Larry Gagosian

Der reichste Kunsthändler der Welt: Seine fragwürdigen Tricks

02.12.13 03:00 Uhr

Wenn am 5. Dezember die spektakulärste Kunstmesse der Welt, die Art Basel Miami Beach, eröffnet, ist er wieder der Größte. Doch das Image des weltweit wichtigsten Kunsthändlers Larry Gagosian bekam zuletzt Kratzer.

von Michael Hannwacker, Euro am Sonntag

Westwood Village, Los Angeles, 1975. Larry Gagosian verkauft in einem Hinterhof Poster mit Kitschmotiven. Es sieht aus wie der weitere Schritt eines Losers. Der Sohn eines Buchhalters armenischer Herkunft und einer unbekannt gebliebenen Schauspielerin hat sechs Jahre für seinen College-Abschluss in Englischer Literatur gebraucht, seine Zeit mit Nebenjobs verplempert und gerade seine Stelle als Assistent eines Schauspieleragenten (und späteren Disney-Präsidenten) verloren. Und das mit 30.

Aber jetzt lernt Gagosian offenbar seine entscheidende Lektion. Die schrecklichen Plakate, für die er selbst einen Dollar pro Stück bezahlt, bringt er, mit einem Rahmen versehen, für zehn bis 15 Dollar los. Und möglicherweise dämmert ihm: Entscheidend für den Erfolg seines Ex-Arbeitgebers ist dessen unschätzbares, gepflegtes Netzwerk.

Die Verbindung dieser beiden Erkenntnisse — und seine geniale Begabung, sie gewinnbringend einzusetzen — haben Gagosian zum wahrscheinlich erfolgreichsten Kunsthändler unserer Zeit gemacht. Denn der von Auszeiten in den Hamptons und auf Saint-Barth dauergebräunte Ferrari-Fahrer turtelt mit Roman Abramovitschs Gefährtin Dana Schukowa, tuschelt mit Immobilienmogul Aby Rosen und plaudert mit dem milliardenschweren Kunst­mäzen Eli Broad — allesamt natürlich seine Kunden. Gewichtiger, glamouröser — und geldiger — geht es nicht auf dem internationalen Kunstmarkt.

Kunst oder Immobilien?
Dabei hat er sich, so gestand Gagosian kürzlich in einem Interview, bis Mitte der 70er-Jahre um Kunst nie geschert. Im Elternhaus mochten zwei ausgeliehene Seestücke gehangen haben, und vielleicht habe er das städtische Kunstmuseum ein-, zweimal von innen gesehen. Doch echtes Interesse? Keine Spur. „Ich hatte wirklich keine Ahnung, dass Kunsthandel ein Beruf sein könnte.“
Nun aber stellt Gagosian fest, dass er etwas besser gerahmte Poster sogar für bis zu 250 Dollar losschlagen kann — und begreift das Potenzial des Geschäfts. Ein Jahr später, 1976, sieht er Akte eines Schwarz-Weiß­Fotografen in einem Kunstmagazin, überredet ihn zu einer gemeinsamen Ausstellung und eröffnet damit seine erste Galerie in Los Angeles.

Anfang der 80er-Jahre vertritt er in Kalifornien bereits etablierte ­Museumskünstler wie Richard Serra oder Eric Fischl und erzählt dem Kunstkritiker vom „New Yorker“: „Würde ich nicht in diesem ­Geschäft arbeiten, wäre ich wohl ­Immo­bilienhändler.“ Tatsächlich sichert er sich schon 1985, zu einer Zeit, da sich dort vor allem Prostituierte und Fixer herumtreiben, Ausstellungsräume in Chelsea — Manhattans damals wildem Westen — und zeigt dort eine spektakuläre Show mit Frühwerken der Pop Art.

Nachdem er 1989 auf der Madison Avenue seine zweite Galerie eröffnet hat, ist Gagosian nicht mehr zu bremsen. Zu seinen Künstlern zählen Heroen der Moderne wie Andy Warhol oder Cy Twombly, zu seinen Kunden Leute wie Condé-Nast-Chef Si Newhouse, Entertainment-Mogul David Geffen oder Werbeguru Charles ­Saatchi. Heute stellt der große Gagosian auf 14 200 Quadratmeter Ausstellungsfläche weltweit aus.

Dabei sind seine zwölf Galerien nur Anlaufstellen. Immer wieder ­lotet er die Chancen aufstrebender Kunstmärkte mit Pop-up-Galerien in Moskau, Rio de Janeiro oder Abu Dhabi aus, stets bestückt mit hochkarätigen Werken seiner Bluechip-Künstler. Und natürlich zeigt er Präsenz auf den wichtigsten Messen der Welt, von der TEFAF in Maastricht bis zur Art Basel Miami Beach.

Trophy Art aus der Trickkiste
Heute vertritt er so viele Künstler, dass er einigermaßen glaubhaft damit kokettieren kann, deren genaue Anzahl nicht zu kennen. Für die Betroffenen, so ein Kunstberater, gleiche die Aufnahme in Gagosians „Stall“ der Zugehörigkeit zum Top-Baseballteam New York Yankees: Er hat das meiste Geld und die besten Spieler.
Gagosians Website listet derzeit nahezu 120 Nachkriegskünstler auf, ­darunter mit Andy Warhol, Pablo ­Picasso, Bruce Nauman, Joseph Beuys und Gerhard Richter die Top 5 des Rankingportals Artfacts. Genau das ist das Geschäftsfeld des größten Galeristen aller Zeiten: ­Trophy Art, also Werke, mit denen sich ihre Besitzer, darunter jede Menge geltungssüchtige Boni-Banker, gern schmücken.

Gagosian wählt ungewöhnliche —manche sagen, nicht ganz koschere — Strategien, um Künstler, die diesen Status noch nicht ganz erreicht haben, allerdings schon bei ihm ­unter Vertrag sind, aufzuwerten und profitabler zu machen. Nicht nur einmal hat er auf Auktionen Lose ­seiner ­Maler und Bildhauer zu Rekordsummen hochgesteigert, mit dem durchaus erwünschten Nebeneffekt, damit auch die Preise für Werke aus seiner Galerie in die Höhe zu treiben.

Dasselbe Resultat erbringt seine Taktik, prominente, reiche Sammler um hochkarätige Kunstwerke konkurrieren zu lassen. Subtiler: Immer wieder zeigt er in seinen Räumen von Kuratoren zusammengestellte sogenannte historische Schauen, in denen sich Werke seiner Schützlinge im Glanz unverkäuflicher Stücke von Großmeistern sonnen dürfen.

Und natürlich nutzt er seine diversen Standorte, um Ausstellungen seiner Künstler wandern zu lassen — und um damit, salopp gesagt, bei Sammlern in aller Welt hausieren zu gehen. Durchaus auch als Einkäufer. Als er etwa Ende 2007 — immerhin auf einem der Höhepunkte der Finanzkrise — seine Dependance in der Via Crispi in Rom eröffnet, spekuliert er nicht nur auf liquide „cognoscenti“ (Experten) unter den modernen Medicis. Er will auch den vielen Meisterwerken der klassischen Moderne näher kommen, die sich (noch) in ita­lienischem Privatbesitz befinden.

Denn Gagosians Geschäft beschränkt sich längst nicht mehr auf seine Galerien. Der alterslos wirken- de Armenier, der seinen Körper im Pool seines Stadthauses in Man­hattans Upper East Side stählt und — ­Paparazzi-Fotos nach zu urteilen — die Gesellschaft hochgewachsener schwarzer Frauen bevorzugt, ist auch ein Gigant im Zweithandel.

Gagosian wird ein unglaubliches Talent nachgesagt, Sammlern begehrenswerte Bilder buchstäblich von der Wand herunterzuhandeln, sie einem glücklichen Klienten anzudienen — und gigantische Beträge für seine Vermittlung zu kassieren. Und nicht selten repräsentiert er, für die Beteiligten kaum erkennbar, sowohl den Käufer als auch den Verkäufer eines Werks.

Schatten im Reich
Gerade solche heimlichen Deals aber brachten Gagosian zuletzt in Schwierigkeiten. Multimilliardär Ron Perelman etwa, jahrelang Geschäftspartner und treuer Kunde, zog kürzlich gegen den Galeristen mit dem Vorwurf vor den Kadi, dass Gagosian den Wert ihm angebotener Kunstwerke künstlich aufgeblasen und ihn somit übervorteilt habe.

Der Streit hat bislang zwar keinen Rechtstitel gegen Gagosian erbracht, dürfte ihm dennoch geschadet haben. Denn der dabei veröffentlichte E-Mail-Verkehr breitete vor der staunenden Kunstwelt die geheimen Geschäftspraktiken des Galeristen aus. Besonders peinlich: ein Vertrag, der dem Plutokraten-Darling Jeff Koons ­einen hohen Anteil an der Wertsteigerung einer seiner Skulpturen garantierte, wenn sie der Galerist von Perelman zurück- und auf dem Zweitmarkt — teurer — weiterverkaufen würde. Überdies hat Gagosian zwischenzeitlich ein paar seiner besten — und, noch ärger: produktivsten — Pferde im Stall verloren. Der Tod von Cy Twombly voriges Jahr, Autorität auf dem Gebiet der zeichnerischen Ab­straktion und Wegbegleiter seit mehreren Jahrzehnten, mag ihn persönlich getroffen haben. An der Eitelkeit des Art-Alphatiers aber dürfte vor allem kratzen, dass ihm ein Multi­seller wie Damien Hirst die Zusammenarbeit aufgekündigt hat oder dass Jeff Koons zwischendurch mal frech bei der Konkurrenz ausstellte.

Auf der letztjährigen Art Miami Basel glaubten einige Insider beobachtet zu haben, dass „King Kunst“ verdächtig müde ausgesehen habe. Vielleicht wirkte er aber einfach nur ein bisschen blass gegenüber dem glänzenden Tafelsilber, das er über seine umschwärmte Koje verteilt hatte: Zu den begehrten Objekten seines Depots gehörten nur aus Oligarchen-Portemonnaies zu bezahlende Werke von Gerhard Richter, Roy Lichtenstein und Jean-Michel Basquiat. Darunter wird Gagosian es auch diesmal nicht machen.

Der globale Galerist
Drei Niederlassungen in New York, zwei in Paris und London und je eine in Los Angeles, Rom, Genf, Athen und Hongkong: Larry Gagosian (Spitzname „Go-Go“) kann seinen Künstlern weltweit mehr Ausstellungsfläche bieten als etwa die Münchner Pinakothek der Moderne oder die Tate Modern in London. Geboren in Los ­Angeles am 19. April 1945 als ältester Sohn armenischer Im­migranten, kam er erst mit Anfang 30 zum Kunsthandel. Heute beherrscht ihn die „Verkaufsmaschine“ („Financial Times“). In jüngster Zeit hat der unverheiratete, kinderlose Galerist öfter seine Privatsammlung ins Spiel gebracht. Ein Gagosian Museum of Contemporary Art könnte Mitbewerber vor Neid blass werden lassen.

Das Showbusiness
Vor elf Jahren in Miami Beach aus der Taufe gehoben, ist die zunächst reichlich überdrehte Tochter der seriösen Art Basel inzwischen erwachsen geworden – und enorm anspruchsvoll. Die 258 in diesem Jahr geladenen Galerien aus 31 Ländern dürfen sich zu den führenden der Welt zählen. Und präsentieren dementsprechend in ihren Kojen im Miami Beach Convention Center nur Ware, die für Museen interessant ist. Allerdings zu Preisen, die sich die wenigsten Museen werden ­leisten können. Das ruft die ­liquiden Sammler auf den Plan. Und ihre schillernde Entourage. Weshalb die Art Basel Miami Beach, dieses Jahr vom 5. bis ­8. Dezember, auch ein großes Schaulaufen ist.