Achtung! Kinder zahlen für ihre Eltern
Ganz gleich, wie zerrüttet die Familie ist - können greise Eltern ihre Pflege nicht mehr zahlen, sind die Kinder dran. €uro am Sonntag zeigt, welche Summen sich der Staat holen kann.
von Thomas Münster, Euro am Sonntag
Nach 40 Jahren war eine Zahlungsaufforderung das erste Lebenszeichen vom Vater. Der hatte damals jeden Kontakt abgebrochen. Jetzt sollte der Sohn für seinen Unterhalt aufkommen, weil die Altersversorgung fürs Pflegeheim nicht mehr reichte. Das empfand der Sohn als eine Zumutung und weigerte sich. Schließlich hatte der Vater nicht nur jeden Kontakt zu ihm abgebrochen, sondern ihn auch bis auf den Pflichtteil enterbt. Wegen der schweren Verfehlung des Vaters ihm gegenüber - so die Argumentation in Juristendeutsch - müsse er keinen Unterhalt zahlen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) sah das jedoch anders: Dass der Vater jeglichen Kontakt vermieden habe, sei tatsächlich eine Verfehlung, bestätigten die obersten Zivilrichter. Aber dieser Lapsus sei nicht schwer genug, um den gekränkten Sohn von seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht zu befreien. Immerhin habe der Vater bis zum 18. Geburtstag des Sohnes seine Elternpflichten "im Wesentlichen" erfüllt (Az. XII ZB 607/12).
Was für zerrüttete Verhältnisse entschieden wurde und für Furore sorgte, gilt erst recht in intakten Familien: Wenn im Alter Rente, private Vorsorge und Pflegeversicherung die Kosten von Heim und Pflege nicht decken, müssen die Kinder einspringen. Sie trifft - sofern genügend Finanzkraft vorhanden - eine gesetzliche Unterhaltspflicht für ihre Eltern. Und die greift immer häufiger. Bei fast der Hälfte der Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sind nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes die Kosten aus eigenen Mitteln nicht gedeckt, Tendenz steigend. 2012 gab es laut Statistischem Bundesamt 3,8 Prozent mehr Senioren, die eines Zuschusses bedurften, als 2011. Diese Lücken sollen die Kinder stopfen. Fragt sich, wie weit diese Pflicht geht.
Ob das Generationenverhältnis gut oder schlecht ist, spielt dabei keine Rolle. Denn wenn das Geld für die Pflege nicht reicht, springen in der Praxis oft erst mal die Sozialbehörden finanziell ein. Sie aber suchen Ersatz für ihre Auslagen. Ob die Betroffenen damit einverstanden sind, interessiert die Ämter nicht.
Konkret passiert Folgendes: Der Staat leitet die Unterhaltspflicht der Kinder auf sich über. Das teilt er ihnen schriftlich mit. Die Kinder müssen nur für Defizite aufkommen, die ab dieser Mitteilung entstehen. Und sie brauchen nicht mehr zu zahlen, als den Eltern als Unterhalt zustehen würde. Das verlangt deutlich geringere Opfer als beim Unterhalt für minderjährige Kinder.
Praktisch heißt das: Für Kinder muss ein Berufstätiger von seinem Nettoeinkommen notfalls alles abgeben, was über den sogenannten Selbstbehalt von 1.000 Euro hinausgeht. Beim Elternunterhalt darf er 1.600 Euro behalten, plus die Hälfte des Einkommens, das darüber liegt.
Rechnung mit vielen Variablen
Vereinfacht lässt sich die maximale Unterhaltspflicht so berechnen: Zum Nettoeinkommen werden weitere Einkünfte, etwa solche aus Kapitalvermögen, hinzugerechnet. Kindergeld bleibt unberücksichtigt.
Von dieser Summe ziehen Betroffene Berufsausgaben wie Fahrtkosten ab - ohne Nachweis können dies in der Regel fünf Prozent vom Nettogehalt sein, dazu kommen bis maximal fünf Prozent des Bruttoeinkommens für Altersvorsorge. Selbstständige ohne Pflichtversicherung können weitere 20 Prozent vom Brutto abziehen. Dann kommen noch Raten für bestehende Kredite hinzu. Von diesem "bereinigten Nettoeinkommen" geht pro unterhaltsberechtigtem Kind ein Betrag gemäß der Düsseldorfer Tabelle (www.olg-duesseldorf.nrw.de) ab. Diese Tabelle wird regelmäßig vom Oberlandesgericht Düsseldorf aktualisiert und gilt als der Maßstab für Unterhalt in Deutschland. Vom Rest können dann noch 1.280 Euro für einen Ehe- oder Lebenspartner ohne eigenes Einkommen abgezogen werden (nichteheliche Partner können nicht geltend gemacht werden).
Nach all diesen Abzügen müssen dem Unterhaltspflichtigen noch 1.600 Euro bleiben. Nur wenn mehr übrig ist, bekommen die Eltern Unterhalt, und zwar die Hälfte des Überschusses. Haben die Eltern mehrere leibliche oder adoptierte Kinder - Stiefkinder zählen nicht -, hat die Behörde sie entsprechend ihrer finanziellen Verhältnisse anteilig in Anspruch zu nehmen. Ob ein Kind ehelich ist, spielt keine Rolle.
Das Amt darf sich im Übrigen nicht willkürlich nur ein Kind greifen, bei ihm den vollen Betrag kassieren und es ihm überlassen, sich bei seinen Geschwistern Ersatz zu holen. Lebt allerdings eines der Geschwister im Ausland, braucht sich die Behörde nicht zu bemühen, sagt der BGH (XII ZB 269/12). Der Schwarze Peter bleibt bei den inländischen Kindern.
Reichen die laufenden Einnahmen nicht für den Unterhalt, geht es ans Vermögen. Aber da setzt der BGH enge Grenzen. Die als Hauptwohnsitz selbst genutzte Immobilie bleibt außen vor, jedenfalls solange sie "angemessen" ist: Drei Zimmer für eine Person gehen wohl in Ordnung, bei einer Villa dürfte es kritisch werden. Für Ferienhäuschen gilt keine Zurückhaltung. Sie fallen unter Umständen aber unter ein anderes Tabu für den Staatszugriff: Dieses gilt für Vermögen, das mit bis zu fünf Prozent des Bruttoeinkommens als freiwillige Alterssicherung angespart wurde. Wurde es in eine Ferienwohnung investiert, ist sie geschützt. Ansonsten wird ihr Wert zur Ermittlung der Unterhaltspflicht herangezogen.
Ein Notgroschen bleibt
Neben der Altersvorsorge gesteht der BGH den Kindern auch noch einen Notgroschen zu, etwa für ein neues Auto oder die Sanierung der Wohnung. Feste Regeln für die Höhe gibt es nicht, eine Faustregel spricht von drei Monatsnettoeinkommen.
Auch wenn ein Kind weder Einkommen noch Vermögen hat, kann das Amt sich nicht an seinen Ehe- oder Lebenspartner halten. Gleichwohl wird diese Geldquelle in Anspruch genommen, indem das dem einkommenslosen Unterhaltspflichtigen zustehende Taschengeld für den Unterhalt herangezogen wird. Allerdings, so der BGH, müssen ihm fünf bis sieben Prozent von 1600 Euro bleiben. Nur was darüber liegt, geht hälftig an die Eltern (XII ZR 43/11).
Bevor der Staat sich an die Kinder halten kann, muss er erst einmal bei den Eltern sein Glück versuchen. Auch das betrifft oft die Kinder. Barmittel haben die Eltern in der Regel nicht mehr, aber vielleicht eine Immobilie. Doch bis diese zu Geld gemacht werden muss, lässt sich das Amt gern Zeit, in der Regel dauert es bis zum Tod der Eltern. Dann präsentiert das Amt den Erben die Rechnung. Es kann die Bezahlung seiner Auslagen für die letzten zehn Jahre aus dem Nachlass verlangen - auch wenn dafür das Haus verkauft werden muss. Genauso wenig spielt es eine Rolle, ob die nächste Generation das Haus schon bewohnt oder fest in ihre Zukunftsplanung einbezogen hat.
Viele Eltern haben ihre Immobilie schon vorher den Kindern überschrieben. Auch das hilft nicht unbedingt. Denn diese Schenkung kann das Amt wegen "Verarmung der Schenker" zurückverlangen, wenn die Eltern ihre Pflege nicht zahlen können - bis zu zehn Jahre, nachdem die Immobilie übertragen wurde.