Euro am Sonntag

Schlichtung: Was heißt hier "kaputt"?

17.04.16 03:00 Uhr

Schlichtung: Was heißt hier "kaputt"? | finanzen.net

Bei Ärger mit fehlerhaften Dienstleistungen oder defekten Geräten können Verbraucher nun flächendeckend Schlichter einschalten.

von Maren Lohrer, Euro am Sonntag

Die Wäsche ist zwar sauber geworden, aber der Fußboden steht unter Wasser: Die Waschmaschine ist defekt. Wissenschaftler des Öko-Instituts Freiburg haben festgestellt, dass viele Haushaltsgeräte deutlich schneller durch ein neues Gerät ersetzt werden müssen als noch vor zehn Jahren, Waschmaschinen beispielsweise gehen neun Monate früher kaputt. Auffällig findet Studienleiter Siddharth Prakash, dass immer mehr Geräte defekt werden, die noch nicht einmal fünf Jahre alt sind.



Dass die Industrie gezielt Sollbruchstellen einbaut, konnten die Wissenschaftler zwar nicht nachweisen. Doch für den Verbraucher bleibt das Problem des kaputten Geräts und die Gefahr, auf dem Schaden sitzen zu bleiben. Falls der Verkäufer - im Gegensatz zum Käufer - keinen Mangel sieht, wird er das Gerät nicht austauschen oder den Kaufpreis erstatten. Dem Kunden blieb bisher nur der Gang vor Gericht. Und der kostet Zeit, Kraft, Nerven - und Geld, die Erfolgsaussichten sind unklar. Daher scheuen viele Verbraucher diesen Weg, vor allem wenn der Streitwert nur ein paar Hundert Euro beträgt.

Jeder fünfte europäische Konsument hatte 2010 Probleme rund um den Erwerb von Waren und Dienstleistungen. Das er­gaben Erhebungen des EU-Verbraucherbarometers. Grund genug für eine EU-Richtlinie von 2013 - eine Richtlinie, die mittlerweile auch hierzulande umgesetzt worden ist: Seit dem 1. April ist das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz, kurz: VSBG, in Kraft.


Kern der EU-Richtlinie und damit des deutschen Gesetzes: Die Verbraucher sollen besser zu ihrem Recht kommen und zwar außergerichtlich. Da der Gang vor Gericht meist Sieger und Verlierer schafft, werden hier Lösungen angestrebt, die für Konsumenten wie auch Unternehmen tragbar sind. Als Vorbilder dienen die bisherigen Ombudsstellen (siehe unten).

König Kunde

Zu den Voraussetzungen für eine VSBG-Schlichtung gehört, dass der Verbraucher die gesetzliche Verjährungsfrist einhält. Sie beträgt drei Jahre. Der Kunde muss versucht haben, seine Ansprüche unmittelbar gegenüber dem Unternehmer geltend zu machen, bevor er eine Schlichtungsstelle anruft. Diesen erfolglosen Versuch hat der Konsument nachzuweisen.

Nicht mehr möglich ist eine Schlichtung, wenn der Fall bereits vor Gericht liegt oder sogar dort entschieden wurde. Läuft die Schlichtung, so wird die Verjährung angehalten. Dies ist wichtig, falls der Konsument doch noch den Klageweg beschreiten möchte. Verbraucher - und auch Unternehmer - können das Verfahren jederzeit ­abbrechen.


Für den Verbraucher ist die Schlichtung gebührenfrei, er trägt lediglich die Kosten für Auslagen und Porto. Nur bei Missbrauch ist eine Gebühr von maximal 30 Euro vorgesehen. Justizminister Heiko Maas fasst die Vorteile für Verbraucher so zusammen: "Wir schaffen die Möglichkeit, ohne den Aufwand und das Kostenrisiko eines Gerichtsprozesses schnell und einfach zu seinem Recht zu kommen." Für den Verbraucher ist also der Anreiz hoch, die Schlichtung auszuprobieren.

Beim Unternehmer liegt die Sache anders. Denn Gebührenfreiheit für Konsumenten bedeutet, dass die Unternehmen finanzielle Lasten schultern müssen. So sieht das VSBG-Gesetz bei der allgemeinen Schlichtungsstelle eine Gebühr vor.

Ihre Höhe soll die Kosten decken und den Streitwert berücksichtigen: 190 Euro bei Streitwerten bis einschließlich 100 Euro, 250 Euro bei Streitwerten über 100 Euro bis einschließlich 500 Euro sowie 300 Euro bei Streitwerten über 500 Euro bis einschließlich 2.000 Euro. Die privaten Schlichtungsstellen dürfen ein "angemessenes Entgelt" verlangen.

Der Haushaltsausschuss des Bundestags geht davon aus, dass für die Wirtschaft jährliche Kosten von insgesamt rund 25 Millionen Euro sowie einmalige Umstellungskosten von rund 3,6 Millionen Euro entstünden.

Reise ins Ungewisse

Aber das sind Schätzungen. So betont Jura-Professor Martin Schmidt-Kessel von der Uni Bayreuth, dass es sich beim VSBG um "eine Reise ins Ungewisse" handele. Vor allem im Handel und Handwerk sei vollkommen unklar, wie sich die neu zu etablierenden Verfahren auswirkten. Auch ist ungewiss, wie viele Unternehmen überhaupt mitmachen werden. Denn für Unternehmen ist die Teilnahme an der VSBG-Schlichtung freiwillig.

Doch wenn die Unternehmen mitmachen, müssen sie die Verbraucher darüber informieren. Dies gilt auch, wenn sie nicht mitmachen ("Negative Informationspflicht"). Diese Pflicht tritt aber erst am 1. Februar 2017 in Kraft.

"Daher rate ich Unternehmen, zunächst genau zu beobachten, welche Auswirkungen das Gesetz tatsächlich in der Praxis hat", betont Unternehmensberaterin und Schlichtungsexpertin Marion Kenklies. Auf jeden Fall wird sich die Schlichtungskultur ändern - und wohl auch das unternehmens- oder verbandseigene Beschwerdemanagement. Denn wer eine VSBG-Schlichtung nicht anbietet, der wird sich anderweitig positionieren müssen, um für den Verbraucher attraktiv zu bleiben.

Ombudsstellen

Aussergerichtliche Verfahren
Schlichten statt richten

Bereits vorhandene Schlichtungsstellen sollen laut Gesetz bestehen bleiben. Vor allem bei Finanzdienstleistungen gibt es schon ein dichtes Netz an Ombudsstellen. Für diese gelten Übergangsfristen von sechs Monaten, um sich dem neuen Gesetz anzupassen. Die wichtigsten Finanz-Ombudsstellen:
Geschlossene Fonds: Ombudsstelle ­Geschlossene Fonds e. V., Postfach 64 02 22, 10048 Berlin, Tel.: 030/25 76 16 90, Internet: www.ombudsstelle-gfonds.de
Immobilien: Ombudsmann im Immobilien­verband Deutschland, Littenstraße 10, 10179 Berlin, Tel.: k. A., Internet: ombudsmann-immobilien.net
Investmentfonds: Bundesverband ­Investment und Asset Management e. V., Büro der Ombudsstelle, Unter den Linden 42, 10117 Berlin, Tel.: 030/64 49 04 60, Internet: ombudsstelle-investmentfonds.de
Private Banken: Bundesverband deutscher Banken e. V., Kundenbeschwerdestelle, Postfach 04 03 07, 10062 Berlin, Tel.: 030/16 63 31 66, ­Internet: bankenombudsmann.de
Private Bausparkassen: Verband der ­Privaten Bausparkassen e. V., ­Kundenbeschwerdestelle, Postfach 30 30 79, 10730 Berlin, Tel.: 030/590 09 15 00, Internet: schlichtungsstelle-bausparen.de
Private Kranken- und Pflegeversicherung: Ombudsmann Private Kranken- und ­Pflegeversicherung, Postfach 06 02 22, 10052 Berlin, Tel.: 018 02/55 04 44, Internet: pkv-ombudsmann.de/ihre-beschwerde Sach- und Lebensversicherung: Versicherungsombudsmann e. V., Postfach 08 06 32, 10006 Berlin, Tel.: 08 00/369 60 00, Internet: www.versicherungsombudsmann.de
Schufa: Schufa-Ombudsmann, Postfach 52 80, 65042 Wiesbaden, Tel.: 018 05/72 48 32, Internet: schufa-ombudsmann.de
Sparkassen: Deutscher Sparkassen- und ­Giroverband, Kundenbeschwerdestelle, ­Charlottenstraße 47, 10117 Berlin, Tel.: 030/202 25 15 10, Internet: dsgv.de/de/ueber-uns/schlichtungsstelle
Volks- und Raiffeisenbanken: Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, Kundenbeschwerdestelle, Schelling­straße 4, 10785 Berlin, Tel.: 030/202 16 39, ­Internet: bvr.de/service/kundenbeschwerdestelle Wenn keine spezielle Schlichtungsstelle ­vorhanden ist, kann der Verbraucher sich an die ­allgemeine Stelle wenden unter: www.verbraucherschlichter.de

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