Servicewüste Deutschland: "König Kunde" ist tot
Wie die heute real existierende Gastronomie ihren Kunden das Gefühl vermittelt, dass die DDR doch nicht Geschichte ist.
von Stephan Haberer, Euro Magazin
Unter Appetit ist ein psychischer Zustand zu verstehen, der sich durch das lustvoll geprägte Verlangen auszeichnet, etwas Bestimmtes zu essen", erklärt das Wörterbuch. Doch bei Ausflügen in die Gastronomie kann der Appetit schwinden. Dafür kommt das Gefühl auf, die DDR lebe. Und das in Gegenden Deutschlands, die des Sozialismus völlig unverdächtig sind.
Etwa direkt hinter den bayerischen Reichenrefugien am Tegernsee - in der Valepp, einem idyllischen Gebirgstal. Dort kontert die Bedienung eines Lokals die Bestellung eines Eiskaffees mit: "Gibt’s nicht!" Und auf die Nachfrage: "Aber vor Kurzem stand er auf der Karte, oder?", erfährt man Folgendes: "Ja, scho’. Aber das nahm ja überhand. Wir sind ein Torten- und Kuchenlokal. Da kann nicht jeder Eiskaffee bestellen!"
Verwundert bestellt der Gast daraufhin einen Cappuccino; auf Kuchen oder Torte verzichtet er ebenso wie auf eine Replik. In der hätte er erklärt, dass der Wirt nicht zu Mitteln sozialistischer Planwirtschaft hätte greifen müssen; unser Wirtschaftssystem eigentlich auf Erfolg aufbaue. Und man bei erfolgreichen Produkten durchaus Preissetzungsmacht habe. Insbesondere, wenn das Lokal die einzige Gaststätte weit und breit sei. Dass dadurch Umsatz und Gewinn stiegen und sich der Kunde dennoch als König fühlen könne.
"König Kunde" scheint eine bedrohte Art zu sein, das ergaben zumindest private Recherchen. So erzählte eine Bekannte von einer Bäckerei, in der sie vier "Semmeln" verlangte. Worauf die Bedienung knapp beschied: "Ham wa nich" - und sich dem nächsten Kunden zuwandte, der vier "Brötchen" erhielt.
Ein anderer berichtete von dem Ausflugslokal an der Nordsee, wo er mit Frau und fünfjähriger Tochter erst über eine Stunde aufs Essen habe warten müssen. Dann kam zwar das Essen für die Erwachsenen, nicht aber das Kinderschnitzel. Auf Nachfrage, wann dieses käme, erklärte die Bedienung: "Wenn’s fertig ist!"
Erinnert an Zeiten, als in Ostberlin Gaststätten abends rappelvoll, die Küchenbrigade anwesend, die Küchen aber geschlossen waren.