Baumwolle vor Top-Bildung?
Baumwolle gehört traditionell nicht unbedingt zu den Rohstoffen, die verstärkt im Fokus der Anlegerschaft stehen.
Speziell in den letzten Monaten wären Investoren jedoch gut beraten gewesen, den Markt nicht ganz so „stiefmütterlich“ zu behandeln. Immerhin zogen die Notierungen des Dezember-Futures seit den März-Tiefs im Bereich von 47 US-Cents um fast 45 Prozent an. Lesen Sie, ob es sich zum jetzigen Zeitpunkt noch lohnt, auf den „fahrenden Zug“ aufzuspringen.
Deutlich rückläufige Ernteerträge
Hintergrund der beachtlichen Kurssteigerungen ist vor allem der Umstand, dass die weltweiten Ernteerträge in der laufenden 2009/10er Saison erkennbar rückläufig ausfallen dürften. Für die Vereinigten Staaten rechnet das US-Landwirtschaftsministerium mit einem Output im Bereich von 13 Millionen Ballen, was in etwa dem Niveau des vorherigen Wirtschaftsjahres entspricht, aber signifikant unter der Produktionsmenge der Vergangenheit liegt. In Spitzenzeiten reiften auf amerikanischen Feldern deutlich mehr als 20 Millionen Ballen heran. Verantwortlich für das Minus ist einerseits die erkennbare Reduzierung der Anbauflächen, die auf die lange Zeit unrentablen Weltmarktpreise bei Baumwolle zurückgeführt werden kann. Darüber hinaus leidet die aktuelle Ernte unter dem überdurchschnittlich feuchten Herbstwetter in den wichtigen Anbaugebieten. Die ungünstigen Witterungsbedingungen haben zur Folge, dass bis dato lediglich 44 Prozent der Baumwolle eingebracht wurde. Im Vergleich zum fünfjährigen Durchschnitt von 59 Prozent bedeutet das ein sichtbares Minus. Angesichts dieser Zahlen muss sogar damit gerechnet werden, dass die Produktionsschätzungen des Landwirtschaftsministeriums zu hoch gegriffen sind. Ähnlich trist stellt sich die Situation in Indien und Pakistan dar, wo massive Monsun-Regenfälle einen nicht unerheblichen Teil der Ernte geschädigt haben.
Versorgungslage nicht mehr erdrückend aber nach wie vor üppig
Die stark rückläufigen Erträge werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass die Versorgungssituation bei Baumwolle vorerst nicht mehr so erdrückend ist wie in den Jahren zuvor. Für die Vereinigten Staaten gehen die Behörden von einem Rückgang der Endbestände von 6,3 auf nur noch 5,4 Millionen Ballen aus. Daraus errechnet sich ein Ending Stock to Use Ratio von 39 Prozent. Keine Frage: Das ist deutlich weniger als die 53 bzw. 55 Prozent der Jahre 2007 und 2008. Auf der anderen Seite sollte bedacht werden, dass die genannten 39 Prozent im längerfristigen Vergleich eher am oberen Ende der Spanne liegen. Im Jahr 2004 beispielsweise bewegte sich das Verhältnis zwischen Endbeständen und Verbrauch gerade einmal bei 18 Prozent. Auf globaler Ebene sieht das amerikanische Landwirtschaftsministerium ebenfalls einen Rückgang der Vorräte von 61 auf 56 Millionen Ballen. Trotzdem soll das Ending Stock to Use Ratio bei 50 Prozent liegen. Von einem Mangel an Baumwolle kann mithin nicht die geringste Rede sein.
US-Exporte und Inlandsnachfrage unverändert schwach
Abgesehen davon besteht bezüglich der amerikanischen Endbestand-Schätzung ein erheblicher Unsicherheitsfaktor, der von den Exporten herrührt. Bislang gehen die Experten von einem Minus bei den Ausfuhren für das Wirtschaftsjahr 2009/10 von 21 Prozent aus. Angesichts des Umstandes, dass die USA in 2009 bisher 35 Prozent weniger Baumwolle als im Vorjahr exportiert hat, erscheint diese Prognose reichlich optimistisch. Nach wie vor kaufen die asiatischen Haupt-Abnehmerländer (vor allem China) lieber regional produzierte Baumwolle aus Indien oder Pakistan, selbst wenn diese teurer als US-Baumwolle ist. Wir können keinen Grund erkennen, warum sich dieses Verhalten ändern sollte. Des Weiteren muss davon ausgegangen werden, dass der amerikanische Baumwoll-Verbrauch weiter sinken wird, weil die dortige Textil-Industrie im internationalen Vergleich schlichtweg nicht mehr konkurrenzfähig ist. Somit bestehen auf der Nachfrageseite erhebliche Risiken im Hinblick auf weiter steigende Preise.
Außerordentlich „bullische“ Saisonalität
Außerordentlich „bullisch“ präsentiert sich allerdings die Saisonalität: Für gewöhnlich setzt Baumwolle ab etwa Mitte/Ende November zu einer „Rallye“ an, die bis Mitte Mai des Folgejahres dauert. Ob es im laufenden Jahr aber dazu kommt, bleibt abzuwarten. Ein entscheidender Punkt spricht in jedem Fall dagegen.
CoT-Daten implizieren anstehenden Kursverfall
So mahnt der Blick auf die CoT-Daten zur äußersten Vorsicht hinsichtlich dem Eingehen oder Halten von Long-Positionen auf Baumwolle. Denn die Produzenten haben die deutlichen Kursanstiege der vergangenen Monate genutzt, um ihre Baumwolle überaus aggressiv auf Termin zu verkaufen. Zur Stunde hält diese Gruppe eine gewaltige Netto-Short-Position von rund 120.000 Kontrakten. Ganz offenbar erachten diese meist ausgezeichnet informierten Marktteilnehmer die derzeitigen Preise für hoch genug, um sich diese zu sichern. Diese Tatsache schürt die Erwartung, dass es mit den Baumwoll-Notierungen in absehbarer Zeit kräftig abwärts gehen sollte.
Charttechnik (noch) positiv
Möglicherweise kommt es dazu nicht heute und morgen, weil die technische Verfassung des Markts (noch) relativ positiv ist. Sämtliche vorherrschenden Aufwärtstrends sind nach wie vor intakt und sowohl der RSI als auch die Stochastik stehen auf „kaufen“. Auch der MACD schickt sich an, ein Kaufsignal zu generieren, so dass momentan nicht allzu viel auf einen anstehenden Kursverfall hinweist. Allerdings muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass der Dezember-Future es bislang nicht geschafft hat, seinen überaus hartnäckigen Widerstand im Bereich von etwa 70 US-Cents zu überwinden. Von daher sollte zumindest eine Top-Bildung in diesem Bereich einkalkuliert werden. Auf Grund der starken Charttechnik ist es aktuell wohl noch etwas zu früh, um auf fallende Kurse zu wetten. Sollte Baumwolle jedoch erneut am Resist bei 70 US-Cents abprallen und im Anschluss unter die wichtige Unterstützung bei 65 US-Cents fallen, könnten sich Short-Spekulationen ungeachtet der Saisonalität auf Sicht von einigen Monaten durchaus lohnen.
Marc Nitzsche ist Chefredakteur des Rohstoff-Trader Börsenbriefs. Der Börsenbrief ist ein Spezialist für Rohstoffe und bietet konkrete Kaufempfehlungen mit Analysen und Kursprognosen. Mehr Infos unter: www.rohstoff-trader.deDer obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die Smarthouse Media GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.