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Zwischenruf zur EU-Schuldenkrise

14.09.12 10:02 Uhr

Zwischenruf zur EU-Schuldenkrise | finanzen.net

Bei der Leistungsbilanz und bei den Lohnstückkosten zeichnen sich tendenzielle Verbesserungen im Euroland ab. Ein gezielter Blick auf die beiden realökonomischen Größen – fernab aktueller Geschehnisse innerhalb der Eurozone – ist daher lohnend.

Leistungsbilanzdefizite verringern sich

Irland könnte sich als Musterschüler innerhalb der Eurozone erweisen, obwohl die Wirtschaft im ersten Quartal 2012 um 1 % geschrumpft ist. So sieht es zumindest die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF): Die Leistungsbilanz, in den letzten Jahren stark defizitär, wies aufgrund einer anziehenden Exportwirtschaft erstmalig einen Überschuss aus. Gleichzeitig wurde die Wirtschaftsleistung des letzten Jahres nachträglich nach oben revidiert (siehe Schaubild 1).

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In Italien hat sich das Leistungsbilanzdefizit von Juni 2011 bis Mai 2012 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – in absoluten Zahlen – fast halbiert.

Als Portugal im Mai 2011 den offiziellen Antrag auf finanzielle Hilfen aus dem EU-Rettungsschirm stellte, lag das Leistungsbilanzdefizit bei – 9,3 % des BIP. Zum ersten Quartal 2012 konnte Portugal sein Defizit auf – 4,3 % reduzieren.

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Ähnliches gilt für Spanien, dessen Leistungsbilanzdefizit auf Jahressicht in der Spitze bei – 10 % des BIP lag (2007), ehe es bis Ende 2011 auf – 3,5 % des BIP zurückgeführt werden konnte. Im Mai 2012 beispielsweise reduzierte sich das Leistungsbilanzdefizit im Vergleich zum Vorjahresmonat um fast 80 %.

Selbst Griechenland verbessert sein Leistungsbilanzdefizit: Lag es 2011 noch bei rund – 21 Milliarden Euro oder knapp – 10 % des BIP, verringerte sich das Defizit in den ersten fünf Monaten dieses Jahres um 40 % gegenüber Vorjahr auf – 6,8 Milliarden Euro.

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Schaubild 1: Anzeichen eines makroökonomischen Anpassungsprozesses

Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite diverser europäischer Staaten (in % vom BIP)

Wertentwicklungen der Vergangenheit erlauben keine Prognose für die Zukunft.
Quelle: Datastream, Bloomberg, Allianz Global Investors Capital Markets & Thematic Research.

Neben den Leistungsbilanzdefiziten war es auch die verloren gegangene Wettbewerbsfähigkeit der südeuropäischen Staaten, die die Krise in den letzten Jahren verschärft hat. Denn die einzelnen Mitgliedstaaten der Eurozone waren und sind in wirtschaftlicher Hinsicht äußerst unterschiedlich. Konnten jene Länder in den Jahren vor der gemeinsamen europäischen Währung ihre Wettbewerbsfähigkeit etwa durch eine Abwertung ihrer Währung verbessern, fiel dieses „Ventil“ mit der Einführung der Einheitswährung weg.

Stattdessen erhöhten sich die Lohnstückkosten. Und die zu teuren Produktionskosten warfen vor allem die EU-Peripherieländer im internationalen sowie im innereuropäischen Vergleich zurück und verschärften die Krise.

Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit nötig

Dass die Wettbewerbsfähigkeit einiger EU-Peripheriestaaten verbessert werden muss, zeigt auch der aktuelle Bericht „Doing Business Report 2012“, in dem die Weltbank zusammen mit der International Finance Corporation (IFC) über 180 Länder auf ihre wirtschaftsrechtlichen Bestimmungen (u. a. Unternehmensgründung, Durchsetzung von Verträgen etc.) hin untersuchte.1 In der Wirtschaftsfreundlichkeit tauchen die südeuropäischen Länder unter den Industrienationen eher im hinteren Feld auf: Spanien auf Platz 44, Italien auf Platz 87 und Griechenland auf Platz 100. Eine Verschlechterung: Zuvor lag Spanien auf Platz 38, Italien auf Platz 53 und Griechenland auf Platz 100. Hingegen konnte Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit durch seine strukturellen Reformen und sein geringes Wachstum auf der Lohnkostenseite stark steigern. Das bedeutet Platz 19 auf Basis des Weltbank-Berichts.

Doch erste Anzeichen in Richtung Wettbewerbsverbesserung scheint es bereits zu geben. Die Schere zwischen den Süd- und Nordländern der Eurozone beginnt sich bei den Lohnstückkosten zu schließen: In den meisten EU-Peripherieländern sind die Lohnstückkosten rückläufig (siehe Schaubild 2). – Das muss nicht zwangsläufig mit sinkenden Löhnen einhergehen. Um bei den Lohnstückkosten wieder wettbewerbsfähiger zu werden, müssten lediglich die Lohnzuwächse in den südlichen Eurostaaten im Vergleich zu den Nordstaaten deutlich unterhalb des Durchschnitts im Euroraum liegen. – Irland und Portugal haben so ihre Wettbewerbsfähigkeit seit 2008 verbessert, wenngleich der Rückgang der Lohnstückkosten in Irland am stärksten ist. Spanien konnte bereits gewisse Fortschritte erzielen und Italien könnte in den kommenden Jahren folgen, nachdem strukturelle Reformen auf den Weg gebracht wurden.

Schaubild 2: Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit

Entwicklung der nominalen Lohnstückkosten im europäischen Vergleich (2000 = 100)

Wertentwicklungen der Vergangenheit erlauben keine Prognose für die Zukunft.
Quelle: Datastream, Allianz Global Investors Capital Markets & Thematic Research.

Makroökonomischer Anpassungsprozess

Tendenzielle Verbesserungen bei der Leistungsbilanz sind erkennbar und die Anpassungen u. a. bei den Lohn- und Produktionskosten im Euroraum zeigen erste Erfolge. Auch wenn es ein schmerzhafter Prozess sein kann, die strukturellen Reformen zur Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit, vor allem der südeuropäischen Länder, scheinen voranzuschreiten.

Autor: Stefan Scheurer Vice President, Global Capital Markets & Thematic Research

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