Japan: Shinzo Abes faustischer Pakt
Premier Abes gewagte Politik kurbelt Japans Wirtschaft an, Tokios Aktienmarkt tritt derzeit dennoch auf der Stelle. Soll es dort wieder aufwärts gehen, müssen Politik und Unternehmen nun liefern.
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von Andreas Höß, Euro am Sonntag
Touristen, die auf elektrifizierten Barhockern leise durch Tokio surren, superscharfe Fernsehbilder in Ultra-HD, ausländische Sportler, die mit Übersetzungbrillen japanische Speisekarten studieren: Japans Elektrokonzerne haben wieder Visionen. Zu bestaunen gab es sie vor wenigen Tagen auf der Ceatec in Tokio. Die Message der Elektronikmesse: Wir sind wieder auf Augenhöhe!
Nach langen Krisenjahren schöpft Japan wieder Hoffnung. Tokio wird im Jahr 2020 die Olympischen Spiele ausrichten — und Japans angeschlagene Elektrokonzerne setzen schon heute voll auf das Großereignis. Doch das neue Selbstbewusstsein speist sich noch aus einer wichtigeren Quelle: Die gewagte Konjunkturpolitik Shinzo Abes greift. Wirtschaftsdaten zeigen, dass sich Japan langsam aus der Krise arbeitet.
Seit gut einem Jahr ist Abe nun Japans Premierminister. Angetreten war er, um den hartnäckigen Mix aus wirtschaftlicher Stagnation, fallenden Preisen sowie Konsum- und Investitionsscheu in seinem Land zu bekämpfen. Drei Pfeile hatte er dafür im Köcher: die Abwertung der Landeswährung durch den hemmungslosen Einsatz der Notenpresse, schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme und Reformen.
„Abenomics“ beginnen zu wirken
„Abenomics“ nennt man diese Politik in Anlehnung an den Premier. Die ersten beiden Pfeile sind abgeschossen. Abe hat zwölf Billionen Yen (knapp 100 Milliarden Euro) in die Wirtschaft gepumpt, die ultralockere Geldpolitik der Notenbank drückte Nippons Währung um 25 Prozent gegenüber dem US-Dollar. Vor allem den großen exportorientierten Konzernen im Nikkei verhalf der billige Yen zu Rekordgewinnen. Ihre Produkte sind im Ausland günstiger, ihre dort erzielten Gewinne in Yen gerechnet mehr wert. Zwischen April und Juni stiegen die Gewinne der größten Nippon-Konzerne insgesamt um rund 30 Prozent, so das Analysehaus Mizuho in Tokio. Entsprechend gut ist die Stimmung in den Chefetagen der Konzerne. Mit jeweils rund vier Prozent wuchs die japanische Wirtschaft in den vergangenen beiden Quartalen so kräftig wie keine andere im Kreis der Industrienationen.
Es sind Fakten, die man an der Börse gern hört. Viele Ökonomen halten die Politik des lange als „Zauderer“ verschrienen Premiers zwar für einen faustischen Pakt. Sie warnen, die Rechnung für die Milliardenpakete und die Abwertung des Yen werde später in Form einer heftigen Geld- und Schuldenkrise kommen. Anleger ignorierten die Warnungen aber und setzten schon ab Herbst 2012 auf anziehende Aktienkurse in Japan — mit Erfolg. Der Nikkei stieg um 60 Prozent.
Derzeit herrscht jedoch Stillstand an Tokios Börse. Und das, obwohl Abes Wirtschaftspolitik zu wirken beginnt. „Wir befinden uns in einer Warteschleife“, erklärt Lilian Haag, Japan-Expertin der Fondsgesellschaft DWS. Erst ab Ende Oktober liefern Japans Unternehmen Zwischenbilanzen für das Finanzjahr 2013, das im März begonnen hat. Anleger werden genau darauf achten, wie diese ausfallen — und welche Ziele sich die Unternehmen bis März 2014 setzen. Börsianer hoffen, dass die Konzerngewinne auf das Gesamtjahr gerechnet um 50 bis 60 Prozent steigen. Eine hohe Quote.
Enttäuschen die Zahlen, könnte das die latente Angst nähren, das Hoch sei nicht mehr als eine kurze Illusion. In den vergangenen 15 Jahren gab es immer wieder Strohfeuer an Japans Börse, die sofort wieder erloschen. Japan-Expertin Haag ist dennoch optimistisch. Laufe die Wirtschaft der Handelspartner China und USA gut, könne der positive Trend diesmal etwas länger anhalten. „Japans Unternehmen sind effizienter geworden“, so Haag. Ab Januar greife zudem ein Gesetz, das ähnlich der Riester-Rente die private Altersvorsorge fördert. „Das könnte die Finanzbranche und die Aktienmärkte unterstützen“, glaubt sie.
Alle warten auf Reformen
Auch die am 16. Oktober beginnende Sitzungsperiode des Parlaments könnte für Bewegung an Japans Börse sorgen. Abe will den lang erwarteten dritten Pfeil seiner Konjunkturpolitik abschießen und Reformen einleiten. Besonders die Deregulierung des Arbeitsmarkts gilt als wichtig.
Doch Abe dämpft die Erwartungen bereits. Selbst viele Abgeordnete seiner Partei wollen den Kündigungsschutz nicht aufweichen. Wahrscheinlicher ist, dass die Unternehmensteuer auf 30 Prozent gesenkt wird. Derzeit ist sie mit 38 Prozent so hoch wie in kaum einem Industrieland. Dafür will Abe, dass die Unternehmen höhere Löhne zahlen. Die Hoffnung: Japans Bürger könnten mehr konsumieren, eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommen. Im Gegenzug wird — und das scheint sicher — die Mehrwertsteuer im April 2014 von niedrigen fünf auf acht und später zehn Prozent steigen.
Ob das für die Wirtschaft kontraproduktiv ist, ist umstritten. Gegner der Steuererhöhung gibt es in Japan genug. Ihnen spielt in die Hände, dass der Internationale Währungsfonds unter anderem wegen der Steuer Japans Wachstumsprognose für 2014 um 0,2 Prozentpunkte auf 3,6 Prozent gesenkt hat. Will Abe aber den wachsenden Schuldenberg abbauen, kommt er an der höheren Mehrwertsteuer wohl nicht vorbei.
Umgerechnet acht Billionen Euro oder schwindelerregende 240 Prozent der Wirtschaftsleistung sind angelaufen. Bis zur Olympiade sei Japan pleite, glaubt deshalb Takeshi Fujimaki, Mitglied des Oberhauses und ehemaliger Berater des Spekulanten George Soros. Bisher kauft zwar Japans Notenbank einen Großteil der Staatspapiere, eine Dauerlösung ist das aber nicht. „Es ist unausweichlich, dass es zu einem riesigen Schlamassel kommt“, so Fujimaki.
Tatsächlich weiß niemand, wie Japan von den hohen Schulden runterkommt. Ideen gibt es, doch die sind oft kurios. Hiroyuki Hosoda, Generalsekretär von Abes Liberaldemokratischer Partei, schlug vor, Japan zu einem Kasinoparadies zu machen, zu einem Las Vegas des Fernen Ostens. Ob das reicht, ist fraglich. Würde Amerikas Cash-Maschine Las Vegas ihre Jahreseinnahmen komplett nach Tokio überweisen, würde es 105 Jahre dauern, bis Japans Schulden abgetragen sind. Die Kasino-Idee bleibt wohl eine Vision.
Investor-Info
Aktienmarkt und Währung
Enger Zusammenhang
Lange litt Japans Aktienmarkt unter dem starken Yen. Seit im Zuge der „Abenomics“ der Yen systematisch geschwächt wird, geht es aufwärts an
Tokios Börse. Zuletzt kam die Abwertung jedoch an ihre Grenzen und auch der Aktienmarkt stagnierte. Entscheidend wird nun, wie optimistisch die Ausblicke der Unternehmen in der Ende des Monats beginnenden Berichtssaison werden.
Japan-Fonds
Gewinnmitnahmen möglich
Rund 60 Prozent hat Japans Aktienmarkt seit Herbst 2012 in Yen gerechnet zugelegt. Wer, wie von uns damals empfohlen, in währungsgesicherte Produkte investierte, hat in kurzer Zeit viel Geld verdient. Konservative Anleger sollten deshalb darüber nachdenken, einen Teil der Gewinne mitzunehmen – besonders, wenn sie auf den währungsgesicherten Indexfonds von iShares gesetzt haben, der einen Absturz voll mitmachen würde, sollte sich im Herbst doch Skepsis über Japans Aufschwung ausbreiten.
Wer dabei bleiben möchte, für den ist der Japan-Fonds von Schroder nach wie vor eine gute Empfehlung. Fondsmanager Shogo Maeda hat 20 Prozent des Fondsvermögens in Finanztitel wie Sumitomo Mitsui und Mitsubishi Financial investiert. Sie könnten davon profitieren, dass auch Japaner bald staatliche Förderung für ihre private Altersvorsorge erhalten. Hoch im Portfolio gewichtet sind auch die exportorientierten Autobauer Toyota und Honda, der Autozulieferer Aisin Seiki sowie die konjunktursensiblen Großhandelsunternehmen Mitsui und Itochu.
Contracts for difference
Heißer Ritt mit CFDs
Nippon zählt zum Standardprogramm der CFD-Anbieter. Mit CFDs wird mit hohem Hebel auf Kursunterschiede gewettet, Anleger müssen lediglich eine Sicherheit (Margin) hinterlegen (siehe S. 20). Die möglichen Gewinne sind hoch, die Gefahr aber auch. Ein Kontrakt bezieht sich in der Regel auf 100.000 Euro. In diese hohe Summe lässt sich etwa mittels eines CFD von IG Markets für eine Margin von 0,5 Prozent oder 500 Euro investieren. IG Markets bietet auch Mini-FX-Kontrakte auf EUR/JPY
mit einem Volumen von 10 000 Euro an. Auch bei CFDs auf den Aktienindex Nikkei 225 liegt die Sicherheitsleistung um 0,5 Prozent. Wer gezielt auf einzelne Aktien der Tokioter Börse spekulieren möchte, muss in der Regel eine Kommission berappen. Vorsicht: Gehen die Wetten nicht auf, droht Totalverlust, zum Teil müssen sogar hohe Summen nachgezahlt werden! w
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