EZB erhöht Strafzins für Banken - Leitzins bleibt auf Rekordtief - Neue Anleihenkäufe beschlossen
Europas Währungshüter haben abermals an der Zinsschraube gedreht.
Europas Währungshüter stemmen sich mit allen Mitteln gegen die Konjunkturschwäche: Banken müssen künftig noch höhere Strafzinsen zahlen, wenn sie Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) parken. Zudem steckt die Notenbank frische Milliarden in Anleihen. Das beschloss der EZB-Rat am Donnerstag in Frankfurt.
Damit verschärft die Zentralbank zum Ende der Amtszeit von EZB-Präsident Mario Draghi ihre ultralockere Geldpolitik nochmals. Die achtjährige Amtszeit des Italieners endet am 31. Oktober 2019. Der Leitzins, der seit März 2016 auf dem Rekordtief von null Prozent liegt, bleibt unverändert auf diesem Niveau.
Dass die Notenbank erneut nachlegen würde, war erwartet worden. Angesichts der weltweiten Konjunkturabkühlung und der Schwäche des Welthandels seien "signifikante geldpolitische Impulse" notwendig, hatte Draghi nach der Sitzung des EZB-Rates vor sieben Wochen gesagt.
Bisher mussten Geschäftsbanken 0,4 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der Notenbank parken - eine Milliardenbelastung für die Finanzbranche im Euroraum. Dieser negative Einlagensatz wird nun auf minus 0,5 Prozent verschärft.
Mit dem Strafzins wollen die Währungshüter die Institute dazu bringen, mehr Gelder in Form von Krediten an Unternehmen und Verbraucher auszureichen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das soll auch den Preisauftrieb verstärken. Um die Banken etwas zu entlasten, führt die EZB einen Staffelzins für bestimmte Freibeträge ein.
Mittelfristig strebt die EZB für den Euroraum eine Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent an. Das ist weit genug entfernt von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen aufschieben - in der Hoffnung, dass es bald noch billiger wird.
Das Zwei-Prozent-Ziel der EZB ist jedoch in weite Ferne gerückt: Im August verharrte die Inflation in den 19 Ländern mit der Gemeinschaftswährung bei 1,0 Prozent und damit auf dem tiefsten Stand seit mehr als zweieinhalb Jahren.
Mit einer Neuauflage von Wertpapierkäufen will die EZB Konjunktur und Inflation zusätzlich auf die Sprünge helfen. Ab 1. November sollen monatlich 20 Milliarden Euro in den Erwerb von Anleihen gesteckt werden. Ein genaues Ende der Käufe legte der EZB-Rat zunächst nicht fest.
Ende Dezember hatte die EZB ihr gewaltiges Kaufprogramm von Staats- und Unternehmensanleihen vorerst beendet. Seit Januar fließt kein frisches EZB-Geld mehr in diesem Rahmen, Gelder aus auslaufenden Wertpapieren werden jedoch reinvestiert. Von März 2015 bis Ende 2018 steckte die EZB rund 2,6 Billionen Euro in Anleihen.
Der Kauf von Staatsanleihen hilft den Eurostaaten, sich günstiger frisches Geld zu besorgen. Denn wenn die EZB große Bestände aufkauft, müssen sie für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten. Zugleich pumpt die Notenbank über Wertpapierkäufe viel Geld in den Markt. Das soll der Inflation auf die Sprünge helfen.
An der expansiven Ausrichtung der Geldpolitik wird sich aller Voraussicht nach so schnell nichts ändern: Draghis designierte Nachfolgerin an der EZB-Spitze, die Französin Christine Lagarde, hat bereits deutlich gemacht, dass sie eine sehr lockere Geldpolitik für absehbare Zeit für nötig hält. Die bisherige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) sagte aber auch: "Wir müssen die negativen Folgen und Nebeneffekte im Blick behalten."
Sparer müssen sich auf jeden Fall weiterhin gedulden, ehe es wieder höhere Sparzinsen gibt. Womöglich geben Banken zudem die Kosten für die EZB-Strafzinsen künftig an einen größeren Kundenkreis weiter.
EZB stellt sich auf noch niedrigere Inflations- und Wachstumsraten ein
Die Europäische Zentralbank (EZB) stellt sich auf noch weniger Wirtschaftswachstum und Inflation ein. Wie EZB-Präsident Mario Draghi in seiner Pressekonferenz nach der Bekanntgabe der geldpolitischen Beschlüsse mitteilte, rechnet der volkswirtschaftliche Stab der EZB für 2019 nur noch mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,1 (bisher: 1,2) Prozent. Die Wachstumsprognosen für 2020 und 2021 wurden mit 1,2 (1,4) und 1,4 (1,4) angegeben. Laut Draghi überwiegen für dieses Szenario weiterhin die Abwärtsrisiken.
Auch die Inflationsentwicklung wird nach Einschätzung der EZB-Volkswirte gedämpfter als bisher angenommen verlaufen. Für das laufende Jahr rechnen sie nun mit einem Anstieg der Verbraucherpreise von 1,2 (1,3) Prozent. Für 2020 und 2021 werden Inflationsraten von 1,0 (1,4) und 1,5 (1,6) Prozent erwartet.
Der Basiszinssatz der dritten Serie langfristiger und gezielter Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO3) soll nun dem durchschnittlich während der Tenderlaufzeit herrschenden Hauptrefinanzierungssatz entsprechen.
Draghi sagte, das jetzt verabschiedene Maßnahmepaket unterstütze eine Rückkehr der Inflation zu ihrem mittelfristigen Zielwert. Von einem "symmetrischen" Inflationsziel sprach der EZB-Präsident nicht.
Unterschiedliche Meinungen zu Wiederaufnahme der Nettokäufe
Die Wiederaufnahme von Nettoanleihekäufen hat nach Aussage von Präsident Mario Draghi im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht einstimmig befürwortet worden. Draghi sagte in seiner Pressekonferenz zur Erläuterung der aktuellen Beschlüsse, es habe hierfür aber eine klare Mehrheit gegeben. Breite Übereinstimmung gab es laut Draghi zur Notwendigkeit, den Einlagenzins zu senken, zur Zins-Guidance, zur Änderung der Konditionen des TLTRO3 und zur Wiederanlage von Tilgungsbeträgen.
"Es gab keinen Appetit im Rat, über die Anhebung von Ankauflimits zu diskutieren", sagte Draghi. Das liege daran, dass es noch genügend Spielraum im Rahmen der bisherigen Limits gebe. Draghi fügte auf Nachfrage hinzu, die EZB werde in etwa die gleichen Papiere wie bisher kaufen.
Einstimmungkeit herrschte im Rat dazu, dass nunmehr die Finanzpolitik das Hauptinstrument werden müsse. "Regierungen mit Spielraum sollten schnell und effektiv handeln", hieß es dazu im Statement.
Schutz von Bankgewinnen ist nicht unsere Aufgabe
Die Einführung eines zweistufigen Systems von Einlagenzinsen dient nach Aussage von EZB-Präsident Mario Draghi nicht der Profitabilität der Banken. "Der Schutz der Bankgewinne ist nicht die Aufgabe der Europäischen Zentralbank", sagte Draghi in seiner Pressekonferenz zur Erläuterung der aktuellen Beschlüsse. Allerdings müsse die EZB dafür sorgen, dass die geldpolitische Transmission funktioniere, und die Euroraum-Wirtschaft basiere stark auf Banken. Die EZB dürfte um 15.30 Uhr mitteilen, wie sie sich das zweistufige System von Einlagenzinsen vorstellt.
Gefahr einer Rezession niedrig - aber gestiegen
Das Risiko einer wirtschaftlichen Schrumpfung in der Eurozone ist nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) nach wie vor niedrig. Allerdings sei das Risiko einer Rezession zuletzt gestiegen, sagte Notenbankchef Mario Draghi am Donnerstag nach der Zinssitzung des geldpolitischen Ausschusses in Frankfurt.
EZB stellt das Sechsfache des Reservesolls vom Einlagenzins frei
Die Europäische Zentralbank (EZB) will das Sechsfache des Reservesolls jeder Bank, die der Mindestreservepflicht unterliegt, von dem auf minus 0,50 Prozent gesenkten Einlagenzins freistellen. Laut EZB-Mitteilung liegt der Satz für Reserven in der Einlagefazilität bei minus 0,50 Prozent. Geld auf EZB-Konten außerhalb der Reservefazilität wird ab 30. Oktober bis zum Sechsfachen des Reservesolls mit 0,00 Prozent verzinst, darüber hinausgehende Einlagen mit 0,00 Prozent oder dem Einlagensatz - je nachdem, was niedriger ist.
Die EZB will mit dieser Regelung sicher stellen, dass die bankbasierte Übertragung des geldpolitischen Signals intakt bleibt, ohne dass es dabei zu einer "unangemessenen Beeinflussung" der kurzfristigen Geldmarktzinsen kommt.
Angeblich großer Widerstand im EZB-Rat gegen neue Anleihekäufe
Im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) gab es laut informierten Kreisen großen Widerstand gegen die Wiederaufnahme der Nettoanleihekäufe. So habe sich der Chef der französischen Notenbank, Francois Villeroy de Galhau, der ablehnenden Haltung von Bundesbankpräsident Jens Weidmann angeschlossen, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg am Donnerstag unter Berufung auf EZB-Vertreter, die nicht genannt werden wollen. Zudem hätten sich auch Vertreter der Notenbanken der Niederlande, Österreichs und Estlands auf die Seite der Abweichler gestellt. Im Direktorium der EZB waren laut dem Bericht Sabine Lautenschläger aus Deutschland und Benoit Coeure aus Frankreich gegen die Wiederaufnahme der Käufe.
Mit einer Neuauflage von Wertpapierkäufen will die EZB die lahmende Konjunktur anschieben. Ab 1. November sollen monatlich 20 Milliarden Euro in den Erwerb von Anleihen gesteckt werden. EZB-Präsident Mario Draghi hat auf der Pressekonferenz eingeräumt, dass die Entscheidung umstritten gewesen sei. Es sei jedoch eine eindeutige Mehrheit gewesen und es habe daher keine Abstimmung stattgefunden.
Allerdings repräsentieren allein die Vertreter Deutschlands, Frankreich und der Niederlande mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung und der Bevölkerung der Eurozone. Einen so großen Widerstand habe es in den acht Jahren Amtszeit von Draghi noch nicht gegeben, heißt es in dem Bericht.
/ben/DP/jkr
FRANKFURT (dpa-AFX) / FRANKFURT (Dow Jones)Weitere News
Bildquellen: einstein / Shutterstock.com, DANIEL ROLAND/AFP/Getty Images