Steueraffären

Betrachtungen zu Hoeneß

16.03.14 03:00 Uhr

Statt sich weiter darauf zu beschränken, Steuerhinterzieher und Steuerflüchtlinge an den Pranger zu stellen, sollte der Fall Hoeneß die Politik endlich inspirieren, ein faires und für jedermann verständliches Steuerrecht einzuführen.

von Wilfried Hoop, Gastautor von Euro am Sonntag

Sie hat etwas Tragisches, diese Affäre um die nicht versteuerten Kapitalerträge des Uli Hoeneß. Tragisch deshalb, weil er ohne Zweifel recht hat, wenn er von sich sagt, er sei kein schlechter Mensch. Tragisch auch deshalb, weil er als Fußballspieler, Fußballmanager, Geschäftsmann und als Mensch Außergewöhnliches geleistet hat. Nicht ohne Grund wurde er von seinem Weggefährten Karl-Heinz Rummenigge als "Vater Teresa vom Tegernsee" bezeichnet.

Wer­bung

Doch wir leben in Europa - zumindest die meisten von uns - in relativ gut funktionierenden Rechtsstaaten. Dasselbe Recht muss für alle gelten. Auch für Hoeneß, und das weiß er. Er wurde, unter anderem, Opfer eines in Machtpositionen und vor allem auch im professionellen Fußballumfeld häufig auftretenden Phänomens: einer durch die immense Popularität des Fußballs hervorgerufenen Hybris, die unverletzlich, unantastbar zu machen scheint. Er hat seinen Fehler eingestanden und wird die Konsequenzen tragen müssen.

Der frühere "FAZ"-Herausgeber Hugo Müller-Vogg zieht im Debattenmagazin "Cicero" allerdings den falschen Schluss, wenn er behauptet, der Fall Hoeneß böte die Gelegenheit, endlich damit anzufangen, Steuerhinterzieher und Steuerflüchtlinge gesellschaftlich an den Pranger zu stellen. Der Fall Hoeneß sollte meines Erachtens vielmehr die Politik endlich dazu inspirieren, ein faires und einfaches Steuerrecht einzuführen.

Wer­bung

Während Steuerhinterziehung in Deutschland zum schlimmstmöglichen Kapitalverbrechen hochgeredet wird, wie Roland Tichy in der "Wirtschaftswoche" schreibt, wird tagtäglich real stattfindende Steuerverschwendung politisch und gesellschaftlich weitgehend toleriert oder ignoriert. "Wenn Deutschland Steuerhinterziehung gleich bestraft wie Totschlag und die Schweiz Ersteres mit Bußen und Strafsteuern, Letzteres mit Gefängnis belegt, ist das zu akzeptieren," befindet der Schweizer Bankenprofessor Martin Janssen lakonisch. Hier scheint etwas aus den Fugen geraten zu sein.

Auch wenn sie unrechtmäßig handeln. Ganz verdenken kann man den Leuten ihren Fluchtreflex nicht. Schließlich drohen viele Staaten in ihrer horrenden Verschuldung zu ertrinken. Jenen, die selbstgefällig nach Griechenland schauen, sagt Christian Hoffmann, Professor an der Universität St. Gallen, geradeheraus, dass das Modell Griechenland im Zeitraffer die Politik aller westlichen Staaten beschreibe. Angesichts dieser Situation werden die Regierungen nicht nur Steuern erhöhen, sondern auch immer wieder neue Steuern erfinden. Die Sache erschwert sich allerdings für sie aufgrund der erhöhten Mobilität von Unternehmen wie vermögenden Privatpersonen. Monsieur Depardieu lässt aus Moskau grüßen.

Wer­bung

War es früher einfach, sein Geld unentdeckt zu verschieben, machen sich in der heutigen, zunehmend transparenten Welt die Besitzer gleich zusammen mit ihrem Geld auf die Wanderschaft und emigrieren. Deshalb begnügen sich die Großschuldner längst nicht mehr damit, ihre Steuern überall einzutreiben. Das Stichwort heißt "Harmonisierung", Aufhebung des Steuerwettbewerbs. Dass dabei am Ende, wie der frühere deutsche Industriepräsident Hans-Olaf Henkel richtig bemerkt, nicht das niedrigere Steuerniveau von Irland, sondern eher das höhere von Frankreich für alle herauskommt, ist absehbar.

Politischer Opportunismus statt
wirtschaftlicher Realismus
Zurück zum Fall Hoeneß. Roland Tichy twitterte im Frühjahr: "Muss er auf den Scheiterhaufen oder reicht Steinbrücks Kavallerie?" Ein Wort zu Steinbrück und seiner Kavallerie: Wenn ich oben auf die Tragik des Falles Hoeneß verweise, so komme ich auch hier nicht umhin, eine - wenn auch anders geartete - Tragik festzustellen. Es schmerzte einen richtiggehend, wenn man im Wahlkampf mit ansehen musste, wie Peer Steinbrück im Korsett, in das ihn seine Partei gesteckt hatte, nahezu erstickte. Steinbrück und die SPD, das ist, als müsste Lionel Messi linker Verteidiger spielen.

Steinbrück meinte einst, dass er mit manchen überspitzten Formulierungen einen Flugzeugträger für wichtige Themen schaffe. Schön, dass es im Zeitalter der politischen Korrektheit noch echte Typen gibt, welche die Dinge beim Namen nennen. Allerdings haben wir von Steinbrück bislang mehr "Stein" als "Brück" gesehen. Einer, der große Steine nach den Kleinstaaten Schweiz und Liechtenstein wirft, anstatt Brücken zu bauen zu seinen deutschsprachigen Nachbarn. Weshalb, fragt sich der geneigte Beobachter, drohte er niemals den viel größeren Sündern USA oder Großbritannien mit der Kavallerie?

Die renommierte "International Herald Tribune" nannte Großbritannien einst "das größte Steuerparadies in Europa." Und der "Economist" legte nach, indem er von "Haven hypocrisy" (in etwa: "Steueroasen-Heuchelei") sprach und den Großen vorwarf, dass sie kleine Offshore-Finanzplätze unter Druck setzen, während der größere Missbrauch bei ihnen zu Hause stattfinde. Das ist sicher nicht das, was sich der neutrale Beobachter unter einem Level Playing Field, also gleichem Recht für alle, vorstellt. Die Professoren Blumers von der Hochschule Lahr und Elicker von der Universität des Saarlandes erinnerten diesbezüglich in einem Beitrag an das Völkerrecht, im Speziellen das souveräne Recht jedes Staates, seine Wirtschafts- und Sozialordnung und damit insbesondere auch sein Steuersystem selbst zu gestalten.

Derweil sorgen die USA mit dem FATCA-Gesetz dafür, dass US-Bürger rund um den Globus an Steuerhinterziehung gehindert werden sollen. Die Mehrzahl der Medien schwadroniert etwas von automatischem Informationsaustausch, was tatsächlich aber auf einseitige Informationslieferung hinausläuft. Um es sportlich zu formulieren: Die Amerikaner spielen mit anderen Staaten Fußball. Nur: Ihr Tor ist zwei Meter breit, und vom Gegner verlangen sie ein sieben Meter breites.

Die Amerikaner spielen nach ihren Regeln, und China und Russland werden in hundert Jahren keinen automatischen Informationsaustausch akzeptieren, wie ein Schweizer Politiker und Banker neulich feststellte. Wenn schon im OECD-Rahmen tatsächlich ein globaler automatischer Informationsaustausch umgesetzt werden soll, müsste sichergestellt sein, dass dieser ausnahmslos gilt. Andernfalls müssten - in einer Welt gleichen Rechts für alle - kleinere Staaten die Möglichkeit haben, wieder davon abzurücken, falls die Großen die von ihnen durchgesetzten Regeln selbst missachten. Man darf gespannt sein.

Privatwirtschaftlicher Erfolg hilft
immer auch dem Staat

Die auf lange Sicht bedrohlichste Auswirkung der Finanzkrise ist eine pauschale Diskreditierung der Marktwirtschaft und der Freiheit insgesamt. Am glaubwürdigsten dokumentieren das immer Menschen, welche die andere Seite kennen. Jene Seite, wo es keine freien Märkte und keine freie Gesellschaft gibt. Der 1943 im Osten Deutschlands geborene ehemalige Banker Oswald Grübel befand einst: "Mir wurde eingetrichtert, dass zu viel Umverteilung eine schlechte Sache ist, weil die Früchte der eigenen Arbeit den anderen, die nicht gearbeitet haben, zur Verfügung gestellt werden." Privatwirtschaftlicher Erfolg ist das Reservoir, aus dem der Staat schöpft, um seine Ziele zu erreichen.

Bestreben der Politik sollte es deshalb sein, die Privatwirtschaft möglichst ungehindert gedeihen zu lassen, anstatt ihr immer stärker die Luft abzuschnüren. Laut Artikel 3 der allgemeinen Menschenrechtserklärung hat jeder das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. Ist aber ein Mensch frei, der - wie in Deutschland - von Januar bis Juli für den Staat malocht und erst danach etwas ins eigene Sparschwein legen darf? Nein, er ist für mehr als die Hälfte des Jahres an eine elektronische Fußfessel gekettet, um Frondienst für den Staat zu leisten.

Über den Autor

Wilfried Hoop,
Politik- und Fußballexperte

Wilfried Hoop, Master of Arts in Internationaler Politik und Diplomatie, mit Schwerpunkt in Internationaler Politischer Ökonomie, Ausbildungen zum Kaufmann und zum Marketingplaner. Berufliche Stationen als Section Manager bei der europäischen Fußballunion UEFA, Marketingleiter beim Fußball-Club St. Gallen, Stabstellenleiter bei der Regierung des Fürstentums Liechtenstein sowie ein Jahrzehnt in der internationalen Industrie, unter anderem beim weltweit führenden Bauzulieferer Hilti und beim italienischen Erdölmulti Eni/Agip. (Kontakt: hoop.wilfried@adon.li)