Kontenschnüffler im Großeinsatz: Was sie über uns wissen
Über 120.000-mal überprüften im ersten Halbjahr Finanzämter und andere Behörden die Konten deutscher Bürger. So viel wie nie seit 2005. Steht bald jeder Kontoinhaber unter Generalverdacht?
von Michael H. Schulz, Euro am Sonntag
"Freiwild für staatliche Schnüffler", so beschrieb Katja Kipping kürzlich die Bundesbürger. Damit zielte die Parteichefin der Linken nicht auf die Spitzeleien des US-Geheimdienstes NSA ab, sondern meinte die steigende Zahl der Kontenabrufe von Behörden bei Banken und Sparkassen. Allein im ersten Halbjahr führte das Bundeszentralamt für Steuern 59.482 Abrufe durch. Fast so viel wie im Gesamtjahr 2012. Hinzu kommen 62.749 Anfragen über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin).
Im April 2005 wurde mit dem „Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit“ der Kontenabruf eingeführt. Seitdem steigt nicht nur die Zahl der Abfragen, sondern auch der Kreis der zur Abfrage berechtigten Personen und Behörden nimmt ständig zu. Seit diesem Jahr dürfen auch Gerichtsvollzieher Kontostammdaten wie etwa den Namen des Kontoinhabers, das Geburtsdatum, die Kontonummer und das Datum der Eröffnung abrufen. Kontostände und Kontobewegungen bleiben an dieser Stelle noch geheim. Der Kontoinhaber selbst erfährt nichts von der Schnüffelei.
Zwar hat nicht jedes der 572 Finanzämter und auch nicht jedes Jobcenter und BAföG-Amt per Knopfdruck uneingeschränkten Zugang zu Kontostammdaten. Denn laut Paragraf 93 Abgabenordnung liegt die Abfrage im Ermessen des Beamten und ist nur erlaubt, wenn objektiv nachvollziehbare Zweifel an den Angaben des Steuerpflichtigen bestehen und eine Anfrage beim Betroffenen gescheitert ist oder keinen Erfolg verspricht. Dennoch ist der Kontenabruf alltäglich geworden. Dabei wollte man ursprünglich Sozial- und Steuerbetrüger aufdecken. Größte Datenquelle ist das Bundeszentralamt für Steuern. In dieser Behörde laufen Millionen Daten über jeden einzelnen Bürger zusammen.
Ob Fahndern nun massenhaft Steuerschummler ins Netz gehen, lässt sich aber nicht belegen. „Der Bundesregierung liegen keine statistischen Zahlen darüber vor, wie viele Fälle von Steuer- und Sozialleistungsbetrug bislang durch den automatischen Kontenabruf aufgedeckt wurden“, heißt es aus Berlin. Doch wer darf überhaupt wo nachfragen?
Finanzämter
Bereits wenn Steuerpflichtige in der „Anlage KAP“ zur Steuererklärung eine sogenannte Günstigerprüfung beantragen, können Finanzbeamte hellhörig werden. Die Günstigerprüfung ist dann möglich, wenn der persönliche Steuersatz niedriger ist als der Abgeltungsteuersatz von 25 Prozent auf Zins- und Dividendeneinkünfte sowie Veräußerungsgewinne. Dafür müssen Steuerpflichtige aber alle Einkünfte offenbaren. Um nachzuprüfen, ob alles rechtens ist, checken die Beamten die Konten.
Auch Konten von Auslandsbanken sind abrufbar, wenn diese hierzulande in Zweigstellen geführt werden und die Konten seit dem 1. April 2003 eröffnet wurden. Auch Stammdaten von sogenannten Ander- oder Treuhandkonten von Berufsgeheimnisträgern wie Notaren und Anwälten, die Konten für ihre Mandanten beziehungsweise Anleger führen, können abgerufen werden. Wichtig: Schon bei Eröffnung eines neuen Giro- oder Sparkontos speichern Banken die Stammdaten in einem Datenpool. Das komme einer Vorratsdatenspeicherung gleich, kritisieren Datenschützer. Daten gelöschter Konten bleiben drei Jahre lang gespeichert.
Konten, die etwa in der Schweiz oder in Singapur geführt werden, erfasst der automatische Kontenabruf nicht. Besteht ein zwischenstaatliches Abkommen, können solche Auskünfte im Rahmen der internationalen Rechtshilfe erteilt werden.
Doch Vorsicht: Innerhalb der Europäischen Union besteht ein weitreichender Informationsaustausch. Im Rahmen der EU-Zinsrichtlinie übermitteln die Geldhäuser aus EU-Staaten mindestens einmal jährlich dem Bundeszentralamt für Steuern nicht nur Kontostammdaten, sondern auch die exakte Höhe der Kapitaleinkünfte und erzielter Veräußerungsgewinne. Ferner greift seit 2013 die neue EU-Amtshilferichtlinie in Steuerangelegenheiten.
Steuerfahnder
Wenn ein Anfangsverdacht besteht und eine Anfrage beim Steuerpflichtigen keinen Erfolg verspricht, können die Steuerfahnder schriftlich ein Auskunftsersuchen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) etwa „zur Verfolgung und Ahndung von Straftaten“ stellen. Vorausgesetzt, die Fahnder haben bereits ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Bafin startet dann elektronisch den Abruf bei Banken, Bausparkassen und Fondsgesellschaften und leitet die detaillierten Auskünfte an das Bundeszentralamt für Steuern weiter. Der Steuerpflichtige wird darüber nachträglich informiert. Später können Fahnder im Rahmen eines allgemeinen Auskunftsgesuchs bei Banken auch sämtliche Kontobewegungen und -stände abfragen.
Gerichtsvollzieher
Seit dem 1. Januar 2013 können auch Gerichtsvollzieher beim Bundeszentralamt für Steuern nachhaken, wenn Schuldner keine Auskunft über ihr Vermögen machen oder das Vermögen nicht reicht, um Gläubiger zu befriedigen. Die vollstreckbaren Ansprüche müssen mindestens 500 Euro betragen.
Andere Ämter
BAföG-, Wohnungs- und Sozialämter dürfen über das Bundeszentralamt für Steuern Abrufe starten, um die tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen von Hartz IV-, Wohngeld- oder BAföG-Empfängern zu überprüfen. Die Antragsteller von staatlichen Leistungen werden aber auf die Möglichkeit des Kontenabrufes hingewiesen, wenn sie Angaben über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse machen.