Eine Geschichte zum Jahresende
Ich interessiere mich für Geschichte, Wirtschaftsgeschichte und Geschichtsphilosophie.
Wenn man studiert, wie sich die Menschheit über die Jahrtausende organisiert hat, welche Kriege und Krisen es gab, welche Erfolge, dann fällt es leichter, das aktuelle Wirtschaftsgeschehen in Perspektive zu setzen. Das ist viel wichtiger als die Mathematik, die derzeit hauptsächlich von Ökonomen betrieben wird. Denn es geht um Menschen. Und die lassen sich nicht berechnen.
Ein interessanter Geschichtsphilosoph ist Oswald Spengler, mit dem ich mich intensiv beschäftigt habe. 1919 schrieb er „Der Untergang des Abendlandes“, wobei es nicht um einen Untergang, sondern um die Vollendung der abendländischen Kultur ging. Das Werk liefert bis heute viele interessante Denkanstöße. In diesem Zusammenhang stieß ich bei einer neuen Publikation seiner Schriften auf einen Herrn, der über Spengler publiziert und geforscht hatte.
Es stellte sich heraus, dass dieser Herr und seine Frau nicht weit von mir in der Eifel lebt. Er ist ein Altphilologe, der bis zu seinem 55ten Lebensjahr im Entwicklungshilfeministerium tätig war, sich aber dann so früh wie möglich – desillusioniert von der Korruption und Politisierung der Entwicklungshilfe – zurückgezogen hat, um sich seinen Schriften, seinen Schafen und seinem umfangreichen Gemüsegarten zu widmen.
Weil ich mir im nächsten Jahr auch vorgenommen habe, einen größeren Gemüsegarten zu bestellen, waren mein Bekannter und seine Frau kürzlich bei mir zu Besuch. Es galt, meine Erde zu begutachten.
Dabei kam das Gespräch ganz kurz auf Geldanlagen.
Natürlich habe ich eine Beimischung von Aktien empfohlen. Er habe im März 2000 (das war der Höhepunkt der Aktienblase) seine Siemens-Aktien verkauft, weil sie sich verfünffacht hätten.
Soweit, so gut. Dann erzählte er noch, dass er im April 2009 Aktien gekauft habe (im März war der Tiefstand) und ökonomisch gut versorgt sei. Er würde nur Aktien von Unternehmen kaufen, die seit mindestens 100 Jahren bestehen würden. Er wolle nur deutsche Aktien, die er im Kursteil seiner Tageszeitung verfolgen könne. Ansonsten verstehe er nicht viel davon, er sei Altphilologe.
Die Geschichte ist glaubwürdig, wenn man sieht, wie das Ehepaar lebt: Garten, Schafe, selbstgebackenes Brot und Literatur stehen im Vordergrund. Man merkt, dass die Wirtschaft und die Welt ganz weit weg sind.
Und dennoch ist dieser Altphilologe einer der klügsten Investoren, die ich kenne. Er hat eine Strategie gefunden, die ganz auf seinen Informationshorizont und seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. Er schafft es, nur alle paar Jahre zu handeln. Und er ist sehr erfolgreich damit.
Wenn Sie die richtigen – weitreichenden – strategischen Gedanken haben, können Sie sich einen solchen Luxus leisten. Weniger ist mehr, gerade beim Aktienhandel.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien einen guten Rutsch und ein gutes Neues Jahr!
Prof. Dr. Max Otte ist Herausgeber des PRIVATINVESTOR (www.privatinvestor.de) und Geschäftsführender Gesellschafter der IFVE Institut für Vermögensentwicklung GmbH. Ziel des Instituts ist die Aktienanalyse und die Entwicklung von Aktienstrategien für Privatanleger.Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.