An der Schwelle angelangt

Türkei: Risikofaktor Erdogan

22.05.15 16:00 Uhr

Türkei: Risikofaktor Erdogan | finanzen.net

Die Börse in Istanbul steht unter Druck. Der Staatspräsident verschreckt vor der wichtigen Parlamentswahl im Juni die Investoren.

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von Jörg Billina, Euro am Sonntag

Der Jubel wollte nicht enden. "Erdogan, wir lieben dich, wir sind stolz auf dich", riefen 14.000 Menschen dem türkischen Staatspräsidenten frenetisch jubelnd zu. Der konser­vativ-muslimische Politiker hatte vergangenen Sonntag auf einer ­Veranstaltung in Karlsruhe die in Deutschland lebenden Landsleute zur Stimmabgabe aufgerufen.

Am 7. Juni finden in der Türkei Parlamentswahlen statt. Tayyip Recep Erdogan will, dass die von ihm beherrschte AKP-Partei eine Zweidrittelmehrheit holt. Derzeit sieht es nicht so aus, als würde ihm das gelingen. Falls doch, könnte er die Verfassung in seinem Sinne ändern. Erdogan will das in der Türkei geltende parlamentarische System abschaffen und eine Präsidialdemokratie einführen. Sein Einfluss auf Staat, Justiz, Presse, Gesellschaft und Wirtschaft würde dann noch größer werden.

Bei seinen öffentlichen Auftritten im In- und Ausland stellt Erdogan daher die Errungenschaften der seit 2002 allein regierenden AKP heraus. Wirtschaftlich fällt die Bilanz der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung nicht schlecht aus. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen stieg von 3.000 auf 10.000 Dollar, das Bruttoinlands­produkt hat sich unter Erdogan, der bis 2014 das Amt des Ministerpräsidenten innehatte, mehr als verdreifacht. Auch Finanzinvestoren haben gut verdient: Binnen zwölf Jahren legte der Leitindex ISE 100 um rund 690 Prozent zu. Zum Vergleich: Der deutsche DAX bringt es lediglich auf ein Plus von 287 Prozent.

Nervöse Anleger

Erdogans Bemühungen, den Wahlausgang zu beeinflussen, stoßen auf heftige Kritik seitens der Opposition. Schließlich ist der Präsident laut ­Verfassung zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet. Dem Staatsoberhaupt ist das egal. Niemand könne von ihm erwarten, dass er sich angesichts der Bedeutung der Wahl neutral verhalte, kontert Erdogan. Er hat kein Problem damit, seine politischen Gegner immer ­wieder als religionsfeindlich zu beschimpfen. Die aber sehen darin einen weiteren Beweis dafür, dass der Präsident die in der Türkei geltende strikte Trennung von Staat und Religion aufweichen will.

Der zunehmend autokratische Kurs gefällt auch den Unternehmern nicht. Schon im vergangenen Sommer hatte der türkische Industrieverband Tüsiad den Präsidenten zur Mäßigung aufgefordert und vor einer Spaltung der Gesellschaft gewarnt. Bisher vergeblich. Appelle Brüssels, Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten, lassen Erdogan ebenfalls kalt. Die seit 2005 laufenden Bei­tritts­gespräche mit der EU haben für ihn längst nicht mehr Priorität. Diese Politik trägt mittlerweile maßgeblich zur Verunsicherung der Finanzinvestoren bei. Seit Jahresanfang hat der türkische Leitindex auf Eurobasis um sechs, auf Dollarbasis sogar um über 13 Prozent nachgegeben. An den Börsen anderer Schwellenländer in Asien, Afrika oder im Nahen Osten dagegen steigen die Notierungen.

Massiv unter Druck steht die Landeswährung. Gegenüber dem Dollar hat die Lira schon rund 14 Prozent verloren. Die Anleger fürchten jedoch nicht nur um die politische Stabilität der 800-Milliarden-Dollar-Volkswirtschaft. Die Konjunktur läuft längst nicht mehr so wie in früheren Jahren, obwohl das Land als Energieimporteur vom niedrigen Ölpreis eigentlich profitieren sollte.

Statt dem von der Regierung angepeilten Plus von vier Prozent wird das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr wohl nur um rund zwei Prozent zulegen. "Für ein Schwellenland mit einem Bevölkerungswachstum von rund 1,5 Prozent pro Jahr ist das wenig", sagt Sebastian Kahlfeld, Fondsmanager des DWS Türkei.

Druck auf die Notenbank

Die nachlassende Dynamik, die zu einem Anstieg der Jugendarbeits­losigkeit auf über 20 Prozent geführt hat, macht mittlerweile auch Erdogan Sorgen. Wie groß der Unmut ist, davon konnte sich der Staatspräsident zuletzt bei den heftigen Protesten am 1. Mai in Istanbul ein Bild ­machen. Erdogans Befürchtung: Die Oppositionspartei CHP wird stärker, die AKP verfehlt die angepeilte ­Sitzzahl im Parlament. Bereits mehrfach forderte er daher Notenbankchef Erdem Basci mit scharfen Worten auf, die Zinsen zu senken, um so den ­Export anzukurbeln.

Basci, der von Investoren wegen seiner soliden Geldpolitik geschätzt wird, wehrte sich jedoch bisher weitgehend erfolgreich und verwies auf die Unabhängigkeit der Notenbank - womit er sich den Vorwurf Erdogans einhandelte, Landesverrat zu begehen. Investoren fragen sich, wie lange Basci dem Druck des Staatspräsidenten standhält. Sein Rücktritt würde an der Börse in Istanbul schwere Turbulenzen auslösen.

Auch die von Erdogan geforderte weitere Zinssenkung hätte unliebsame Folgen. "Eine ganze Reihe von mittelständischen Unternehmen hat Kredite in Dollar aufgenommen, der Schuldendienst würde sich bei einer noch weiteren Schwächung der Währung deutlich erhöhen", sagt Kahlfeld. Zudem ist die Inflationsrate bereits auf über sieben Prozent gestiegen. Eine Zinssenkung würde die Teuerung zusätzlich befeuern. Schon jetzt beginnen die Verbraucher, ihre Ausgaben zu senken.

Die geringe Nachfrage spürt auch der Hersteller von Haushalts­geräten, Arcelik. Grund genug für Anleger, den Titel zu ­verkaufen. Die Aktie verlor seit Jahresanfang etwa 13 Prozent. Ebenfalls unter ­ Abgabedruck stand der Telekommunikationskonzern Turkcell, der Titel rauschte um über 18 Prozent nach unten.

Iran-Deal weckt Kursfantasie

"Die Kursentwicklungen an der Börse in Istanbul fallen meist extrem aus", sagt Kahlfeld. "In der Vergangenheit folgten auf rasante Talfahrten immer wieder kräftige Erholungsphasen." Der Manager nutzt daher die aktuelle Schwächephase zum Kauf. Auslöser für den erhofften Trendwechsel in Istanbul könnte nach seiner Meinung ein erfolgreicher und endgültiger Abschluss der Nuklearverhandlungen mit dem Iran sein. Die Türkei würde von der Aufhebung der Sanktionen gegen das Nachbarland profitieren und dürfte dann zu günstigen Konditionen Energie einkaufen. Auch könnten die beiden Länder generell ihren Handelsaustausch erweitern. Das türkische Industrieunternehmen Borusan Holding, zu deren Tochterunternehmen unter anderem der Pipelinehersteller Borusan Mannesmann gehört, will die Chancen einer Intensivierung jedenfalls nutzen. Schon jetzt erzielt der Mischkonzern im Iran einen Umsatz in Höhe von rund acht Milliarden Dollar.

Die positiven Iran-Aussichten für türkische Unternehmen haben sich zuletzt jedoch wieder ein wenig getrübt - wegen Erdogan. Der Staatspräsident warf den schiitischen Machthabern in Teheran vor, sie ­betrieben eine aggressive Außenpolitik. Im Jemen-Konflikt unterstützt Erdogan die sunnitische Koalition unter der Führung Saudi-Arabiens. Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und dem Iran sind seitdem angespannt.

Investor-Info

Türkei
Ehrgeizige Pläne

Bis zum Jahr 2023, dem hundertjährigen Jubiläum der Republik, will die Regierung in Ankara das Bruttoinlandsprodukt auf zwei Billionen Dollar und die Exporte auf 500 Milliarden Dollar steigern. Um das Ziel zu erreichen, müsste nach Angaben von Germany Trade & Invest die Wirtschaftsleistung um jährlich sieben Prozent zulegen. Zur Finanzierung der ehrgeizigen Wachstumspläne ist die Türkei ­ allerdings auf ausländisches Kapital angewiesen.
In den vergangenen Monaten gingen die Direkt- und Finanzinvestitionen jedoch wegen der wachsenden politischen Unsicherheiten zurück. Und im laufenden Jahr wird das türkische Bruttoinlandsprodukt ­ lediglich um rund zwei Prozent zulegen.

DWS Türkei
Dickschiffe am Bosporus

Wirtschaft und Börse kühlen derzeit zwar ab, langfristig bietet die Türkei Anlegern jedoch weiter gute Chancen, sagt Fondsmanager Sebastian ­Kahlfeld. Im Portfolio sind Finanz- und Industrie­unternehmen wie die Akbank oder Tofas Türk ­Otomobil hoch gewichtet. Zu den Dickschiffen des türkischen Aktienmarkts mischt Kahlfeld viel­versprechende Small-Cap-Unternehmen. In den ­letzten drei Jahren erzielte der Fonds 27 Prozent.

Schroder ISF Glob. Em Opp.
Momentum und Erholung

Manager Alan Conway investiert breit in Schwellenländer. Mit 20 Prozent sind chinesische Werte aktuell am höchsten gewichtet. Diese sind derzeit gesucht. Der Anteil türkischer Aktien liegt bei rund zehn Prozent. Risikobereite Investoren mit langem Anlage­horiziont steigen ein. Sie profitieren damit vom aktuellen Kursaufschwung in Asien und positionieren sich frühzeitig für eine Trendwende in Istanbul.

Anleihe in Türkischer Lira
Anhaltende Schwäche

Der auf Türkische Lira lautende, bis zum Jahr 2017 laufende Bond der Kreditanstalt für Wiederaufbau ist zwar attraktiv verzinst, doch in der Türkei steigen die Inflationsraten. Die Lira dürfte daher weiter zur Schwäche neigen. Im Falle einer in diesem Jahr möglichen Zinserhöhung in den USA droht die türkische Währung zusätzlich unter Druck zu geraten.

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Bildquellen: Nejdet Duzen / Shutterstock.com, SVLuma / Shutterstock.com

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