Konjunkturabsturz verhindern: Wachstumspakt jetzt!
Deutschland lebte die letzten Jahre von der Substanz. Jetzt ist die Zeit für ein sinnvolles staatliches Investitionspaket, um wichtige Impulse für Wachstum und Zukunft zu setzen.
von Oliver Postler, Gastautor von Euro am Sonntag
So günstig kam noch keine deutsche Bundesregierung an Geld: Für eine Laufzeit von zehn Jahren zahlt die Bundesregierung rekordniedrige Zinsen. Zu solchen Konditionen würde sogar die für ihre Sparsamkeit berühmte schwäbische Hausfrau darüber nachdenken, einen Kredit aufzunehmen, wenn sie eine höhere Verzinsung auf ihr Investment erwarten darf. Doch in dem Bestreben, Deutschland in der Eurokrise als Hort der Stabilität zu etablieren, steht für den Bund derzeit der Abbau und nicht die Aufnahme neuer Schulden im Vordergrund - was verständlich ist angesichts der hohen Verschuldung vieler anderer Staaten. Eine Strategie, die funktionierte, solange die Konjunktur brummte. Doch jetzt zeichnet sich immer deutlicher ab, dass sich angesichts der geopolitischen Spannungen und der schwachen Konjunktur in vielen Schwellenländern auch für die deutsche Wirtschaft die Aussichten eintrüben.
Um Euroland vor einer tiefen und möglicherweise dauerhaften Wachstumsschwäche zu schützen, muss gehandelt werden. Die Bundesregierung sollte die historischen Konditionen am Anleihemarkt nutzen, um sich Geld für ein intelligentes Investitionsprogramm zu beschaffen - was aber möglicherweise auch Einsparungen an anderer Stelle bedeuten würde. Mit Blick auf die Entwicklung der staatlichen Investitionen ist Nachholbedarf offensichtlich.
Staatsausgaben als Ursache
von Wirtschaftskrisen?
Sieben Jahre sind vergangen, seit die Bundesregierung die deutsche Wirtschaft durch einen beherzten Eingriff vor großem Schaden bewahrte. Die historische Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 war ein Schock, der global zu massiven Nachfrageeinbrüchen führte. Auch damals verfolgte die Bundesregierung primär das Ziel, den Staatshaushalt zu konsolidieren. Als binnen weniger Wochen die Wirtschaft jedoch in die Rezession rutschte, entschloss sie sich, die Nachfrage durch eine Reihe staatlicher Vergünstigungen anzukurbeln - zum Beispiel mit der Abwrackprämie, die einen Anreiz zur Anschaffung, neuer, emissionsärmerer Autos setzen sollte.
Im Zusammenspiel mit unternehmensfreundlichen deutschen Regelungen zur Kurzarbeit gelang es so, die Auswirkungen des Lehman-Schocks deutlich abzufedern. Deutschland erholte sich schneller als viele andere Volkswirtschaften von dem einschneidenden Ereignis. Vorangegangen war der Entscheidung für das sogenannte Konjunkturpaket jedoch ein erbitterter politischer Streit über alle Fraktionen.
Das verwundert nicht, denn seit jeher scheiden sich an staatlichen Konjunkturprogrammen die Geister. Anhänger des britischen Ökonomen John Maynard Keynes halten das staatliche Haushaltsdefizit für ein probates Mittel, um einen drohenden Wirtschaftseinbruch zu verhindern. Damit stehen sie im klaren Gegensatz zu den Klassikern der Wirtschaftswissenschaften, die staatliche Eingriffe in die Wirtschaft kategorisch ablehnen. Diese sehen überbordende Staatsausgaben als Ursache für Wirtschaftskrisen und empfehlen zu deren Bekämpfung folgerichtig besondere Sparsamkeit.
Ein gängiges Argument der Kritiker lautet, dass staatliche Investitionsprogramme den kurzfristigen Aufschwung zulasten künftiger Generationen förderten. Das ist so nicht richtig, und zwar in doppelter Hinsicht. Erstens gibt es keinen Grund anzunehmen, dass staatliche Investitionen bloß kurzfristige Auswirkungen haben sollten. Es kommt darauf an, was man mit dem Geld macht.
Sinnvolle Ausgaben für Bildung, Energiesicherheit zu bezahlbaren Kosten, Infrastrukturprojekte oder auch für die Kinderbetreuung haben nicht nur das Potenzial, die lahmende Konjunktur wieder anzukurbeln, sondern können mittelfristig auch das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft heben. Sie sind auch dringend erforderlich, um die Herausforderung von Globalisierung und einer alternden Gesellschaft zu bewältigen. Richtig angelegt, also sinnvolle Investitionen und nicht staatlicher Konsum, sind neue Staatsschulden deshalb keine Belastung, sondern eine Zukunftssicherung. Ein neues Investitionsprogramm sollte aber auch sorgfältig geplant werden. Die besten Experten aller Disziplinen sollten sich an einen Tisch setzen und die attraktivsten Optionen zur Stärkung der deutschen Wirtschaft entwickeln.
Der zweite Grund, warum der Vorwurf der vermeintlichen Belastung unserer Kinder und Kindeskinder durch staatliche Investitionsprogramme ins Leere läuft, ist im aktuellen Weltkonjunkturausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF) nachzulesen. Dort rechnen die Experten vor, dass Infrastrukturinvestitionen mittelfristig die Staatsschulden nicht etwa erhöhen, sondern sogar reduzieren. Wie ist das möglich?
Wirtschaftswissenschaftler wissen, dass eine funktionierende Infrastruktur ein wesentlicher Entwicklungsfaktor ist. In vielen Schwellenländern wie Brasilien, Indien, Russland oder auch Südafrika ist immer wieder zu beobachten, dass eine unzureichende materielle und soziale Infrastruktur sich unmittelbar als Wachstumsbremse erweist. Nicht nur in diesen Ländern führt eine verbesserte Infrastruktur dazu, dass Unternehmen ihre Waren günstiger produzieren und besser vertreiben können. Das regt die private Investitionstätigkeit an und Arbeitsplätze entstehen, die privaten Konsum ermöglichen. Kurz gesagt führen Infrastrukturinvestitionen dazu, dass die Wirtschaftsleistung auch mittelfristig steigt. Davon profitiert auch der Staat - durch Zölle, durch Steuereinnahmen oder eben durch gesparte Ausgaben für Arbeitslose.
Ausgaben für Infrastruktur als
lohnende Zukunftsinvestition
Nach den Berechnungen des IWF führt jeder Dollar, der in die Infrastrukturentwicklung investiert wird, zu einer Steigerung der Wirtschaftsleistung um beinahe drei Dollar. Die Regierungen können also davon ausgehen, die Ausgaben durch ein höheres Steueraufkommen wieder hereinzuholen, zumal das niedrige Zinsniveau, bereinigt um die Inflation, die Kosten der Kreditaufnahme deutlich unter einem Prozent hält.
An Investitionschancen in Deutschland mangelt es nicht. Es gilt nicht nur, das Jahrhundertprojekt Energiewende umzusetzen, sondern es fehlt auch an neuen, besseren Straßen, Brücken und Schienenstrecken. Noch immer hemmen fehlende Kinderbetreuungsplätze die Integration in den Arbeitsmarkt und die Karrierechancen qualifizierter Frauen. Und beim Glasfasernetz droht die Bundesrepublik den europäischen Anschluss zu verlieren: Selbst in Metropolen fehlt den Privathaushalten teilweise der Zugang. Alle diese Investitionen werden dazu beitragen, dass Unternehmen wieder mehr investieren und neue Arbeitsplätze schaffen. Ein Investitionsprogramm, das Deutschland und seine europäischen Partner wieder auf den Wachstumspfad führt, ist daher eine lohnende Investition.
Kurzvita
Oliver Postler,
Chief Investment Officer der
Unicredit Bank und
HypoVereinsbank Private Banking
Postler ist seit 2007 verantwortlich für die Anlagestrategie, Investmentkommunikation und Vermögensverwaltung der HypoVereinsbank. Der zertifizierte
Financial Planer (EBS) und Stiftungsberater der Uni Jena verantwortet ferner die Anlagestrategie für den Pensionsfonds der Bank.
HypoVereinsbank Private Banking ist auf die Beratung vermögender Kunden spezialisiert und zählt mit rund 46.000 Kunden und einem Volumen von etwa 35 Milliarden Euro zu den Top-3-Anbietern im Private Banking. Mit 46 Standorten von Sylt bis Garmisch-Partenkirchen verfügt die Bank über eines der dichtesten Betreuungsnetze für Private-Banking-Kunden in Deutschland.
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Bildquellen: Unicredit S.p.A.