunkturprogramms auf die anderen Länder der Eurozone wesentlich begrenzen.

Die Ergebnisse

• Erhöhung des realen BIP in der Eurozone von etwa 0,3%
• Schaffung von 210.000 Arbeitsplätze europaweit

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Unseren Simulationen zufolge hätte das Konjunkturprogramm eine vergleichsweise starke Auswirkung auf die Wirtschaft in Deutschland selbst. Der Anstieg der öffentlichen Ausgaben um etwa ein Prozent des nominellen BIP würde die Wirtschaftsleistung nach einem Jahr um 0,75 Prozent über unsere Basis-Prognose ankurbeln. Die Übertragungsleistung auf andere Länder der Eurozone wäre jedoch geringer: die Wirtschaftsleistung der Niederlande würde mit einem Plus von etwa 0,33 Prozent am meisten profitieren. In Frankreich hätte dieser Multiplikator-Effekt mit 0,17 Prozent eine deutlich geringere Wirkung. Das zusätzliche Wachstum in der Eurozone würde bis Ende 2017 etwa 210.000 neue Arbeitsplätze schaffen und einen Abbau in der Arbeitslosenquote von 1,6 Prozent bewirken. Der größte Teil davon käme mit 145.000 Arbeitsplätzen aber Deutschland zugute.

Anzeichen einer Überhitzung in Deutschland

Unter den obigen Annahmen würde aber die Inflation in Deutschland beschleunigt, was wiederum das Land in große Unruhe versetzen würde. Die Verbraucherpreisindizes steigen in unserer Simulation in den größeren Ländern der Eurozone um durchschnittlich 0,4 Prozent, während der Anstieg in Deutschland heftige 1,4 Prozent ausmachen. Damit würde die Inflationsrate zum Ende 2017 auf deutlich über 2 Prozent schnellen. Dieser ungleiche Anstieg liegt darin begründet, dass das Anreizpaket eine starke Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland hätte, das nach unserer Basis-Prognose bis 2015 bereits auf dem Weg zur Vollbeschäftigung ist.

Ziel: Wachstum ohne Inflationsdruck

Eine expansive Wiederbelebung der Wirtschaft reicht nicht aus, um das Wachstum in der Eurozone insgesamt anzukurbeln. Ein Anreizprogramm in Deutschland allein hätte zwar eine moderate Auswirkung auf die Nachbarländer, dagegen hätte das Programm bereits auf niedrigem Niveau signifikante Auswirkungen auf die Inflation in Deutschland. Folglich wäre der Spielraum in Bezug auf zusätzliches Wachstum in Deutschland nicht so groß wie gemeinhin vermutet wird. Vorzuziehen wäre ein konzertierter Investitionsplan einer Mehrheit der Länder in der Eurozone, der sich mit größerer Wahrscheinlichkeit nachhaltig auf das Wachstum und die Beschäftigungslage auswirken könnte, ohne frühzeitigen Inflationsdruck zu schaffen.

Von Jean-Michel Six, Chief Economist EMEA, Standard & Poor’s Ratings Services Paris

Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Credit Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de



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