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Zertifikate: Die Alleskönner

03.10.16 03:00 Uhr

Zertifikate: Die Alleskönner | finanzen.net

Alles begann vor 27 ­Jahren mit einem Index-Zertifikat auf den DAX. Seitdem hat sich einiges ­getan. Die verbrieften Derivate sind ­besonders für ihre Vielfältigkeit bekannt.

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Indizes

19.869,5 PKT -15,3 PKT -0,08%

39.161,3 PKT 459,4 PKT 1,19%

5.930,9 PKT 63,8 PKT 1,09%

von Gian Hessami, Euro am Sonntag

Börsenflauten können ganz schön langweilig sein. Wenn sich die Kurse über Wochen und Monate kaum vom Fleck bewegen, ist kein Geld zu verdienen. Dies gilt für Aktien - aber nicht für Zertifikate. Mit diesen Derivaten sind Gewinne grundsätzlich in allen Marktphasen möglich.



Und genau das macht die Papiere so interessant. Die Idee war ebenso einfach wie genial: 1989 brachte die Dresdner Bank das erste Indexzertifikat auf den Markt - dies war die Geburtsstunde der Anlagezertifikate. Das Indexpapier bezog sich auf den DAX.

Indexzertifikate als Initialzündung

Das Finanzprodukt eröffnete Privatanlegern ganz neue Möglichkeiten: Sie konnten mit einem einzigen Wertpapier in die 30 größten deutschen Aktien investieren. Das Prinzip ist simpel: Der Kurs des Zertifikats entwickelt sich stets eins zu eins zum DAX. Inzwischen gibt es mehrere Tausend Indexpapiere auf Hunderte Indizes. Mit nur wenigen Papieren können Anleger leicht und kostengünstig in viele verschiedene Märkte investieren.

Ein Beispiel: Mit jeweils einem Papier auf den Euro Stoxx 50 (Eurozone), den S & P 500 (USA) und den Nikkei 225 (Japan) kann sich ein Anleger ein internationales Aktienportfolio aus insgesamt 775 Einzelwerten zusammenstellen. Indexzertifikate bieten in Abwärtsmärkten allerdings keinen Sicherheitspuffer. Falls der unterlegte Indexkurs fällt, sinkt entsprechend auch der Kurs des Zertifikats.

Zertifikate mit Rabatt

Eine Weiterentwicklung der Index­papiere sind Teilschutzzertifikate. Sie bieten einen begrenzten Schutz bei Kursverlusten des Basiswerts. 1995 hob der Düsseldorfer Emittent HSBC Trinkaus Discountzertifikate aus der Taufe. Mit ihnen konnten Anleger zum ersten Mal mit Sicherheitspuffer in Aktien oder Indizes investieren.


Das Prinzip: Anleger kaufen den Basiswert zu einem Rabattpreis. Notiert beispielsweise eine Aktie bei 100 Euro, so könnte der Kaufkurs des Discount­papiers auf diese Aktie 90 Euro be­tragen. Das ist ein Rabatt von zehn Prozent. Dadurch entsteht ein Vorteil gegenüber dem Direktinvestment in den Basiswert. Zum Laufzeitende orientiert sich die Rückzahlung am Kurs des Basiswerts.

Auf das Beispiel bezogen heißt das: Bis zu einem Kursrückgang von 90 Euro sind Anleger vor Verlusten geschützt. Erst wenn der Basiswert unter den Einstiegspreis des Rabattpapiers rutscht, gerät man in die roten Zahlen.


Den Preisvorteil erhalten Anleger aber nicht geschenkt: Im Gegenzug ­können sie mit Discountzertifikaten nur begrenzt an den Kurssteigerungen des Basiswerts teilnehmen. Den Rabatt, den Anleger beim Einstieg im Vergleich zum tatsächlichen Kurs erhalten, erkaufen sie also durch eine Gewinnbegrenzung. Diese wird auch als "Cap" bezeichnet.

Cap festlegen

Der Anleger weiß vorab, wie hoch sein Maximalgewinn sein kann. Angenommen, im obigen Beispiel liegt der Cap bei 100 Euro. Sollte die unterlegte Aktie am Laufzeitende bei 105 Euro notieren, erhalten Anleger 100 Euro pro Discounter. Bei einem Kaufpreis von 90  Euro beträgt der Gewinn zehn Euro, was einer Rendite von 11,11 Prozent entspricht. Im Prinzip kann es auch zum Totalverlust kommen.

Dies ist jedoch sehr unwahrscheinlich - zumindest bei Papieren, die sich auf Bluechips beziehen. Die unterlegte Aktie müsste am Laufzeitende des Papiers bei null Euro notieren. Für Discounter gilt: Je größer der Rabatt, desto niedriger ist der Cap und desto kleiner ist folglich die mögliche Rendite.

Anleger können durch die Auswahl des Caps also selbst bestimmen, ob sie mit den Discountern eher defensiv (mit niedrigem Cap) oder lieber offensiv (mit hohem Cap) agieren. Dank des Rabatts geraten Anleger nicht gleich in die Verlustzone, wenn der Kurs des Basiswerts moderat fällt.

Bonuszahlung in Börsenflauten

Die nächste Entwicklungsstufe für Zertifikate folgte im Jahr 2003. Das Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim schuf in Gestalt der Bonuszertifikate eine Neuerung, mit der Anleger auf seitwärts laufende und steigende Märkte setzen konnten, ohne - wie bei den Discountern - Gewinnbegrenzungen in Kauf nehmen zu müssen.

Das Prinzip: Solange der Basiswert während der Laufzeit die Barriere, die unter dem aktuellen Kurs liegt, nicht berührt, erhalten Anleger eine festgelegte Bonuszahlung (Bonuslevel). Notiert der Basiswert am Laufzeit­ende über dem Bonuslevel, nehmen Anleger uneingeschränkt an den Kurssteigerungen teil.

Zumindest gilt dies für klassische Bonuszertifikate. Später kamen zudem Papiere mit Gewinnbegrenzung (Cap) auf den Markt, mit denen im Gegenzug in Seitwärtsphasen höhere Renditen möglich sind. Für alle Bonuspapiere gilt: Geht die Strategie nicht auf und die ­Barriere wird gerissen, entwickelt sich der Zertifikatekurs eins zu eins zum Basiswert.

Im Vergleich zum Direktinvestment sind die Renditemöglichkeiten in seitwärts, leicht aufwärts und auch in moderat abwärts laufenden Märkten attraktiver. Je größer der Abstand des aktuellen Basiswertkurses zur Barriere, desto größer der Teilschutzpuffer der Papiere. Im Gegenzug nehmen die Ren­ditemöglichkeiten ab.

Wer beispielsweise glaubt, dass sich der Basiswert während der Laufzeit vor­übergehend südwärts bewegen könnte, "arbeitet" mit Puffern von etwa 20, 30 oder 40 Prozent - je nach Markt­erwartung.

Auf etwaige Dividendenzahlungen müssen Anleger zugunsten der Bonus­chance jedoch verzichten. Das Gleiche gilt im Übrigen für andere Teilschutz­papiere wie Discountzertifikate. Emittenten verwenden die anfallenden ­Dividendenausschüttungen der Basiswerte, um die Struktur der Produkte zu finanzieren.

Papiere mit Knock-out-Schwelle

Neben Anlagezertifikaten haben sich bei den verbrieften Derivaten auch Hebelprodukte etabliert. Mit ihnen können Anleger überproportional von Kursbewegungen der Basiswerte profitieren. Sie eignen sich für risikobereite Investoren. Geht die Spekulation nämlich nicht auf, können Anleger innerhalb kurzer Zeit einen Totalverlust erleiden. Knock-out-Produkte, auch kurz Knock-outs genannt, sind ein Klassiker unter den strukturierten Produkten. Die französische Bank BNP Paribas hat sie im Jahr 2001 als erstes Zertifikatehaus an der Börse eingeführt.

Knock-outs können sich wie Zertifikate etwa auf Aktien, Indizes oder Rohstoffe beziehen. Mit Call-Scheinen setzt man auf steigende, mit Put-Scheinen auf fallende Kurse des Basiswerts. Zentrale Kennziffer der Papiere ist der Basispreis, der bei Emission festgelegt wird. Er bestimmt den inneren Wert des Produkts. Beispiel: Ein Call-Schein bezieht sich auf eine Aktie, die aktuell bei zehn Euro notiert. Bei einem Basispreis von neun Euro hat der Knock-out einen inneren Wert von einem Euro.

Gewinne hebeln

Zudem ist der Basispreis bei klassischen K.-o.-Papieren mit der Knock-out-Schwelle identisch. Berührt der Basiswert diese Kursmarke, im obigen Beispiel neun Euro, verfällt der Schein wertlos und das investierte Kapital ist komplett verloren. Steigt jedoch bei dem Beispiel die Aktie um zehn Prozent auf elf Euro, ist der Call-Schein zwei Euro wert. Das entspricht einer Rendite von 100 Prozent - ohne Berücksichtigung der Nebenkosten wie Aufgeld und Transaktionskosten. Das Produkt hätte somit in diesem Fall die Kursbewegung um ein Zehnfaches gehebelt. Der Hebel wirkt jedoch in beide Richtungen. Erfüllt sich die Markterwartung des Anlegers nicht, verliert der Kurs des Scheins entsprechend überproportional an Wert.

Zertifikate wurden nach der Jahrtausendwende immer populärer. So stieg hierzulande das investierte Marktvolumen von knapp 50 Milliarden Euro (2004) auf rund 140 Milliarden Euro (2008) an. Der jähe Absturz kam dann mit dem Lehman-Debakel: Ende 2008 steckten plötzlich nur noch 80 Milliarden Euro in Derivaten.

Seitdem hat sich der Markt nie mehr so richtig erholt. Derzeit umfasst er rund 70  Milliarden Euro. Der Einbruch vor acht Jahren hatte vor allem einen Grund: Die US-Investmentbank Lehman Brothers hatte auch Zertifikate emittiert. Da es sich bei den Papieren rechtlich gesehen um Schuldverschreibungen handelt, waren die Papiere mit der Insolvenz auf einen Schlag so gut wie wertlos. Der Begriff "Lehman-Oma" wurde zum Synonym für ältere Anleger, die sich von ihrem Bankberater Lehman-­Papiere hatten andrehen lassen - ohne zu wissen, um welche Wertpapiere es sich rechtlich betrachtet handelte.

Die Zeit nach Lehman

Heute haben sich die Wogen geglättet. Zertifikate gelten weder als Wunderwaffen noch als Zockerpapiere. Dennoch greift die Aufsichtsbehörde Bafin zunehmend regulierend ein. Möglicherweise wird sie Bonitätsanleihen verbieten, und die Zertifikatebranche fürchtet, dass dies erst der Beginn einer Regulierungs- und Verbotswelle für weitere Zertifikate ist. Unabhängig davon sollten Anleger inzwischen wissen, dass sie mit diesen Papieren nicht nur ein Markt-, sondern auch ein Emittenten­risiko eingehen. Wie bei herkömmlichen Anleihen, die ebenfalls Schuldverschreibungen sind, ist das investierte Kapital im Insolvenzfall des Emittenten in Gefahr. Investoren tun gut daran, sich über die Zahlungsfähigkeit des Emittenten zu informieren.

Fazit: Wer weiß, wie Zertifikate funktionieren und welche Chancen und Risiken sie haben, kann sich die Papiere aussuchen, die zu seiner Marktmeinung passen. Zugleich gilt wie bei anderen Anlagen auch: je größer die mögliche Rendite, desto höher das Risiko.

Investor-Info

Indexzertifikat auf BlueChips
30 Aktien auf einen Schlag

Mit einem Indexzertifikat der Commerzbank auf den DAX nehmen Anleger eins zu eins an der Kurs­entwicklung des deutschen Leit­index teil. Sie setzen dabei mit einem Papier auf die 30  Bluechips. Gegen Kursverluste ­bieten das Papier allerdings keinen Schutz.

DAX-Discountzertifikat
In Seitwärtsphasen gewinnen

Einen Preisabschlag von rund zehn Prozent bietet das Rabattpapier der Société Générale auf den DAX, das noch bis September 2017 läuft. Sollte der Leitindex dann auf oder über 10.200 Punkten notieren, erzielen Anleger die maximale Rendite von rund 6,44 Prozent p. a.

Bonuszertifikat Euro Stoxx 50
Dicker Puffer nach unten

Mit dem Bonuspapier der DZ Bank setzen Anleger darauf, dass der Euro Stoxx bis Herbst 2017 nicht die Barriere von 2.350 Punkten verletzt, was 23 Prozent Puffer entspricht. Geht die Wette auf, beträgt die Bonusrendite 9,8 Prozent p. a. Der Gewinn ist nicht begrenzt.

Knock-Out auf US-Aktien
Für Spekulanten

Kurzfristig orientierte Anleger, die von steigenden Kursen des US-Aktienmarkts ausgehen, können mit einem Knock-out von BNP Paribas auf den US-Leitindex S & P 500 setzen. Der Schein läuft noch bis Ende Oktober 2016. Die K.-o.-Schwelle liegt bei 1.700 Punkten.

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