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Das sich verschärfende Niedrigzinsumfeld ist der alles überlagernde Risikofaktor für deutsche Lebensversicherer

17.02.15 12:47 Uhr

Das sich verschärfende Niedrigzinsumfeld ist der alles überlagernde Risikofaktor für deutsche Lebensversicherer | finanzen.net

Die deutschen Lebensversicherer stehen vor herausfordernden Geschäftsjahren.

Das Niedrigzinsumfeld hat sich seit Jahresbeginn 2015 durch die Ankündigung des sogenannten "Quantitative Easing" durch die EZB weiter verschärft. Sinkende Zinserträge für Versicherer sind die Folge, und dies trifft insbesondere die Lebensversicherer, die jährlich ihren Garantiezinsverpflichtungen gegenüber ihren Kunden nachkommen müssen. Derzeit sinken die nachhaltig zu erzielenden Kapitalanlageerträge schneller als der mittlere Garantiezins.

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Die Versicherer reagieren, indem sie die Risiken in ihrer Kapitalanlage erhöhen. Für die von Standard & Poor’s gerateten Unternehmen fallen die Anpassungen in der Kapitalanlagestruktur bislang noch moderat aus, doch ist von einer Ausweitung der Risikoquote insbesondere in Aktien auszugehen. Schon heute ist zu beobachten, dass eine deutliche Ausweitung des Kreditrisikos im Investment Grade Bereich erfolgt ist. Was sich potenziell positiv auf die Erträge auswirken kann, hat jedoch einen negativen Einfluss auf die Sicherheit der Anlagen, vor allem falls sich das wirtschaftliche Umfeld eintrüben sollte.

Die Zinszusatzreserve erhöht kurzfristig den Druck auf Lebensversicherer

Der Druck auf die Ertragslage deutscher Lebensversicherer wird noch verstärkt durch die regulatorische Vorgabe zur Bildung der Zinszusatzreserve. Dieses vorgeschriebene Finanzpolster soll sicherstellen, dass die Mindestverzinsung für den Kunden auch in einem langfristigen Niedrigzinsumfeld jederzeit bedient werden kann, erhöht aber kurzfristig die Ertragsanforderungen ganz erheblich. Zur Finanzierung der Zinszusatzreserve verkaufen die Unternehmen höher verzinsliche Anleihen aus dem Bestand, um stille Reserven zu vereinnahmen. Je nach Zinsszenario und je nach verfolgter Anlagepolitik werden die stillen Reserven jedoch mehr oder weniger schnell aufgezehrt, so dass dieser Weg der Finanzierung möglicherweise nicht dauerhaft allen Unternehmen offen steht.

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Branche arbeitet an neuen Geschäftsmodellen

Der Handlungsspielraum der Assekuranzen wird jedoch zunehmend enger. Solvency 2, das neue regulatorische Rahmenwerk für Versicherer der EU, steht vor der Tür und wird es den Versicherern nicht leichter machen, höhere Kapitalanlagerisiken zu nehmen, weil diese mit Kapital unterlegt werden müssen. Zunehmende Wettbewerbsintensität und Preistransparenz schränken die Möglichkeiten für eventuelle Preiserhöhungen ein. Weitere Kosteneinsparungen, vor allem bei den Abschlusskosten, werden angesichts dessen für alle Versicherer wichtige Ziele für die kommenden Jahre sein.

Insgesamt hat sich das Branchenrisiko unserer Meinung nach somit in die Kategorie 4 ("moderate risk") von zuvor 3 ("intermediate risk") verschlechtert. Jedoch profitieren deutsche Lebensversicherer von einem sehr positiven Länderrisiko, welches wir u.a. aufgrund der robusten wirtschaftlichen Entwicklung unverändert in der Kategorie 1 ("very low risk) bewerten, so dass die kombinierte Länder- und Branchenbewertung insgesamt in der Kategorie 3 liegt.

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Darüber hinaus sind viele deutsche Lebensversicherer Teil größerer Gruppen, die von einer gesunden Ertragslage in der Schaden-Unfallversicherung profitieren, weil diese weniger abhängig vom Zinsniveau ist. Deshalb vergibt Standard & Poor’s durchschnittlich weiterhin ein Rating im "A" Bereich für deutsche Versicherer.

Rekordniedrige Zinsen erfordern wirksame Korrekturen am Geschäftsmodell der Lebensversicherer, die eine wichtige Rolle in der Absicherung von Risiken für die deutsche Bevölkerung spielen. Angesichts absehbarer weiterer Absenkungen der Gewinnbeteiligung in den klassischen Produkten, ist die Frage, welche Produkte mit einem sowohl für Kunden als auch Unternehmen angemessenem Risiko-Ertrags-Profil die Versicherer zukünftig anbieten werden.

Von Christian Badorff, Associate Director bei Standard & Poor’s Ratings Services am Standort Frankfurt, Bereich Financial Services Ratings, Sektoranalyst für deutsche Versicherer

Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Credit Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de



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