Rente mit 63

Hans-Jürgen Urban: "Müssen ja nicht alle gehen"

28.06.14 08:00 Uhr

Das Vorstandsmitglied der IG Metall, Hans-Jürgen Urban, hat die Rente ab 63 sozusagen erfunden. Kritiker der Reform hält er für liberale Ideologen.

von Martin Reim, Euro am Sonntag

Die Rente ab 63 startet am 1. Juli. Dann können alle ab Jahrgang 1952, die mindestens 45 Jahre lang in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt haben, abschlagsfrei gehen. Hans-Jürgen Urban, im Vorstand der IG Metall für Sozialpolitik zuständig, hatte fast genau diese Regelung vor einigen Jahren vorgeschlagen. Die IG Metall ist die größte Einzelgewerkschaft der Welt.

Herr Urban, freuen Sie sich, dass Ihr Vorschlag fast unverändert zum Gesetz wurde?
Hans-Jürgen Urban: Wichtiger als die individuelle Freude ist, dass die Stimme der Gewerkschaften gehört und fachlich fundierte Vorschläge angenommen wurden. Die eigentliche Frage bestand darin: Ist nach zwei bis drei Jahrzehnten Sozialabbau auch mal wieder ein Sozialaufbau möglich? So gesehen, ist die Rente ab 63 das erfolgreiche Resultat eines Kulturkampfes.

Die Rente ab 63 stößt auf eine ungewöhnlich breite Front von Kritikern - von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung über die EU-Kommission bis hin zu etlichen Volkswirtschaftsprofessoren. Beeindruckt Sie das?
Mich besorgt viel mehr der Widerspruch zwischen den wirtschaftsliberalen Entscheidungseliten, die Sie genannt haben, und der Mehrheit der Bevölkerung. Wir haben mehr als 500 000 Menschen in Betrieben befragt, Mitglieder und Nichtmitglieder. Gut 80 Prozent haben der Rente ab 63 zugestimmt. Bei Jüngeren war die Zustimmung sogar noch höher.

Machen Sie es sich mit Ihrem Verweis auf Wirtschaftsliberale nicht zu leicht? Immerhin ist der unverdächtige Franz Ruland, langjähriger Geschäftsführer des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger, wegen der Rente ab 63 aus der SPD ausgetreten.
Zunächst einmal: Wir haben unter Rentenexperten auch Zustimmung bekommen. Grundsätzlich befinden wir uns angesichts der Alterung der Gesellschaft in einer bizarren Situation: Allen ist klar, dass ein höherer Anteil des gesellschaftlichen Reichtums für Altersversorgung ausgegeben werden muss. Dennoch werden die Finanzmittel durch überzogene Drosselung oder gar Kürzung der Beiträge beschnitten. Das Rentensystem steht unter Dauerstress, der Spielraum wird künstlich eingeschränkt. Dann ist man natürlich auch nicht in der Lage, einen leistungsgerechten Anstieg der Auszahlungen zu ermöglichen.

Nun wird lediglich eine relativ kleine Gruppe bevorzugt. Ist das gerecht?
Ungerecht ist, dass es im Zuge der früheren Rentenreformen immer stärkere Abschläge gab. Jetzt wird das ein Stück weit zurückgedreht, einige Jahrgänge werden nicht mehr bestraft. Am liebsten wäre es mir natürlich, wenn es für alle eine abschlagsfreie Rente mit 63 gäbe. Aber das war politisch nicht durchzusetzen.

Die Gesellschaft altert. Müssten da Leute nicht eher länger arbeiten anstatt kürzer?
Die angeblich Privilegierten müssen mindestens 45 Jahre in die Rentenversicherung einbezahlen. Das wird die jüngere Generation vermutlich immer seltener erreichen. Das liegt unter anderem an dem späteren Einstieg in ins Berufsleben und zunehmend unsteten Erwerbsverläufen. Außerdem müssen ja nicht alle gehen, die laut neuem Gesetz dürften. Die Arbeitgeber können die Arbeitsplätze so attraktiv halten, dass die Arbeitnehmer länger im Betrieb bleiben wollen. Immerhin gibt es mehr Entgeltpunkte in der Rentenversicherung, wenn sie länger arbeiten.