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Die Krise in der Eurozone ist noch immer nicht vorbei

29.10.14 10:47 Uhr

Die Krise in der Eurozone ist noch immer nicht vorbei | finanzen.net

Nach Auffassung von Standard & Poor’s Ratings Services hat die zögerliche Erholung in der Eurozone an Momentum verloren.

Durch den Beruhigungseffekt von Unterstützungsmaßnahmen der EZB konnte zwar die akute Phase der Krise überwunden werden. Aber das Wachstum der Wirtschaft und Beschäftigung in der Eurozone war nicht stark genug, um das hohe Niveau der Verschuldung sowohl der Staaten als auch der privaten Haushalte zu verringern. Derzeit befinden sich die Daten zu Wirtschaft, Beschäftigung und privater wie öffentlicher Verschuldung nach wie vor auf Niveaus, die auf eine hohe Anfälligkeit hindeuten. Die Probleme in der Eurozone sind also bislang keineswegs gelöst.

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Aktuelle Ratingmaßnahmen unterstreichen diese Einschätzung von Standard & Poor’s. So haben wir am 10. Oktober 2014 den Ratingausblick für das ‚AA‘ Langfristrating von Frankreich auf negativ gesetzt und das Langfristrating von Finnland von ‚AAA‘ auf ‚AA+‘ gesenkt. Damit verfügen in der gesamten Eurozone nur noch zwei Staaten, nämlich Deutschland und Luxemburg, über das Höchstrating von ‚AAA‘. 2006 waren es noch sechs.

Neu im gegenwärtigen Abschwung ist, dass führende Wirtschaftsindikatoren auf eine abschwächende Wirtschaft in den Kernstaaten der Eurozone verweisen. Selbst Deutschland hat inzwischen seine Prognose deutlich reduziert und erwartet nunmehr ein Wachstum von knapp über einem Prozent für dieses und das kommende Jahr.

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Hohe Verschuldung und Reformmüdigkeit

Nur die Staatsverschuldung als Hindernis für eine nachhaltigere Erholung zu sehen, genügt dabei nicht. Standard & Poor's Ratings Services vertritt die Auffassung, dass die EZB mit ihren Maßnahmen unbeabsichtigt zu einer gewissen Reformmüdigkeit mancher Staaten der Eurozone beigetragen haben könnte. Angesichts historisch niedriger Zinssätze haben manche Regierungen notwendige aber unpopuläre Strukturreformen, mit denen Wachstumspotential geschaffen werden sollte, möglicherweise verschoben. Auch haben seit 2010 fast alle damaligen Regierungen und Koalitionen die nächsten Wahlen verloren. Dies könnte ebenfalls dazu beigetragen haben, dass Politiker weniger Anreize in einer Fortsetzung der strukturellen Reformen sehen. Erst wenn die öffentliche und private Verschuldung wieder angemessene Niveaus erreicht haben, werden unserer Meinung nach die Sparquote nachgeben und Nachfrage und Wachstum zurückkehren. Bis dahin wird der Schuldenabbau das Wachstum hemmen - und dies trotz äußerst niedriger Zinsniveaus und offizieller Bemühungen, die Kreditvergabe wiederzubeleben.

Wenn nicht nur Regierungen, sondern auch viele Unternehmen und Privathaushalte ihre Verschuldung als unangenehm hoch empfinden, ist es unwahrscheinlich, dass sie weitere Kredite in Anspruch nehmen, egal wie niedrig die Zinsen auch sein mögen. Nach unserer Meinung macht die nachlassende Nachfrage nach Krediten die Wirksamkeit sowohl konventioneller als auch unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen teilweise zunichte. Die Chancen der EZB, die Nachfrage zu stimulieren, sind jetzt geringer als unter normalen Umständen, denn auch niedrige Zinssätze haben nur begrenzte Auswirkungen auf Kreditwachstum und damit die Nachfrage insgesamt.

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Expansive Geldpolitik schafft kein nachhaltiges Wachstum

Unser Standpunkt ist ganz deutlich, dass eine expansive Geld- oder Fiskalpolitik kein nachhaltiges Wachstum generieren kann. Dies ist nur über eine höhere Beschäftigungsquote, Investitionen und eine höhere Produktivität möglich. Keine der dazu notwendigen Reformen sind Aufgabe der EZB oder der Europäischen Kommission, sondern fallen in die Verantwortung der nationalen Parlamente mit ihren Führungskräften.

Die nächsten Schritte der Regierungen werden für die künftige Ausrichtung der Eurozone entscheidend sein. Werden die Regierungen in ihren Reformbemühungen nachlassen oder werden sie eine Reformagenda verfolgen, die die potentiellen Wachstumsraten ihrer jeweiligen Wirtschaft langfristig unterstützt? Die Krise in der Eurozone steht jetzt an einem Scheideweg.

Von Moritz Kraemer, Managing Director und Chief Rating Officer Sovereign Ratings, Standard & Poor’s Ratings Services Frankfurt

Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Credit Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de



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