Nachhaltiger Vermögensaufbau und Kapitaleinkommen
Wir schreiben das siebte Jahr nach der Lehman-Pleite, dem Höhepunkt der Finanzkrise. Und die finanzielle Repression hat mit der Einleitung des Anleiheaufkaufprogramms (QE) durch die Europäische Zentralbank (EZB) eine neue Phase erreicht. Negativrenditen bei Staatsanleihen allerorten, dabei wäre Kapitaleinkommen in Anbetracht der demografischen und technologischen Entwicklung dringend notwendig.
Stand März 2015 liegen weite Teile des Staatsanleihemarktes im Euroraum mit ihrer Rendite im negativen Bereich. Das betrifft bei den großen Ländern wie Frankreich und Deutschland zwischen 50 % und 70 % aller ausstehenden Anleihen. Außerhalb des Euroraums sind z. B. die Schweiz mit knapp 70 % und Japan mit über 15 % betroffen. Dass noch nicht alle Anleihesegmente der Industriestaaten Mitglieder im "Klub der negativen Zinsen" sind, beruhigt wenig.
In den USA sind die Nominalrenditen zwar positiv, bleiben aber von der Liquiditätsschwemme der großen Zentralbanken in Mitleidenschaft gezogen. So bewegen sie sich auf einem unnatürlich niedrigen Niveau. Dabei steht sogar eine Leitzinsanhebung der US-Notenbank Fed in Aussicht. Eine umfassende "Exit-Strategie", also ein Abbau der in der Fed-Bilanz befindlichen Staatsanleihebestände, zeichnet sich allerdings noch nicht ab.
Im Falle der Europäischen Zentralbank (EZB) geht die Reise bis auf Weiteres ohnehin in die andere Richtung. Sie kauft Staatsanleihen an - zur Not auch über 2016 hinaus, sollte sich die Inflationsrate nicht in Richtung ihres mittelfristigen Ziels von 2 % bewegen. Der Kurs der Bank of Japan bleibt ebenfalls weiterhin ultra-expansiv.
Die finanzielle Repression dürfte also noch weiter anhalten, sogar ein neues Momentum bekommen. Harte Zeiten für Anleger in Staatsanleihen. Dabei wären auskömmliche Kapitalrenditen in Zeiten des technologischen und demografischen Wandels dringend notwendig. Die meisten Volkswirtschaften der Welt stehen vor gleich drei Herausforderungen:
1. Während Technologie und Demografie die Arbeitsmärkte verändern,
2. versiegt der für das Alter dringend notwendige Einkommensstrom aus Bankeinlagen und Staatsanleihen.
Im Folgenden werden die Zusammenhänge Niedrigzinsphase / Demografie / Technologie genauer untersucht und es wird eine Lösung für einen nachhaltigen Einkommensstrom skizziert.
Demografie
Die sich schon jetzt abzeichnenden demografischen Veränderungen sind gravierend. Zwar wächst die Weltbevölkerung weiter 1, wenn auch mit einem abnehmenden Trend bei rückläufigen Geburtenraten, aber sie wird gleichzeitig älter. Auch der Anteil der aus dem Arbeitsleben ausscheidenden Bevölkerung nimmt zu. Während die Geburtenraten weltweit sinken, also das Erwerbspersonenpotenzial schrumpft, verringert sich gleichzeitig der Anteil der Erwerbspersonen. In Nordamerika wird der Anteil der über 60-Jährigen von aktuell knapp 30 % bis 2025 auf ca. 37 % ansteigen. Im Falle Europas ist eine Verschiebung von 32 % auf 39 % absehbar. In Asien ist ein Zuwachs um sechs Prozentpunkte von 17 % auf 23 % zu erwarten. Am geringsten dürfte der Anteil der über 60-Jährigen in Afrika ausfallen. Dort wird nur ein leichter Zuwachs um einen Prozentpunkt von 12 % auf 13 % prognostiziert.
Gemäß den Daten der Vereinten Nationen setzte 2013 in den Industriestaaten insgesamt ohne Japan 2 bereits der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ein. Eine Entwicklung, die irreversibel ist. Die UNBevölkerungsschätzung geht davon aus, dass dieser Teil der Bevölkerung bis 2025 jedes Jahr zwischen 0,2 % und 0,3 % zurückgehen wird. Dabei sind vergleichsweise heterogene Entwicklungen in den einzelnen Staaten zu erwarten. Für Russland und Osteuropa ist mit einem Rückgang von mehr als einem Prozent zu rechnen. Im restlichen Europa sollte der Rückgang unter einem Prozent bleiben. Für Nordamerika und Teile Lateinamerikas werden sogar leichte Zuwächse unterstellt. In Afrika sind in weiten Regionen Zuwächse von zwei und mehr Prozent zu erwarten.
Nun lässt die zahlenmäßige Entwicklung der sich im Arbeitsalter befindlichen Bevölkerung noch keinen unmittelbaren Rückschluss auf die tatsächlich arbeitende Bevölkerung zu. Denn die Partizipationsrate kann sich, z. B. durch längere Lebensarbeitszeiten und eine Erhöhung des Anteils erwerbstätiger Frauen, verändern - und mit ihr das gesamte Arbeitskräftepotenzial. Der zugrundeliegende Trend lässt dennoch erkennen, dass die demografische Entwicklung das Arbeitskräftepotenzial verringert.
Erste Ansätze sind nach Berechnungen der Großbank HSBC 3 bereits erkennbar: Die aus dem Erwerbsleben Ausscheidenden werden offensichtlich nicht in genügender Zahl durch ein verändertes Erwerbsverhalten aufgefangen. Wird aus den von der International Labour Organisation 4 (ILO) erhältlichen Partizipationsraten verschiedener Länder die demografische Entwicklung simulativ herausgerechnet, so zeigt sich, dass dies aufgrund der Alterung zu einer niedrigeren Partizipationsrate für eine ganze Reihe von Ländern führt.
Die demografische Entwicklung hat also sehr wohl bereits einen Effekt auf die Beteiligung am Arbeitsleben ausgeübt.
Technologie - "The Rise of the Machines"
Neben die demografische Entwicklung tritt die technologische. Dabei sind Umbrüche an den Arbeitsmärkten absehbar, die sich zum Teil schon heute bemerkbar machen. Digitalisierung, lernfähige Maschinen und Informationsplattformen sind Treiber der Entwicklung - und das global gleichzeitig ablaufend.
Man muss dabei nicht so weit gehen wie Jeremy Rifkin 5, um Umbrüche festzustellen. Rifkin proklamierte bereits 1995 in seinem gleichnamigen Buch "Das Ende der Arbeit" - eine These, die er mit seinem Buch "The Zero Marginal Cost Society 6 - Die Null-Grenzkosten- Gesellschaft" weiterentwickelte und verstärkte.
Brynjolfsson und McAfee 7 führen die Vorhersage, dass es, wenn schon nicht zum Ende der menschlichen Arbeit, so doch zu radikalen Veränderungen in der Arbeitswelt kommt, fort. Das "zweite Maschinenzeitalter", das sie heraufkommen sehen, würde - anders als das erste - nicht mehr die Produktivität des Faktors Arbeit durch die Kombination Arbeit und Kapital (also Maschine) heben. Vielmehr würde es Arbeit durch Kapital ersetzen, so ihre Prognose. Dahinter stecken zunehmende kognitive Fähigkeiten der Maschinen. Diese reichen bis hin zu Ansätzen künstlicher Intelligenz. Maschinen wie Programmen wird es ermöglicht, auch in sehr anspruchsvolle Tätigkeitsfelder vorzustoßen, die bisher dem Menschen vorbehalten waren. Fahrerlose Autos und Flugzeuge oder Software, die Juristen und Ärzte bei der Fallbeurteilung unterstützt, sind nur einige Beispiele dafür. Mehr und mehr können Roboter nicht vorstrukturierte Arbeiten erledigen, gesprochene Aufträge annehmen und bis zu einem gewissen Grad selbstständige Entscheidungen fällen. Diese Fähigkeiten erreichen gleichzeitig über Plattformen und Maschine-zu-Maschine-Kommunikation endlose Skalenerträge.
Frey und Osborne 8 untersuchen die Auswirkungen auf über 700 Beschäftigungszweige der US-Ökonomie. Sie kommen dabei zu dem Schluss, dass über 47 % aller Beschäftigungen einem hohen und 19 % einem mittleren Risiko der Computerisierung unterliegen. Allerdings: Das Modell hat seine Schwächen, da es nur prozentuale Anteile, nicht aber absolute Beschäftigungszahlen angibt. Außerdem trifft es auch keine Aussage über die Zeit, innerhalb derer sich die Veränderungen vollziehen.
Vor "Historizismus 9 "sei gewarnt, da weder die weitere technologische Entwicklung noch Präferenzveränderungen vorausgesagt werden können. Finanzielle Repression, die demografische Entwicklung und die technologische Entwicklung laden aber dazu ein, über zwei zentrale Herausforderungen neu nachzudenken:
1. Für die unrentierlichen Staatsanleihen muss ein Ersatz zum Aufbau von Vermögen und Vorsorgekapital gefunden werden.
2. Wenn die Arbeit und damit das Arbeitseinkommen in der gesamtwirtschaftlichen Betrachtung an Bedeutung verliert, muss eine weitere Einkommensquelle gefunden werden, die vor den Entwicklungen am Arbeitsmarkt immun ist oder von diesen sogar profitiert.
Nachhaltiges Einkommen
Warum aber nicht diese Entwicklungen nutzen und zusammenführen? Wenn es absehbar immer weniger Arbeitskräfte gibt, mag es ein Glücksfall sein, dass Arbeitsplätze durch Technologie ersetzt werden und körperlich schwere Arbeit von Robotern übernommen werden kann. Warum nicht die Maschinen für die Menschen arbeiten lassen - und das auch in dem Sinne, dass Arbeitslohn und Rente durch Kapitaleinkünfte ersetzt bzw. ergänzt werden? Der anhaltenden Niedrig- bzw. Negativzinsphase würde entgegengewirkt. Statt direkt oder indirekt sein Alterseinkommen über Staatsanleihen anzusparen oder zu erzielen, die keine, wenn nicht sogar eine negative nominale (!) Rendite abwerfen, würde durch Kapitalbeteiligung auch eine Beteiligung an den unternehmerischen Erträgen und damit an der Risikoprämie ermöglicht. Und: Ist die Pikettysche Kritik 10 der Kapitalakummulation letztlich nicht auch eine Kritik, dass zu wenige Menschen am unternehmerischen Kapital und damit an der daraus resultierenden Risikoprämie beteiligt werden?
Maschinen arbeiten für Menschen
Was Einkommen und Vermögensaufbau mittels Kapitalbeteiligung bedeuten können, verdeutlicht nachfolgende Betrachtung am Beispiel einiger europäischer Staaten. Dabei wurde unterstellt, die Erwerbstätigen in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und dem Vereinigten Königreich hätten sich über die Jahre 1992 bis 2014 mit einem Sparplan von monatlich 50 Euro an dem jeweiligen nationalen Aktienmarkt beteiligt. Der Aktienmarkt gilt hier spiegelbildlich für den nationalen Kapitalstock, denn er umfasst das unternehmerische Risikokapital, wenn auch nicht umfänglich, so doch zu einem repräsentativen Teil.
Beispielhaft wurden die betrachteten Indizes der MSCI-Benchmarkfamilie hinzugezogen. Diese haben, anders als die bekannteren Indizes wie z. B. der DAX 30 oder CAC 40, eine einheitliche Berechnungsgrundlage. Und sie bilden die jeweiligen Aktienmärkte zu mindestens 85 % der tatsächlichen Marktkapitalisierung ab.
Bezogen auf die Erwerbstätigen der fünf Länder ist das Ergebnis beeindruckend: Hätte dieser Sparprozess vor über 20 Jahren begonnen, so würden die Erwerbspersonen der fünf Nationen heute einen Anteil von knapp 45 % der Marktkapitalisierung des MSCI Europa halten (das entspricht rund 2,5 Billionen Euro). Sie hätten dabei eine durchschnittliche Rendite (gemessen am MSCI Europa) von über 11 % auf ihre Ersparnisse p. a. erzielt. Und das, obwohl in diesen Zeitraum Krisen fielen, wie die Technologie-Medien-Telekom-Blase Anfang der Jahrtausendwende oder die vom US-Immobilienmarkt ausgehende und in die europäische Schuldenkrise mündende Finanzmarktkrise.
Interessant ist auch das Ergebnis aus individueller Sicht. Je nach Wahl der Benchmark wäre die Investition mit 9,1 % (Italien) und 11,8 % (Deutschland) verzinst worden (siehe Tabelle 1). Das hätte auf die pro Investor über den betrachteten Zeitraum eingezahlten 13.800 Euro einen Gesamtertrag von über 7.000 Euro (Italien) bzw. gut 22.600 Euro (Deutschland) erbracht 11. Der Anteil der Dividenden wäre dabei beträchtlich gewesen und hätte sich als ein deutlich stetigerer Beitrag gezeigt, als die Kursgewinne es waren.
Im Falle Italiens hätte der Dividendenbeitrag mit über 8.000 Euro sogar den Gesamtertrag von rund 7.000 Euro überstiegen. Das zeigt, dass die Kursverluste aufgrund der Euro-Schuldenkrise im Falle Italiens noch nicht ausgeglichen wurden. Italien ist dabei jedoch der Ausnahmefall. Die anderen vier der betrachteten Länder liegen deutlich im Plus. Dies sowohl mit als auch ohne Dividende betrachtet, wobei der Dividendenanteil bezogen auf den Gesamtertrag unterschiedlich hoch ausfiel.
Was sich auch zeigt: Ein breit gestreutes Investieren in den MSCI Europa wäre in aller Regel gegenüber der Investition in die jeweiligen nationalen Aktienmärkte deutlich attraktiver gewesen. Auch die breitere Diversifikation spricht dafür.
Dividenden als Kapitaleinkommen
Unterstellt, ein Anleger hätte über den gesamten Betrachtungszeitraum in einen breiten Korb europäischer Aktien investiert und nichts entnommen: Bei einer unterstellten Dividendenrendite von 3 % auf gut gerundet 40.000 Euro (über 13.000 Euro Sparbeitrag zzgl. 23.000 Ertrag) würde er heute 1.200 Euro im Jahr an Kapitaleinkünften erzielen - 100 Euro im Monat. Das mag als Zubrot z. B. für die Altersvorsorge noch nicht ausreichend sein, ist aber ein solider Anfang. Angenommen, der Anleger hätte einen höheren Sparbeitrag geleistet oder länger gespart und wäre auf 50.000 Euro Aktienvermögen gekommen - er könnte bei 3 % Dividendenrendite mit 1.500 Euro im Jahr (= 125 Euro im Monat) Dividendeneinkünften rechnen. Die 3 % Dividendenrendite sind dabei kein Garant für die Zukunft, aber eine Messlatte, welche die Vergangenheit gut abbildet (siehe Tabelle 2). wobei unsere Studien zeigen, dass sich die Dividenden selbst deutlich stabiler als die Unternehmensergebnisse entwickeln. Das zeigt: Beim Vermögensaufbau mit Aktien kommt den Dividenden die entscheidende Rolle zur Erzielung eines zusätzlichen (Kapital-) Einkommens zu.
Verstehen. Handeln.
Finanzielle Repression, Demografie und Technologie sprechen dafür, dass die Einkünfte zukünftig stärker aus Kapitalbeteiligungen kommen sollten als bisher. Es ist an der Zeit, die Brücke zwischen Kapital und Arbeit zu bauen - und die Kapitalbeteiligung dabei (nicht nur) aufgrund der zu erwartenden technologischen Umbrüche breit zu streuen. Mittels einer Fondslösung wäre eine derartige Kapitalbeteiligung einfach lösbar. Vermögen aufbauen, Kapitaleinkünfte erzielen - das muss das Ziel in Anbetracht des Wandels sein.
Hans-Jörg Naumer
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