Die Klage der Patriarchen: Das wahre Problem
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Deutschlands Firmenchefs mangelt es an Nachwuchs. Immer wieder stimmen Verbände dieses Klagelied an; warnen, dass Zigtausende Arbeitsplätze verloren gehen, weil keine Nachfolger in Sicht seien.
von Thomas Welte, Gastautor von Euro am Sonntag
Hans Riegel war einer dieser legendären Firmenpatriarchen. 67 Jahre lang leitete er Haribo. "Ich bin fast täglich im Büro", verkündete er noch an seinem 90. Geburtstag im März 2013 stolz. Gedanken um seine Nachfolge hat er sich wohl erst gemacht, als 2009 sein jüngerer Bruder Paul starb, der in der Firma für die Produktion zuständig war. Daraufhin schob Riegel zwei Neffen in das Gummibärchen-Imperium und gab diesem eine Holding-Struktur. Im Juli 2013 wurde dann der erste familienfremde Geschäftsführer installiert.
Das ist gerade noch mal gut gegangen. Riegel starb wenige Monate später. Dass er die Leitung eines Konzerns mit 6.000 Mitarbeitern so lange in seinen Händen hielt, ist typisch für deutsche Unternehmer. Das Rückgrat unserer Wirtschaft sind Familienunternehmen wie Haribo. Sie sind es, die rund 30 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes erbringen, die neue Arbeitsplätze schaffen, die Innovationen entwickeln.
Dennoch unterliegen auch die Insassen von Chefetagen den Naturgesetzen und somit der demografischen Entwicklung. "Immer mehr mittelständische Betriebe in Deutschland finden keinen Nachfolger, wenn sich der Seniorchef zur Ruhe setzt", schlägt die Deutsche Industrie- und Handelskammer gern Alarm. Wegen der demografischen Entwicklung werde die Suche nach dem Nachfolger für "immer mehr Altinhaber zur sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen", formulierte deren Präsident Eric Schweitzer.
Eine Mischung aus Eitelkeit und Beharrlichkeit
Die IHK fasst das Problem regelmäßig in einem stets düsterer werdenden Zahlenwerk zusammen: Es gebe immer weniger Interessenten für immer mehr Unternehmen. 22.000 deutsche Unternehmen stehen im Schnitt jährlich zur Übergabe an, von der kleinen Bäckerei bis hin zum mittelständischen Konzern. Bereits 40 Prozent der Altinhaber fänden keinen Nachfolger. Heißt: Zigtausende Arbeitsplätze sind bedroht. Schon jetzt gehen Jahr für Jahr bundesweit angeblich 23.000 Jobs verloren, weil Unternehmen nicht weitergeführt werden.
O weh, unsere schönen Familienbetriebe gehen vor die Hunde, weil sie kein Nachfolger haben will. Schuld ist offenbar eine undankbare Erbengeneration. Die Firmenpatriarchen müssen arbeiten, sich zum Wohl ihrer Belegschaft, deren Familien und des ganzen Landes aufopfern, bis sie buchstäblich umfallen. So stellen das Vertreter des organisierten Unternehmertums gern dar. Was natürlich - wie immer - nur die halbe Wahrheit ist.
Ja, es gibt ein Problem. Die Frage der Nachfolge in einer Firma kommt in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wie Autaco nahezu täglich auf den Tisch, insbesondere natürlich bei Familiengesellschaften. Doch obwohl alle Firmenpatriarchen wissen, dass dieses Thema eines Tages unweigerlich anstehen wird, so richtig anfassen mag es kaum einer der Herren. Aus der Praxis gesprochen: Ich habe genau einen Klienten, der die Nachfolgefrage aktiv und zielgerichtet angeht. Alle anderen reagieren ausgesprochen zurückhaltend. Und noch eine Erkenntnis aus der Praxis: Gerade im mittelständischen Bereich gibt es etliche sehr seniore Chefs, die ihren mittlerweile durchaus auch senioren Kindern diese Aufgabe gar nicht zutrauen.
Naturgemäß ist in inhabergeführten Unternehmen eine Kultur der Erbfolge erwünscht, wie sie früher selbstverständlich war. Der Patriarch gibt den Laden eines Tages an die nächste Generation weiter, die ihr bisheriges Leben als Vorbereitung auf diese Aufgabe verstanden hat. Dieser Automatismus kann zum Ziel führen, er muss es aber nicht. Eine vordefinierte Rolle für die Kinder scheitert heute oft genug daran, dass die Erben kein großes Interesse an der Firma entwickeln. Dass sie ihre eigenen Lebensentwürfe haben und nicht aktiv die Leitung eines Betriebs übernehmen wollen, sondern sich lieber auf die Rolle des Kapitalgebers zurückziehen. Soll man ihnen vorwerfen, dass sie sich einem ererbten Korsett widersetzen?
Es geht also weniger um demografischen als um gesellschaftlichen Wandel. Die erste Voraussetzung für eine Unternehmensübergabe ist die Fähigkeit des Alteigentümers, loslassen zu können. Und genau da hakt es. Meist wegen einer Mischung aus Eitelkeit und Beharrlichkeit, dazu eines Mangels an Flexibilität und Vorstellungskraft, die viele Unternehmer und Unternehmerinnen beherrscht.
Ein prominenter Werber und Agenturgründer hat dieses Gefühl der eigenen Unersetzlichkeit sehr treffend formuliert: "80 ist das neue 60. Da habe ich also noch 20 Jahre Zeit." So denken viele Firmenlenker.
Besser machen bedeutet, früher anfangen. Nicht erst mit 70, sondern mit 50 an die Nachfolge denken. Auch der Gedanke, dass man zwischenzeitlich gegen eine Betonmauer fahren könnte, wird nicht zugelassen. Ein Unternehmen muss aber so aufgestellt sein, dass es trotzdem weitergeht. Solche Gedanken gehören zu den Pflichten eines Unternehmers, und sie werden sträflich vernachlässigt. Streng genommen muss sich jeder in dem Moment, in dem er ein Geschäft eröffnet, Gedanken um die Nachfolge machen. Dabei muss der Nachfolger keineswegs aus der eigenen Familie stammen.
Ursprung der Misere sind Chefs,
die nicht loslassen
Es existieren genügend Alternativen: externe Manager, ein Management-Buy-out, eine Stiftungslösung. Es gibt etliche Venture-Capital-Gesellschaften, die begierig sind, sich an Mittelständlern zu beteiligen. Externe Lösungen sind mitunter die besseren: Man muss nicht das gleiche Blut haben, um jemanden zu finden, dessen Herz für die gleichen Dinge schlägt. Das prominenteste Beispiel dafür ist der Krupp-Konzern. Alfried Krupp gab ihn in die Hände des Managers Berthold Beitz und einer Stiftung - in der Rückschau sicher nicht zum Nachteil des Unternehmens und seiner Mitarbeiter. Es gibt immer Menschen, die unternehmerisch tätig sein wollen und werden. Unsere Wirtschaft ist nach wie vor sehr kleinteilig organisiert. Das bedeutet im Umkehrschluss: Sie hat einen großen Konzentrationsbedarf. Der nicht zuletzt durch die Nachfolgefrage gelöst werden kann.
Die Nachfolgekrise ist eine selbst herbeigeredete Krise. Ursprung der Misere sind die klagenden Patriarchen, die nicht loslassen wollen. Und die wohl auch fürchten, ein Nachfolger könnte es womöglich besser machen als sie selbst.
Zur Person:
Thomas Welte,
Partner und Sprecher
der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Autaco
Der Autor begann nach dem Studium als Diplom-Finanzwirt beim Finanzministerium Baden-Württemberg in Stuttgart. Nach 1990 folgten verschiedene Stationen in Unternehmen wie KPMG oder der Taurus Holding. 2005 gründete Welte die Autaco GmbH in München und konzentriert hier seine Tätigkeiten auf Beratung und Begleitung von großen und mittelständischen Firmen, insbesondere in steuerrechtlichen Fragen, bei Unternehmenskäufen, -reorganisationen, -sanierungen und -insolvenzen. Ein weiterer Fokus liegt auf der Entwicklung von innovativen Investitions- und Finanzierungsmodellen im Bereich der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand.
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