ZEW-Präsident Fuest: "Die Krisenpolitik der EZB ist ein gefährliches Experiment"
Ökonomieprofessor Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), über Anleihekäufe, Konjunktur und Inflationsrisiken.
von Mario Müller-Dofel, Euro am Sonntag
€uro: Herr Fuest, wie wird sich die Konjunktur in Deutschland 2014 entwickeln?
Clemens Fuest: Der ZEW-Index, der die Einschätzungen von Finanzmarktexperten widerspiegelt, zeigt einen zunehmenden Optimismus. Wir haben eine gute Arbeitsmarktentwicklung, was die Binnennachfrage stärkt, und niedrige Zinsen. Gut möglich, dass die deutsche Wirtschaft 2014 um ein bis zwei Prozent wächst. Aber die Risiken sind groß, weil wir stark am Export hängen.
Viele deutsche Unternehmen sind hoch liquide und nur 20 Prozent der Firmen monieren einen restriktiven Zugang zu Bankkrediten. Warum investieren sie dennoch nur sehr zurückhaltend?
Weil es noch weitere Risiken gibt, etwa die Steuererhöhungsdebatte und die Eurokrise. Da behält man lieber ein paar Euro mehr als Reserve.
Im Bundestagswahlkampf war die Eurokrise kaum ein Thema.
CDU und SPD unterscheiden sich in der Europolitik kaum. Zudem hat die Europäische Zentralbank mit ihrem Staatsanleihen-Kaufprogramm die Finanzmärkte beruhigt. Das hat den Charakter der Krise verändert.
Wie meinen Sie das?
Aus einer kapitalmarktgetriebenen Krise ist eine politische und soziale Krise geworden. Die EZB hat die Finanzmarktakteure beruhigt, weil die am lautesten geschrien haben, und ihnen die Haftung der Steuerzahler angeboten. Die Anleger sind jetzt zufrieden, aber die Steuerzahler fürchten sich.
Anleger sind meist auch Steuerzahler!
Trotzdem gibt es wichtige Unterschiede: Ein Euro krisenbedingter Verlust auf dem Sparkonto bleibt ein Euro Verlust eines Gläubigers. Wenn die Politik aber den Gläubiger schont und das Geld über Steuern eintreibt, verursacht sie Ausweichreaktionen, so dass pro eingenommenen Steuer-Euro noch einmal 40 bis 50 Cent an Mehrkosten entstehen. Außerdem wäre es ungerecht, wenn die Steuerzahler bluten müssten, um Investoren Verluste zu ersparen.
So weit kommt‘s nicht, sagt die Politik.
Das weiß niemand, weil unsicher ist, ob Länder wie Portugal, Spanien und Italien ihre Schulden dauerhaft bedienen können.
Die herrschende Politik in Europa behauptet, dass das klappen wird.
Die Politik in Europa hat auch lange behauptet, Griechenland sei solvent.
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy meint trotzdem, die existenzielle Bedrohung des Euro sei beendet.
Ich verstehe, dass er das sagt, weil ein Politiker optimistisch sein muss. Aber leider sind wir noch nicht so weit.
Psychologen meinen wiederum, zu viel Optimismus hemmt den Veränderungswillen.
Da ist etwas dran. Es heißt ja auch, ein Pessimist ist ein Optimist, der nachgedacht hat. Mir gefällt auch, was Angela Merkel sagt: Es sind große weitere Anstrengungen nötig, weil die Krise eben noch nicht vorbei ist.
Sie sagten kürzlich, tragfähige Entscheidungen zum Euroraum setzten eine zivilgesellschaftliche Debatte voraus, aus der hervorgehen müsse, ob am Ende der Eurorettung eine verstärkte Gemeinsamkeit in der EU oder eine behutsame Rückkehr zum Nationalstaat stehen soll. Welchen Weg favorisieren Sie?
Den der weiteren europäischen Integration. Denn wir leben in Frieden und Wohlstand, weil es die Integration Europas gibt. Aber wie gestalten wir den weiteren Integrationsprozess? Darauf müssen wir die richtigen Antworten finden. Sonst drohen große Konflikte.
In diese Richtung stößt auch die „Alternative für Deutschland“. Von einflussreichen Politikern und Medien wird diese Partei aber als rechtsorientiert kritisiert. Wie ordnen Sie die AfD ein?
Es mag einzelne AfD-Mitglieder geben, die Positionen am rechten Rand vertreten. Aber die Partei pauschal in die rechte Ecke zu stellen, halte ich nicht für angemessen. Von Bundessprecher Bernd Lucke ist mir kein derartiges Gedankengut bekannt. Den Wirtschaftswissenschaftler Joachim Starbatty zum Beispiel kenne ich als eher pro-europäischen Liberalen.
Welche Rolle spielt die AfD in der Eurokrisendebatte?
Sie weist zu Recht auf Probleme der Währungsunion hin, die von den etablierten Parteien nicht offen genug debattiert werden. Wir müssen aber offen diskutieren, was die Folgen verschiedener Lösungsstrategien sind. Was könnte passieren, wenn wir die Eurozone spalten oder einzelne Länder wie Deutschland austreten würden? Es gibt zu viel Schwarz-Weiß-Denken, das die Debatte auf die Frage reduziert: Bist du für oder gegen Europa? Das wird der Komplexität des Problems nicht gerecht. Aber um Missverständnisse zu vermeiden: Auch wenn die AfD wichtige Beiträge in die Debatte eingebracht hat: Ihre Lösungsvorschläge – vor allem die Auflösung des Euroraums – lehne ich ab.
Zurzeit wird wieder ein Schuldenschnitt bei griechischen Staatschulden diskutiert. Wäre der ein Problem?
Für die Finanzstabilität wäre ein Schuldenschnitt nicht so schlimm, weil es kaum noch private Gläubiger gibt. Unangenehm wäre er dennoch, weil die EZB und Staaten, die Geld an Griechenland verliehen haben, dann einiges davon abschreiben müssten.
Was wird die Politik also tun?
Wahrscheinlich eine optisch schönere Variante wählen, also einen klassischen Schuldenschnitt vermeiden und stattdessen die Laufzeiten von Anleihen verlängern und auf Zinsen verzichten. Das wäre ökonomisch das Gleiche wie ein Schuldenschnitt, hätte aber den buchhalterischen Vorteil, dass man in den Bilanzen kein Geld abschreiben muss.
Das nennt man kreative Buchführung.
Das Risiko bei dieser Vorgehensweise ist, dass der riesige Schuldenberg Griechenlands bei 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bestehen bleibt und eine wirtschaftliche Erholung erschwert. Wer will schon in einem hoch verschuldeten Land investieren, in dem völlig unklar ist, wie die Schulden abgetragen werden?
Zu den Krisenländern Griechenland, Spanien, Portugal und Italien könnte sich bald Frankreich gesellen, sagen viele Experten. Glauben Sie das auch?
Die Lage in Frankreich wird in Deutschland derzeit meines Erachtens zu negativ gesehen. Das Land leidet nicht – wie zum Beispiel Spanien – an den Folgen einer geplatzten Immobilienblase. Auch die Auslandsverschuldung ist niedriger. Zudem ist das politische System in Frankreich wesentlich stabiler als etwa das in Italien, auch wenn die französische Regierung zurzeit fast alles falsch macht, was man falsch machen kann.
Zum Beispiel?
In der aktuellen Lage des Landes, mit schwachem Wachstum und bereits hohen Steuern, die Steuern noch einmal zu erhöhen, ist ein Fehler. Damit treibt die Regierung Unternehmer und Wohlhabende aus dem Land – einige Reiche wie Gerard Depardieu sogar bis nach Russland.
Als größte Herausforderung in der Eurozone sehen Sie die Bankenunion. Warum?
Ohne Bankenunion wird die Eurozone meiner Ansicht nach nicht dauerhaft bestehen können. Ein wichtiges Element ist ein gemeinsamer Fonds zur Bankenrestrukturierung, also eine Art Versicherung, die Krisenbanken auffängt. Nur kann man einer Versicherung nicht beitreten, wenn der Schaden schon passiert ist. Viele Banken in Europa haben faule Kredite in ihren Büchern. Die daraus resultierenden Verluste müssen offengelegt werden und die Banken müssen neues Kapital erhalten, sonst kann die Bankenunion nicht kommen.
Wo liegt dabei das Problem?
Es muss geklärt werden, wer die Verluste und die Kosten der Rekapitalisierung trägt. Die EZB will den Umfang der faulen Kredite erst offen legen, wenn die nationalen Regierungen geklärt haben, wer für die Verluste haftet. Doch derartige Entscheidungen schiebt die Politik gerne auf die lange Bank.
Warum lässt die Politik nicht einfach die Gläubiger haften, wie es sich in einer ordentlichen Marktwirtschaft gehört?
Das wäre der richtige Weg, aber die Konsequenzen wären unangenehm. Aktionäre verlören ihr Vermögen, Inhaber nachrangiger Anleihen würden Verluste erleiden, all das würde zu Unruhe auf den Finanzmärkten führen. Es ist zu befürchten, dass die Politik dem aus dem Weg geht, das Projekt Bankenunion vertagt und sich lieber darauf verlässt, dass die EZB die Banken möglichst lange mit billigem Geld versorgt.
Die US-Notenbank fährt seit Jahren die weltweit aggressivste Billiggeld-Strategie. Sie warnen deshalb vor Blasen an den Finanzmärkten. Sehen Sie schon welche?
Ja, zum Beispiel auf einigen Immobilienmärkten in den USA wie etwa in New York. Auch die Aktien- und Anleihemärkte sind von der Notenbank getrieben.
Sie deutet immer wieder an, dass sie ihre Anleihenaufkäufe zur Konjunkturbelebung bald reduzieren wird.
Dann wird es große Erschütterungen geben.
Oder macht die US-Notenbank mit diesen Ankündigungen nur PR, um ihren Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Irgendwann muss sie ihr Geld wieder teurer machen – spätestens wenn die Inflationserwartungen steigen. Das passiert wahrscheinlich dann, wenn in den USA der wirtschaftliche Aufschwung kommt.
Wohin steuert die US-Notenbank mit Janet Yellen, die nächstes Jahr Noch-Chef Ben Bernanke im Amt beerben soll?
Die Tatsache, dass Yellen eher als Verfechterin einer lockeren Geldpolitik gilt, sollte nicht zu dem Fehlschluss führen, dass die expansive Geldpolitik endlos weitergeht. Schon deshalb, weil alle Welt von Yellen eine lockere Geldpolitik erwartet, ist sie gezwungen zu zeigen, dass sie auch ‚anders kann‘.
Die Notenbanken sagen, es sei kein Problem, die Geldflut bei Bedarf wieder einzudämmen. Stimmt das?
Nehmen wir die EZB: Sie versorgt die Banken zwar mit viel Geld zu Minizinsen, aber einen Großteil davon parken die Banken wieder im EZB-System, zum Beispiel bei der Bundesbank, statt es an Unternehmen und Haushalte zu verleihen. Deshalb gibt es derzeit auch keine erhöhte Inflation. Die Frage ist, wie schnell die EZB das Geld wieder einsammeln kann, wenn es beginnt, in andere Verwendungen zu fließen.
Ist die Inflationsangst in Deutschland also zu Recht abgeklungen?
Kurzfristig kann man das so sehen. Aber stellen wir uns vor, die EZB würde immer mehr italienische Staatsanleihen kaufen, weil das Land sonst pleite ginge. Dann wäre irgendwann das Vertrauen in den Euro kaputt und wir bekämen Inflation. Die EZB hat signalisiert, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, aber sie kann die Emission von Staatsanleihen nicht kontrollieren, weil darüber die Nationalstaaten entscheiden.
Die EZB kauft allerdings nur Anleihen von Ländern, die sich einem Stabilitätsprogramm unterwerfen.
Aber hält sie sich an das Versprechen, wenn ein Ende der Aufkäufe einen Staatsbankrott nach sich ziehen würde? Und bringen die Stabilitätsprogramme tatsächlich die erhofften Ergebnisse? Ein großer Nachteil des Anleihenkaufprogramms der EZB ist, dass sie damit den Reformdruck für die EU-Krisenländer reduziert hat. Die aktuelle Krisenpolitik ist ein historisch einmaliges und durchaus gefährliches Experiment. Allerdings soll man nicht so tun, als gäbe es risikolose Auswege aus der Krise. Mich stört vor allem, dass es an demokratischer Legitimierung für das derzeitige Krisenmanagement fehlt.
Sie sind einer von wenigen deutschen Ökonomen, die sich neben der Forschung auch der Politikberatung widmen. Sind Sie manchmal frustriert, wenn die Politik ganz anders entscheidet, als Sie es tun würden?
Manchmal schon, aber das vergeht. Ich bin nicht der Meinung, im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit zu sein. Wichtig ist, dass wir keine Expertokratie sind, sondern eine Demokratie, in der die gewählten Abgeordneten die Entscheidungen treffen. Deshalb kritisiere ich ja das Anleihenkaufprogramm der EZB: Da werden Entscheidungen von extremer Tragweite von einer Institution gefällt, die dazu nicht das Mandat hat und weder wähl- noch abwählbar ist.
Was ist daran so schlimm, wenn‘s hilft?
Es ist eben unklar, ob das Programm dauerhaft hilft, wem es hilft und wem es schadet. Die Risiken sind groß. Demokratisch gewählte Parlamente haben das Mandat, für die Bürger zu entscheiden, solche Risiken einzugehen, um andere Gefahren abzuwenden. Der EZB ist nur das Mandat anvertraut, unabhängig Geldpolitik zu betreiben. Diese Unabhängigkeit bedeutet meines Erachtens, dass die EZB ihr Mandat eng auslegen muss. Beim Anleihenkaufprogramm geht es jedoch primär darum, den Krisenstaaten in Europa den Zugang zum Geld privater Investoren zu erhalten. Für mich ist das nicht die Aufgabe der Geldpolitik.
Kurzvita
Der Steuerprofessor
Clemens Fuest, geboren am 23. August 1968 in Münster, gehört zu den angesehensten deutschen Ökonomen. Er studierte Volkswirtschaft in Bochum und Mannheim, promovierte 1994 zum Thema „Eine Fiskalverfassung für die Europäische Union“ und habilitierte 2001 zum Zusammenhang von Steuerpolitik und Arbeitslosigkeit. Seit 2003 gehört er auch dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium an. Seit März 2013 ist er Chef des ZEW in Mannheim.